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Sara auf einem Roller in der Dämmerung

© peripher Film

Film "Limbo": Die Sekunde der wahren Empfindung

Im Filmdebüt der Dänin Anna Sofie Hartmann verliebt sich Sara in ihre Lehrerin. Ohne Wertung und Moral erzählt "Limbo" die Geschichte einer tragischen Liebe.

Limbo ist, glaubt man Wikipedia, ein Tanz, eine Programmiersprache, ein Ort in Tansania, ein Computerspiel und eine Waffe. Im Englischen dagegen deutet das schön klingende Wort auf eine lateinische Sprachwurzel: „limbus“ steht für einen Rand, der etwas umfasst, und, wohl abgeleitet davon, für einen seelischen Schwebezustand in der Peripherie. Die Katholiken wollen sogar ganz genau wissen, wo der Limbus sich befindet: Er ist eine Art Wartesaal in der Vorhölle, in dem sich die nicht gar so schlimmen Seelen auf Dauer versammeln. Na dann.

Von Religion ist nicht die Rede in „Limbo“, dem leisen, scheinbar kleinen, so außergewöhnlichen Film der dänischen DFFB-Absolventin Anna Sofie Hartmann; wohl aber zieht er einen in feinster Beiläufigkeit in ebenjene Schwebe. Er beobachtet den Alltag in einer Schule, in Kneipen und in der Zuckerfabrik von Nakskov, einem Hafenstädtchen auf Lolland gegenüber von Fehmarn, und gleichzeitig birgt er darin eine winzig schlimmschöne Geschichte. Eine Schülerin verliebt sich in ihre Lehrerin, findet den Mut, ihr das zu sagen, und die Lehrerin versucht, die so schmucklos hingesprochene wahre Empfindung nicht zur Kenntnis zu nehmen. Zu sagen, es endet tragisch, wäre zu laut. Und doch.

Alles scheint wichtig

Annika Nuka Mathiassen spielt Sara, die beim Schultheaterkurs in offenem Begehren auf ihre Lehrerin Karen (Sofia Nolsoe) schaut, eine noch junge Frau, die gerade von den Färöer Inseln zugezogen ist in den fernen Süden Dänemarks. Die Kamera zeigt in langen Einstellungen die Klasse beim Einüben von „Antigone“ oder beim Diskutieren; sie zeigt die Arbeitsabläufe in der Fabrik von der Anlieferung der Zuckerrüben bis zu seltsam bunt leuchtenden Wasch- und Auskochprozessen, zeigt Kollektive und Industrieprozesse – und nimmt unvermutet Individuen in den Blick, um sie sogleich wieder im großen Ganzen vor sich selber zu schützen. Alles scheint gleich wichtig in „Limbo“ oder auch unwichtig und dient doch bei genauem Hinsehen einem einzigen, durchdringenden Gefühl.

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Seit Valeska Grisebachs unvergessenem „Sehnsucht“ (2006) waren das Nebeneinander einer überschaubaren Gesellschaft und das Aneinander einer misslingenden Liebe nicht mehr so scheinbar unverbunden auf der Leinwand zu sehen: hier die durchaus nicht unfreundliche, aber enge Welt, dort die implodierende Passion, die sich nicht bewältigen lässt, mit Wörtern am allerwenigsten. Und dann fügt eine zauberische Hand (Schnitt: Sofie Steenberger) doch alles gültig ineinander.

Saras Warten im Abenddunkel auf dem Moped bei laufendem Motor, bevor sie sich endgültig zu einem Überraschungsbesuch entscheidet. Karens Vergewisserungswege, allein. Nette Leute, die sich kennenlernen am Tresen. Ein Familienfest, angeknipst wie ein Schalter, und man gehört nicht dazu. Lachende, beschwipste Mädchen auf der Autorückbank. Alltagssätze, aus denen das Wesentliche hervorschimmert für eine Sekunde. Alltagsschweigen, in dem das Wesentliche spricht. All das hat ein gleiches Recht vor der geduldigen Kamera (Matilda Mester). Keine Moral, keine Psychologie. Nur das unvermeidliche Geschehen im Raum, und irgendwann ein bisschen lächerliches Schicksal noch dazu.

Soeben wurde Anna Sofie Hartmanns Film für den Nachwuchspreis nominiert, den der internationale Kritikerverband Fipresci demnächst beim Europäischen Filmpreis vergibt. „Limbo“ ist längst nicht mehr in der Schwebe, „Limbo“ fliegt von ganz allein.

Brotfabrik, fsk am Oranienplatz und Hackesche Höfe (alle OmU)

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