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"Fetih 1453" gegen "Türkisch für Anfänger": Monument und Multikulti

Wo, bitte, geht's zur Gegenwart im (deutsch-)türkischen Film? "Fetih 1453" bejubelt den Osmanensieg über das Christentum, "Türkisch für Anfänger" vernebelt die Widersprüche der Integration. "Sen Kimsin" ist eine prima Alternative.

Die Theaterleiterin im Weddinger Alhambra-Kino lässt nicht mit sich spaßen. „Wenn da 13-jährige Jungs mit ihren Eltern reinwollen, dann geht das nicht“, sagt sie, „die Altersgrenze ab 16 setzen wir durch.“ Und der Kollege vom Einlass meint sogar, der Film sei „so brutal, der sollte erst ab 18 freigegeben werden“ – wie das massiv den Islam preisende Irakkriegsepos „Tal der Wölfe“ von 2006, damals mit acht Millionen Dollar der teuerste türkische Film aller Zeiten.

Die Zeiten ändern sich schnell, und mit „Fetih 1453“ ist der türkische Budget-Rekord locker bei 17 Millionen Dollar angekommen. Auch diesmal ist es nicht in erster Linie die Brutalität dieses Schlachtengemäldes um die Eroberung Konstantinopels, die die Gemüter erhitzt, sondern die religiöse Message. Denn das Werk verherrlicht mit allen Mitteln des Propagandafilms den heiligen Krieg von Sultan Mehmed II. über Kaiser Konstantin XI., mithin den Sieg des Islam über das Christentum. Der monumentale Historienschinken passt dem Neo-Osmanismus der Regierung Erdogan perfekt ins Konzept und füttert zudem die weltweit in der Diaspora lebenden Türken mit einem problematischen Selbstbewusstsein, das zwischen Patriotismus und Religiosität nicht mehr unterscheidet.

Binnen vier Wochen lockte der Film über 300 000 Zuschauer ins Kino, überwiegend türkischstämmige Besucher, wie die Weddinger Kinomacher beobachteten. Das sind rund zehn Prozent des hier lebenden Bevölkerunganteils; der Film ist damit proportional noch erfolgreicher als in der Heimat. Gleichzeitig blieb das Medienecho zum Filmstart im Schatten der Berlinale gering, und erst später erschienen historische Analysen. Heißt das, zumal angesichts des brisanten Themas: Integration war gestern, Multikulti ist eh mausetot, und die Parallelgesellschaft marschiert?

Tatsächlich lässt sich Faruk Aksoys „Fetih 1453“ auf den ersten Blick ausschließlich als Heldensaga des Türkentums und als pompöses Pamphlet gegen den Westen lesen. Sultan Mehmed (Devrim Evin), der das zum Stadtstaat geschrumpfte, vom Osmanischen Reich längst umschlossene griechisch-orthodoxe Konstantinopel erobert, ist ein verblüffend früh zu Weisheit gelangter Jung-Feldherr, während Konstantin (Recep Aktug) den verschlagenen Lüstling gibt: Seine Polit-Gespräche mit den Orthodoxen und Vertretern der Kurie finden stets beim Weine statt, kulturell veredelt durch Darbietungen weitgehend entschleierter Tänzerinnen. Als zwei Sturmangriffe auf die ummauerte Stadt scheitern, zweifelt Mehmed an seinem Glauben, in dem ihn alsbald ein Imam wieder aufrichtet; es ist dann erst der Schlachtruf „Allahu akbar“, der dem osmanischen Heer die nötige Energie zum Endsieg verleiht.

Kulturpessimisten mögen folgern, hier werde der nun ultimative Untergang des Abendlandes geprobt. Dagegen spricht allerdings die an Hollywood-Vorbildern geschulte Ikonografie und Filmmusik, wie sie zu einschlägigen Hits vom „Herrn der Ringe“ bis hin zu „Troja“ gehören. Stolz ist man in der Türkei daher mindestens so sehr auf den ordentlichen Standard bei der digitalen Aufrüstung der Heerscharen wie auf einen heldenmütig sterbenden Kämpfer, der auf den Türmen der eroberten Stadt die Flagge der Janitscharen hisst – als sei’s die Rote Fahne auf dem Brandenburger Tor 1945 oder das Sternenbanner auf Iwo Jima. Und solange in Istanbul dazu genauso andächtig Popcorn gefuttert wird wie im Wedding, hat die westlich dominierte Globalisierung noch nicht gänzlich ausgedient.

Schaut man gar tiefer als auf den Boden eines Coca-Cola-Eimers, stecken sogar in „Fetih 1453“ Funken der Hoffnung. Historiker geißeln zwar die Geschichtsfälschung, wonach Mehmed dem bei der Verteidigung der Stadt umgekommenen Konstantin ein christliches Begräbnis ausrichten lassen will (tatsächlich wurde dessen abgeschlagener Kopf öffentlich ausgestellt). Aber gilt dasselbe für den fraglos überblähten Filmschluss, bei dem Mehmed den in die Hagia Sophia geflüchteten Christen Religionsfreiheit verspricht und in schlimmschönster Führer-Pose blonde Kinderköpfe streichelt? Erstens ist ein solcher Erlass Mehmeds verbürgt. Und zudem lässt er sich gerade heute, wo die christliche Minderheit in der Türkei wieder bedroht ist, als scharfe Mahnung an die Mehrheitsgesellschaft lesen.

Ein scheinbar weiter Weg ist es vom finsteren Ende des Mittelalters bis zu jener Andamanen-Insel, auf die es ein paar in Deutschland lebende Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund verschlägt. Das Flugzeug, in dem zwei dazugehörige alleinerziehende Eltern mitreisen, muss auf dem Indischen Ozean notwassern – und während die Erwachsenen das gebuchte Resort mit knapper Not erreichen, liefert sich der Nachwuchs in paradiesischer Wildnis einen amüsanten Culture-Clash- sowie Geschlechterkrieg. Türkisch ist die Produktion nicht, wohl aber steckt das Wort im Titel. Popcorn passt auch prima dazu. Und mit der aktuellen deutschen Wirklichkeit hat, allem Anschein zum Trotz, die Komödie „Türkisch für Anfänger“ sogar weniger zu tun als „Fetih 1453“. Denn der Film setzt zwar nicht die Werte der Parallelgesellschaft grimmig absolut, aber die Integration selbst – auf rührend arglose Weise.

Vielleicht liegt es daran, dass Bora Dagtekin, Erfinder der in der ARD bereits 2006 bis 2008 gelaufenen Vorabendserie, für sein Kinoregiedebüt aufs Prequel setzt. Angesichts wachsender Entfremdung der türkischen und deutschen Bevölkerungsteile wirkt der Film so fast nostalgisch. Hinzu kommt die Rückdatierung der Biografien. Das Heldenpärchen Lena (Josefine Preuß) und Cem (Elyas M’Barek), das sich im komplikationsreichen Serien-Lebenslauf bis zur Familiengründung vorgearbeitet hatte, agiert nun neckisch dauerpubertär. Und Cems glaubensstrenge Schwester Yagmur (Pegah Ferydoni) sowie der liebenswert stotternde Grieche Costa (Arnel Taci) müssen den spätestens seit dem Fall von Konstantinopel heiklen Beweis türkisch-griechischer Freundschaft sozusagen im Pilotversuch antreten.

Dass zwecks Wiedererkennung der Fernsehfiguren zudem die komplette Darstellerriege nun das Kennenlernen nachsitzt, macht die Sache noch absonderlicher. Auch die deutsche Nervensägen-Mama Doris Schneider (Anna Stieblich) und der herzensgute Türkenpapa Metin Öztürk (Adnan Maral) müssen, zart gealtert, einander schöne Frischverliebtheitsaugen machen. Nur Neulinge im Klein-Kosmos namens „Türkisch für Anfänger“ dürften, den Verfremdungseffekt arg reif besetzten Personals einmal beiseitegelassen, im Kino auf ihre Kosten kommen.

Verglichen mit „Fetih 1453“, der seine Zuschauer allenfalls durch unfreiwilligen Humor zum Lachen reizt, ist „Türkisch für Anfänger“ die pure Gagmaschine – allerdings mit der Folge, dass die Figuren zu bloßen Witzfiguren werden. Vor lauter fraglos geschliffen ausgedachten Pointen haben die zickig jungfrauenbewegte Lena, der Macho Cem, die grenzdebile Therapeutinnen-Mama und die Kopftuchtürkin Yagmur kaum Chancen zur Herausbildung von dem, was man Charakter nennt. So bleiben sie Beweismittel für eine herzensgute Doppelthese, die die Wirklichkeit haarscharf verfehlt. Privat geht sie so: „Was sich liebt, das nervt sich.“ Und multikulti-politisch: „Was sich nervt, das liebt sich.“ Schön wär’s, im Kleinen wie im Großen. Und wo echte Jungs eh immer nur Spaß haben wollen und selbst kratzbürstigste Mädchen am liebsten Schmusekätzchen wären, ist einem Era (Dilek Serbest) aus „Fetih 1453“ fast lieber. Aus Rache für den Mord an ihrer Familie zieht die Ziehtochter eines Kanonengießers wie eine altgriechische, pardon: alttürkische Amazone furchtlos in Männerkleidern in die Schlacht.

Und es gibt sie doch, die (deutsch-)türkische Moderne zwischen dem protzig ausgestellten oder auch nur gut getarnten Retro-Staub – etwa in Ozan Aciktans soeben angelaufener Screwball-Komödie „Sen Kimsin“ („Wer bist du“). Wie weiland Dick und Doof, nur mitten in turbulenter Istanbuler Gegenwart, verbeißen sich die Detektive Ismail (Köksal Engür) und Tekin (Tolga Cevik) hingebungsvoll in einen höchst simplen Entführungsfall. Das gesamte Personal agiert grundbescheuert, allen voran der rührend notgeile Single-Held Tekin, dessen Lächerlichkeit schon wieder an Größe grenzt. Im Weddinger Alhambra amüsiert sich das berlinotürkische Publikum köstlich über die flotte Klamotte, die in den Charts in der Türkei knapp hinter dem bereits schwächelnden Spitzenreiter „Fetih“ eingestiegen ist. Auch für Zuschauer mit deutschem Stagnationshintergrund ist – spätestens bei zart missglückten Untertitelzeilen wie „Bin ich also keine Mann oder was?“ – das Glück vollkommen.

"Türkisch für Anfänger" läuft in 20 Berliner Kinos, "Fetih 1453" und "Sen Kimsin" sind beide im Alhambra und den Neukölln-Arkaden zu sehen.

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