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 Ayiva (Koudous Seihon) in der Orangenplantage

© dpa

Film „Mediterranea“: Aufstand der Flüchtlinge

Gemeinsam mit Flüchtlingen hat der italienische Regisseur Jonas Carpignano gedreht und produziert. "Mediterranea" greift die Ratlosigkeit und die Sehnsucht der Flüchtlinge auf.

Außen. Nacht, flackernde Taschenlampen, unsteter Blick. In der libyschen Wüste, am Ufer des Mittelmeers, auf dem kaputten Schlauchboot, in den Elendsbaracken von Rosarno, Kalabrien. Die Flüchtlinge wissen nicht, wo sie sind, wo es hingeht mit ihnen, in der Dunkelheit, im grellen Scheinwerferlicht der Küstenwache. Der Film tut es ihnen gleich, hat keinen Durchblick, keine ordentlich kadrierten Bilder, kaum kann man die Protagonisten identifizieren bei so viel fahriger, gleichsam hin- und hergeschubster Handkamera. „Mediterranea“, der Debütspielfilm von Jonas Carpignano, ist vom Lebensgefühl der Klandestinen affiziert, vom prekären Dasein Asylsuchender. Jede Einstellung ein Suchbild.

Der junge Vater Ayiva (Koudous Seihon) und sein chaotischer Freund Abas (Alassane Sy) machen sich aus Burkina Faso über Algerien und Libyen auf den Weg nach Italien, Ayiva will eine bessere Zukunft für seine kleine Tochter. Alles in Ordnung, sagt er am Telefon, und dass er bald Geld schickt. Nichts ist in Ordnung: Auf dem Fußmarsch durch die Wüste werden sie überfallen, der Schlepper überlässt sie ohne Steuermann und mit kaputtem Außenbordmotor dem Unwetter auf dem Mittelmeer, in Rosarno warten Kälte, Hunger, die Plackerei auf einer Orangenplantage. Die Frauen unter den Immigranten sind Freiwild für die Halbstarken im Dorf, und die Mafia verlangt Schutzgeld, von allen.

Ratlos und überfordernd

Der italienische Regisseur hat den Film gemeinsam mit Flüchtlingen gedreht, vor wie hinter der Kamera. 2010 war es in der Kleinstadt Rosarno zu Straßenschlachten gekommen, Bewohner gegen Asylsuchende, mehr als 60 Verletzte. Auch der rechtschaffene Ayiva wird am Ende wütend Autofenster einschlagen, weil es nicht möglich ist, anständig zu bleiben, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Ein Hohn: Ausgerechnet der zusammengeschlagene Abas hat jetzt bessere Chancen – aus medizinischen Gründen. Dabei zeichnet „Mediterranea“ ein durchaus differenziertes Bild: Da ist die alte Dame, die alle nur Mama Africa nennen, während sie die afrikanischen Jungs auffordert, beim Essen die Mützen abzunehmen. Da ist der freundliche Plantagenbesitzer, der Ayiva zwar ausbeutet, aber zum Abendessen im Familienkreis mitnimmt. Da sind dessen freche Tochter Marta und der gewiefte Schwarzhändlerjunge Pio, der mit Ayiva kleine Deals aushandelt – Momente der Normalität. Aber wenn es drauf ankommt, sind sie alle nicht da.

Ein Film aus Schemen, aus Handlungsfetzen, so ratlos und überfordert wie seine Protagonisten. Die fröhliche Marta tanzt vor dem Fernseher zu Rihannas Song „We Found Love“, Ayivas kleine Tochter tut dasselbe beim Skype-Gespräch. Schöne neue globalisierte Welt: Die Sehnsucht ist überall gleich.

OmU: FT am Friedrichshain, fsk, Kant Kino, Kino in der Kulturbrauerei, Rollberg

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