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Eine Seite aus Craig Thompsons Comicroman "Habibi". Ein Mädchen muss seinem älteren Bräutigum in der Hochzeitsznacht hörig sein. Es hat Angst, dann der Mann, der das Laken mit Blutfleck hochhält.

© Reprodukt/Craig Thompson

Eklat um Comic-Ausstellung an Essener Uni: Der Islam, religiöse Gefühle und die Meinungsfreiheit

An der Uni Duisburg-Essen wird eine studentische Ausstellung geschlossen – aus Angst vor Muslimen, die sich provoziert fühlen könnten. Wieder ein Fall von Selbstzensur in Deutschland.

Es ist nur eine kleine Ausstellung in einer Uni-Bibliothek, eine Studentensache. Dass die aus gerade mal zwölf Comic-Plakaten bestehende Präsentation eines Anglistik-Seminars in der Bibliothek der Universität Duisburg-Essen nicht mehr zu sehen ist, weil muslimische Studenten sich an einem oder zwei Exponaten störten – warum soll man sich jenseits des Campus darüber aufregen?

Aber dann liest man die Erklärungen der Universitätsleitung und der Professoren des Fachbereichs und glaubt es nicht. Auf den schließlich handgreiflichen Protest einer Studentin haben die Geisteswissenschaftler einer staatlichen Universität mit Selbstzensur reagiert. Das berührt die Meinungs- und Kunstfreiheit sowie das Zusammenleben der Kulturen in der bundesdeutschen Demokratie im Kern. Und es reiht sich ein in die lange Liste der deutschen und europäischen Eklats in Sachen Grundrechte und Islam, Götter und Bilder, in die Chronik der bigotten Reaktionen auf muslimische Proteste. Bigott, weil im Namen der Toleranz Intoleranz praktiziert wird.

Der Eklat wurde ausgelöst, als eine Studentin ihre religiösen Gefühle verletzt sah, sie entfernte Plakate

Die Collage-Poster der Seminarteilnehmer befassten sich mit Graphic Novels zu politischen und gesellschaftlichen Sujets, sie kombinierten Bildmotive, fügten wohl teils Texte hinzu. Eines der Plakate in der am 23. Mai eröffneten Schau zeigte religiöse und sexuelle Motive aus Craig Thompsons fantastischer Graphic Novel „Habibi“, auch die Szene einer Vergewaltigung neben dem Schriftzeichen für Allah. Thompsons 672-Seiten-Werk von 2011 greift die Kunst der Kalligrafie und der orientalischen Märchen auf, um die tragisch-drastische Geschichte zweier Sklavenkinder zu erzählen. Es geht um Frauendiskriminierung: Das Mädchen muss sich prostituieren, um zu überleben, es wird in einen Harem verschleppt. Der Junge lässt sich zum Eunuchen entmannen, um sie aus dem Sultanspalast zu befreien.

Nicht für jeden nachvollziehbar: Worte und Bilder ergeben bei Craig Thompsons „Habibi“ eine künstlerische Einheit.
Nicht für jeden nachvollziehbar: Worte und Bilder ergeben bei Craig Thompsons „Habibi“ eine künstlerische Einheit.

© Reprodukt

Einige Muslime empfanden die Collage als islamfeindlich. Die Studentin hängte das Plakat ab. Der Vorsitzende des Islamischen Studentenbundes von Duisburg-Essen erklärte, viele Muslime an der Uni hätten in dem Bild eine Beleidigung ihres Gottes gesehen. Es sei ein gutes Zeichen, dass das Plakat nicht wieder aufgehängt wurde. Am 24. Juni zerschnitt die Studentin ein zweites Poster mit der Schere, um es der Bibliotheksleitung als Torso zu übergeben. Offenbar handelte es sich um eine Collage, die sich mit einer Demonstrationsszene aus Rutu Modans „Blutspuren“ befasste, einer Graphic Novel zum Nahostkonflikt.

Und was macht die Universität? Statt den Ausstellungstitel „What Comics can do“ erst recht zum Thema zu machen und eine Diskussion über Kunst und Gewalt, Ästhetik und Religion zu organisieren, schließt sie Ende Juni die Schau, die bis Ende Juli geplant war. Wobei offiziell nicht von Schließung die Rede ist, sondern von einer „verkürzten“ Ausstellungsdauer um „einige Tage“. Interessant, wie Akademiker da mit der Sprache mogeln. Weiter heißt es, man verkürze „aus Protest gegen die erfolgte Zensur“. Das hätten sämtliche Professorinnen und Professoren des Instituts für Anglophone Studien betont: „Eine teilzensierte Ausstellung hätte als Eingeständnis einer Schuld gewertet werden können.“

Schauplatz der Auseinandersetzung: der Campus der Universität Duisburg-Essen.
Schauplatz der Auseinandersetzung: der Campus der Universität Duisburg-Essen.

© Promo

Im Klartext: Zwei von zwölf Exponaten werden entfernt, ein Akt der Zensur, mit juristischen Konsequenzen. Die Uni entfernt die übrigen Bilder auch noch aus der Öffentlichkeit, das soll aber keine Zensur sein, sondern ein Protestakt dagegen. „Offen miteinander reden“ lautet der Titel der universitären Stellungnahme, „Offen im Denken“ das Motto der Uni. Es klingt wie blanker Hohn, wenn Hochschulrektor Ulrich Radtke zusätzlich beteuert, dass es „keine Denkverbote“ geben dürfe und die Universität ein „Ort der Toleranz und Wissenschaftsfreiheit“ sei. Denn bevor man die Plakate wieder zeigt, sollen Islamwissenschaftler prüfen, ob sie religiöse Gefühle verletzen. Und dann gibt es erstmal ein Kolloquium.

Die Essener CDU-Fraktion sprach sich mit der FDP für eine Ersatz-Ausstellung im Rathaus aus, wollte ebenfalls erst prüfen – was aber nicht geht, weil das Institut die Plakate nicht hergibt. In der Uni-Erklärung heißt es außerdem, dass es „galt, die Studenten zu schützen“. Wovor? Es gab Zoff, es war ungemütlich wegen der Plakate. Wo, wenn nicht im geschützten Rahmen der Uni ließe sich solcher Zoff besser austragen? Verunsicherung ist ein guter Gärstoff fürs Denken.

Die deutschen Reaktionsmuster sind bekannt, seit der Fatwa gegen Salman Rushdie 1989

 Hisbollah-Mädchen demonstrieren Ende Februar 1989 in einer Beiruter Vorstadt gegen Salman Rushdie, mit Schildern: "Wir sind bereit, Rushdie zu töten".
Pro-iranische Hisbollah-Mädchen demonstrieren Ende Februar 1989 in einer Beiruter Vorstadt gegen Salman Rushdie und seinen blasphemischen Roman "Die satanischen Verse". Hinter ihnen ein Poster mit dem Konterfei von Ajatollah Khomeini, der wenige Wochen zuvor eine Fatwa - einen islamistischen Mordaufruf - gegen den indisch-britischen Autor aussprach.

© AFP

Die Reaktions- und Erklärungsmuster sind alt, sie gehorchen jedesmal der Logik vorauseilender Furcht. Rücksicht auf anderer Leute Gefühle, keine Gefährdung der eigenen Mitarbeiter: So lauteten schon die Argumente, als es nach der Fatwa gegen Salman Rushdie 1989 den Vorschlag gab, mehrere deutsche Tageszeitungen könnten gemeinsam ein Kapitel aus dessen Roman „Die „Satanischen Versen“ vorabdrucken. Als solidarische Geste gegen Gängelung und Zensur – und um möglichen Gefahren gemeinsam zu trotzen. Außer der „taz“ machten alle einen Rückzieher.

Die Debatte um "Idomeneo" oder die dänischen Mohammed-Karikaturen - immer das gleich Muster

Kirsten Harms, Intendantin der Deutschen Oper Berlin, setzte 2006 Hans Neuenfels’ „Idomeneo“-Inszenierung in Berlin ab (in der die Köpfe von Mohammed, Jesus, Buddha und Poseidon rollten), ohne dass auch nur ein Drohbrief in der Bismarckstraße eingegangen wäre. Die Mohammed-Bilder des mit Mord bedrohten dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard wurden in den meisten deutschen Medien nur verschämt abgebildet, wenn überhaupt. Stattdessen verlieh Kanzlerin Merkel dem Künstler 2010 einen Preis für Verdienste um die Meinungsfreiheit, fünf Jahre, nachdem der Mann um sein Leben bangen musste. Auch im letzten Jahr, in der Debatte um den Schmähfilm „Innocence of Muslims“, lavierte sie, ließ ein Videoverbot prüfen um gleichzeitig die Meinungsfreiheit als hohes Gut zu bezeichnen.

Romanautor Salman Rushdie
Salman Rushdie lebte seit Khomeinis Todesurteil gegen ihn von 1989 viele Jahre bewacht und versteckt. Heute versteckt er sich nicht mehr und lebt in New York. Die Fatwa wegen der "Satanischen Verse" von 1988 gilt bis heute, das Kopfgeld auf ihn wurde zuletzt im September 2012 erhöht.

© Reuters

Das kann man nicht in einem Atemzug nennen? Eine Republik der Angst tut genau das: Ob fabelhafter Roman, gelungene Karikatur oder mieser Trash, ob große Opernbühne oder Seminararbeit, wir dürfen den Islamisten keinen Anlass bieten, sich provoziert zu fühlen! Blasphemie, Beschneidungsdebatte, Kopftuchfrage, Papstcartoon, islamistische Morddrohung (aktuell gibt es eine Fatwa gegen den deutsch-ägyptischen Autor Hamed Abdel-Samad), Schere gegen Papier – es ist immer das Gleiche. Die Grundrechte der Meinungs- und Kunstfreiheit oder der Gleichberechtigung fallen schnell dem Bedürfnis nach Sicherheit zum Opfer. Und gern wird die Religionsfreiheit bemüht, um den Bilderstreit gar nicht erst austragen oder Gefahren beim Clash der Kulturen abwägen zu müssen. So wachsen die Tabuzonen.

Nichts gegen Rücksicht auf Traditionen, auch Glaubensfreiheit ist ein Grundrecht. Aber das Wesen der Demokratie besteht darin, dass der Sieger nicht feststeht, wenn diese Rechte in Konflikt miteinander geraten. Zumal der Gottesrespekt kein Grundrecht ist, Blasphemie wird vom Strafgesetzbuch nur dann geahndet, wenn sie „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden“ – was im Einzelfall zu klären ist. Wenn sich die Demokratie jedoch selber der Freiheit beraubt, die sie bedroht sieht, wird sie ihr eigener Feind. Deshalb schließt die Meinungsfreiheit das unbequeme Recht auf Kritik, Witz, Satire, das Spiel mit Symbolen und Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten ein, gegenüber Gott und dem Papst wie gegenüber Allah und dem Propheten. Diese Toleranz, im gesetzlichen Rahmen des säkularen Staats – das ist Integration.

Die Studierenden in Duisburg und Essen lernen gerade etwas anderes. Erstens: Wer attackiert statt zu argumentieren, der hat Erfolg. Zweitens: Wegschließen ist besser als Hingucken. Und drittens, dass die Öffentlichkeit sich erst dann ein Bild machen darf, wenn Expertisen angefertigt und Kolloquien abgehalten sind. Das ist Bildung in Deutschland 2013.

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