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Wim Wenders.

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Filmemacher: Wim Wenders und der Sand der Dinge

Ihm verdankt die Filmgeschichte die eindrücklichsten Dokumente der alten Bundesrepublik. Reisender, Rockfan, Geschichtenerzähler: Dem Filmemacher Wim Wenders zum 65.

Der verlorene Blick. Das Zögern. Die Suchbewegung. Leere Straßenkreuzungen, Tankstellen, Kinos, die Fassaden der Fünfzigerjahre. Deutschland als Film noir, zur Musik von den Kinks oder Canned Heat. Hanns Zischler und Rüdiger Vogler, Bruno Ganz und Otto Sander. Alice in den Städten, das Gesicht des Mädchens mit den am Autofenster vorbeifliegenden Häusern und Bäumen. Nastassja Kinski hinter den Spiegeln, ihr Gesicht minutenlang in „Paris, Texas“, ein Mann redet, eine Frau hört zu, eine Nahaufnahme, ausnahmsweise.

Wim Wenders dreht längst andere Filme, in buntesten Farben, raffiniert digital, mit einigem Schauwert und Titeln wie „Don’t Come Knocking“ oder „Palermo Shooting“, mit Mel Gibson oder Campino. Der gebürtige Düsseldorfer, der schon als Kind lieber Landschaften fotografierte als Menschen, der Maler werden wollte und in seiner 68er-Zeit an der Münchner Filmhochschule zu den Sensibilisten zählte, der für „Der Stand der Dinge“ 1982 den Goldenen Löwen und für „Paris, Texas“ 1984 die Goldene Palme gewann, der bisher rund 40 Filme drehte und auch als Werbefilmer und Fotograf einen Namen hat – er fing irgendwann doch an, im Kino Geschichten zu erzählen. Elegische, bekennerhafte, auch pathetische Geschichten. Aber die spröde Poesie seiner frühen Filme mit ihrer Scheu vor der Narration hat sich doch am tiefsten eingeprägt.

Die Szene, in der Hanns Zischler im VW-Käfer in die Elbe brettert: Easy Rider im Zonenrandgebiet, im Roadmovie „Im Lauf der Zeit“. Der Moment, wenn Rüdiger Vogler und Alice in Wuppertal im Café sitzen, das Kind isst ein Eis, im Hintergrund lungert ein Junge an der Jukebox herum: stillgestellte Nachkriegszeit. „Röntgenbild eines gewesenen Deutschland“, hat Hanns Zischler solche Einstellungen später genannt.

Wim Wenders, Jahrgang 1945, verdankt die Filmgeschichte die eindrücklichsten Dokumente der alten Bundesrepublik. Seinen Blick dafür – und seine Geduld – hat Wenders am amerikanischen Western geschult und ihn mit der deutschen Romantik kurzgeschlossen. So öffnete er den Kinoraum für das scheinbar Unansehnliche, die Provinz, den Ruhrpott, den Kölner Hauptbahnhof (in „Falsche Bewegung“) oder die Brachfläche am Potsdamer Platz (im „Himmel über Berlin“). Seine Helden: wortkarge Männer, die aus der Wüste kommen und in die Wüste zurückkehren, verlorene Söhne, verlorene Väter. Seine Stoffe: Deutschland, die Hassliebe zu Amerika – dort hat er 16 Jahre gelebt und gedreht –, die Musik, die Filmkunst. Wer ihm je zuhörte, der vergisst die Mischung aus Unbekümmertheit und philosophischem Ernst nicht, das ständige Innehalten, wenn Wenders einen Satz baut. Die Scheu, sich festzulegen, eine Spur Verlegenheit ist immer da, bei aller Weltgewandtheit des Präsidenten der Europäischen Filmakademie und Jury-Präsidenten der großen Festivals.

Wim Wenders, der Reisende, der Rockmusikfreak, der mit Ry Cooder, Bono und Wolfgang Niedecken befreundet ist, der Fußballfan und bekennende Christ. Vielleicht hat es etwas mit seiner Kindheit zwischen Häuserruinen zu tun, dass er andere gern vor dem Vergessen bewahrt, indem er ihnen seine Bilder zu Füßen legt – Musikern wie den alten Kubanern vom „Buena Vista Social Club“, Kollegen wie Nicholas Ray (in „Nick’s Film“) oder Michelangelo Antonioni, dem er half, seinen letzten Film „Jenseits der Wolken“ zu realisieren. Dazu gehören Herzensgüte und Demut. Dennis Hopper spielte gleich zweimal für ihn; in „Palermo Shooting“ verkörperte er gar den Tod.

Ein Archäologe der Gegenwart, der dem Tod ins Handwerk pfuscht: Wim Wenders, der zur Zeit an einem Porträt der 2009 gestorbenen Choreografin Pina Bausch arbeitet, feiert heute seinen 65. Geburtstag. Christiane Peitz

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