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Kultur: Fernduell mit Erdogan

Warum Paul Auster nicht in die Türkei fährt.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ist als Politiker bekannt, der keinem Streit aus dem Weg geht. Derzeit macht Erdogan seinem Ruf wieder einmal alle Ehre. Er zog öffentlich über den US-Erfolgsautor Paul Auster her, der einen Besuch in der Türkei mit Hinweis auf die Inhaftierung von Journalisten abgelehnt hatte. Auster habe keine Ahnung, sagte Erdogan. Mehrere Intellektuelle in der Türkei geben dem US-Schriftsteller jedoch recht - und wie um Auster zu bestätigen, verurteilte ein türkisches Gericht jetzt eine Studentin zu einer Bewährungsstrafe, weil sie in einem Zeitungsartikel die Leitung ihrer Universität kritisiert hatte.

Rund 100 Medienvertreter in der Türkei sitzen im Gefängnis oder in U-Haft, nach Meinung der Kritiker Erdogans ein Beweis für die engen Grenzen der Meinungsfreiheit im EU-Bewerberland. Die Regierung sieht das anders. Sie argumentiert, die inhaftieren Journalisten seien nicht wegen ihrer Texte hinter Gittern, sondern wegen mutmaßlicher Verbrechen wie der Beihilfe zu einem Militärputsch. Im Ausland sei das für viele schwer zu verstehen, sagte Erdogan kürzlich – in Europa gebe es eben keine Journalisten, die Putschversuche gegen die gewählte Regierung unterstützten.

Allerdings geht die türkische Justiz mit dem Vorwurf staatsfeindlicher Umtriebe wesentlich lockerer um als Richter und Staatsanwälte im Westen. Eine Soziologin kam in U-Haft, weil ihr Unterlagen für einen Vortrag als Unterstützung für die PKK-Kurdenrebellen ausgelegt wurde. Erdogans Regierung sieht sich dem Vorwurf autoritärer Tendenzen ausgesetzt. Der Premier selbst hat im Laufe der Jahre unter anderem gegen einen Karikaturisten und gegen den Chefredakteur einer unabhängigen Tageszeitung geklagt.

Nun erregt sich Erdogan über Auster, der die Lage der Pressefreiheit in der Türkei kritisiert und betont hatte, er wolle deshalb nicht dorthin reisen. „Ist doch egal, ob er herkommt oder nicht“, sagte Erdogan bei einer Parteiversammlung. Bei Besuchen in Israel habe Auster weniger Gewissensbisse, setzte er hinzu – dort sei wohl alles in bester Ordnung in Sachen Freiheitsrechten. „Waren es nicht die Israelis, die Gaza bombardierten?“ fragte der Premier. Auster sei „ignorant“, wenn er dies nicht erkenne.

Immerhin sitze in Israel kein Journalist im Knast, entgegnete Auster. Die Meinungsfreiheit sei ein „heiliges Recht“. Das finden auch türkische Intellektuelle, die in der Zeitung „Milliyet“ Auster unterstützen. Ahmet Ümit riet Erdogan, er solle sich lieber um die Lösung der Probleme in der Türkei kümmern, anstatt jene zu verdammen, die darauf aufmerksam machten. Auch der Ankaraner Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu schaltete sich in die Debatte ein: Er lud Auster offiziell in die Türkei ein. Ob der annimmt, ist ungewiss. Thomas Seibert

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