zum Hauptinhalt
Hoffnungsträger: US-Präsident Barack Obama.

© dapd

Europa und die USA: Das transatlantische Liebesobjekt

Unterbewusst besetzen wir den amerikanischen Präsidenten immer noch mit der Magie und der Verheißung, die er einst im Wahlkampf 2008 entfachte. Trotz aller zwischenzeitlicher Ernüchterung: Die Deutschen, und die Europäer, wollen Amerika lieben.

Von Caroline Fetscher

Es stimmt, der Kulteffekt ist abgeklungen. Als Barack Obama, damals zum ersten Mal Präsidentschaftskandidat, an der Berliner Siegessäule zu einem Publikum vor Hunderttausenden sprach, schien nicht nur Deutschland, sondern halb Europa ein besonderes Groupie-Feeling erfasst zu haben. Oh, Offenbarung Obama! Es fehlte nicht viel im Sommer 2008, und Fans wären wie beim Popkonzert in Ohnmacht gefallen.

Im Amt mutierte Obama zum pragmatischen Politiker mit Grenzen und Widersachern, weder außerirdischer Superman noch gloriose Kombination aus Mahatma Gandhi, Albert Einstein und Martin Luther King. Dass der erste nicht-weiße Präsident Amerikas während der vier anstrengenden Jahre seiner Administration dennoch viel bewegte, wurde unter „immerhin“ abgelegt. Europa, schien es, hätte lieber einen US-Präsidenten gesehen, der alle halbe Jahr eine „I-have-a-dream“-Rede hält, als einen, der sich mit störrischen Republikanern über Medicare streitet und der nicht einmal der Waffenlobby im Land ihre Fetische abspenstig machen kann.

Allerdings blieb unter der Oberfläche der Gewöhnung an Obama auf unserer Seite des Atlantiks die Verheißung, mit der wir ihn besetzt hatten, latent weiter am Werk. Spätestens als im Wahlkampf republikanische Gegenkandidaten auftraten, wurde es beunruhigend. Von einem wie Romney wollte man sich Obama nun auch nicht nehmen lassen. Bis zum 6. November setzte ein Bangen und Zittern ein, als könnte nach Obama nur die Nacht kommen, Desaster, neue Kriege, Sektiererei. Der komische Aspekt einer Umfrage unter Deutschen, ob sie Obama wählen würden – 91 Prozent bejahten das – glimmt erst auf, wenn man sich vorstellt, von Los Angeles bis Philadelphia würde eine Erhebung die Wählergunst für Angela Merkel sondieren. Spürbar war in der Wahlnacht das kollektive Aufatmen: Wir dürfen ihn behalten!

Wir wollen Amerika lieben. Die Europäer, die Deutschen zumal, wollen, das ist der eindeutige Befund dieser affektiv hoch aufgeladenen Dynamik, dieses aktuelle Amerika positiv besetzen können, dürfen. Verblüffend, da auch hierzulande eine der größten Schnittmengen aus Ressentiments - bei Rechten wie Linken sowie im Mainstream – noch immer eine gehörige Portion Amerikafeindlichkeit ist, auf die sich Zeitgenossen bequem (und ohne Scheu, wie etwa beim Antisemitismus) einigen können. Je nach politischer Couleur gilt Amerika in diesem Diskurs als arrogant, naiv, unkultiviert, rücksichtslos, imperialistisch. Oft genug haben Soziologen oder Zeithistoriker als Genese dieses spezifischen Ressentiments ein Gebräu aus Neid und Minderwertigkeitsempfinden ausgemacht.

Angesichts von Barack Obama scheint all das wie von Zauberhand fortzufallen. Diesen Amerikaner wollen wir. 91 Prozent Zustimmung, also Zustimmung quer durch Milieus, Alterskohorten und ideologische Orientierungen, offenbaren unsere massive Sehnsucht nach einem anderen Amerikabild. Gewünscht wird, mit Obama, offenbar ein Amerika, das seine Rolle als Führungsmacht und Schutzgarant der demokratischen Welt vorbildhaft ausfüllt, das nicht Neider, sondern Freunde und Nachahmer auf den Plan ruft. Dieses Amerika zu imaginieren, fällt leichter angesichts eines Politikers, der sichtbar nicht zur traditionellen US-Elite zählt, die Deutschland vor zwei, drei Generationen besiegt, besetzt und umgebaut hat. Schwarze Leibeigene, darauf wies eine Kommentatorin zur Wahl hin, haben das Weiße Haus für diese Elite gebaut. Jetzt wird es bewohnt von einer schwarzen Familie, die Repräsentation amerikanischer Macht scheint umgekehrt – „wir“ können uns identifizieren mit denen, die vermeintlich von außen ins Herz der Macht vorgedrungen sind. Doch das ist nur ein Aspekt der Sehnsucht.

Die Vereinigten Staaten sind eine postnationale Nation

Verstörend und provozierend wirkt auf Europa, wie auf weite Teile der übrigen Welt, gerade diese Option der Überwindung tradierter Parameter von Klasse, Rasse und Nation. Im Kern fußt das antiamerikanische Ressentiment weitaus weniger auf Amerikas angenommener Macht oder vermeintlicher Hybris als vielmehr auf Amerikas tatsächlicher Hybridität, es fußt auf der paradoxen Tatsache, dass die Vereinigten Staaten eine postnationale Nation darstellen. In seiner Rede unmittelbar nach dem Wahlsieg hob Barack Obama genau diese Hybridität als Hauptmerkmal Amerikas hervor. „Dieses Land“, erklärte er, „ist wohlhabender als jede andere Nation, aber es ist nicht das, was uns reich macht. Wir verfügten über die mächtigsten Streitkräfte der Geschichte, aber nicht das macht uns stark. Unsere Universitäten, unsere Kultur wecken den Neid der ganzen Welt, aber das ist es nicht, weshalb alle Welt an unsere Küsten drängt.“ Nein: „Was Amerika so außergewöhnlich macht, sind die Bande, die die vielfältigste Nation auf Erden zusammenhalten.“

Darauf kommt es an. Denn dass sich Staat machen lässt ohne jenes im 19. Jahrhundert entstandene Fantasma eines biologistisch begründeten Nationalismus, das leben die USA vor. In einem Essay über das „transnationale Amerika“ hatte der Autor Randolph Bourne schon 1916 von den Vereinigten Staaten als einer „Föderation der Kulturen“ gesprochen, die nicht allein von Angelsachsen, sondern von sämtlichen Immigrantengruppen bestimmt und mitgeprägt werde.

Eine derart heterogene Bevölkerung, zusammengewandert aus allen Kontinenten und Konfessionen, bedeutet permanente Provokation für jede traditionelle Vorstellung von „Kultur“ und „Nation“. Wenngleich schon Bourne das Konzept des „melting pot“, des Schmelztiegels, aussprach, und auch inzwischen oft lieber die „salad bowl“, die „Salatschüssel“, beschworen wird, wenn es um das normative, gesellschaftliche Paradigma der USA geht – die zentrale Sache bleibt dieselbe. Ob Tiegel oder Schüssel, gemeint ist ein transnationaler Rahmen, der dem Staat seine Fassung und Verfassung verleiht. Gemeint ist der Abschied von der klassischen Nation.

Nicht nur das Europa, aus dessen Zwängen, Gewalt und Einhegungen unsere couragiertesten Vorfahren ausgebrochen und aufgebrochen sind in jenes Amerika, sieht sich heute mit der Provokation konfrontiert, die von der „globalen Salatschüssel“ ausgeht. Weltweit wird ausgewandert und eingewandert, aus tausenderlei Gründen. Wachsende Demokratisierung und Freizügigkeit, also die freie Wahl des Aufenthaltsortes, lassen das Konstrukt der biologistisch determinierten Nation so obsolet werden, wie es das in Amerika längst anerkanntermaßen ist.

Mit Barack Hussein Obama, mehr wohl als mit jedem Vorgänger, wird das wegweisende Gesellschaftsmodell der Vereinigten Staaten für den Rest der Welt akzeptabler, es gewinnt an Flair, Vorstellbarkeit und Attraktivität. Die Eltern des Politikers kamen aus dem US-Bundesstaat Kansas und aus Kenia, aufgewachsen ist er unter anderem in Hawaii und Indonesien, er war in Chicago Sozialarbeiter und wurde in Harvard Jurist, hält brillante Reden, wirkt diszipliniert und elegant. Er ist cool. Einer wie Obama verkörpert das Gelingen des hybriden Modells einer postnationalen Gesellschaft. Genau darum, so scheint es, ist die Sehnsucht so groß, Obamas Amerika zu lieben. Weil der Rest der Welt, trotz oder wegen der tribalistischen und sezessionistischen Rückschläge, ahnt oder weiß, dass er ein solches Modell einmal in die Arme schließen werden muss. Weil daran, vermutlich zuallererst in Europa, über kurz oder lang weltweit kein politischer Weg mehr vorbeiführt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false