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Akiko (Rin Takanashi) fährt im Taxi zu einem Freier.

© peripherfilm

Filmkritik: "Like Someone in Love": Japan mit den Augen des Iraners Abbas Kiarostami

Ein Callgirl. Ihr eifersüchtiger Freund. Ein alter Professor. Eine Verwechslung und ein paar Lügen: "Like Someone in Love" ist ein filmisches Divertimento der ganz besonderen Art.

Der iranische Regie-Großmeister Abbas Kiarostami, man weiß es, dreht gerne in Autos. Der 1997 in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnete „Geschmack der Kirsche“ spielt fast vollständig im Auto, „Ten“ (2002) ebenso, und sogar in seinem in Deutschland dussligerweise „Die Liebesfälscher“ betitelten Feinstwerk „Copie Conforme“ (2010) fahren Juliette Binoche und William Shimell zeitweise durch wunderbar besonnte toskanische Zypressenalleen. Das geschlossene System Auto ist dabei filmisch doppelt ergiebig: Es bietet Kiarostami allen Raum für seine vertrackt einfach scheinenden Dialoge, und das Bewegtbild des Kinos ergibt sich unterwegs von selbst.

Like Someone in Love“ – der Titel zitiert ein von Ella Fitzgerald gesungenes melancholisches Jazznachtstück und steht für das grundsätzliche „Als ob“ dieses Films – hat mit Autos erst mal nichts im Sinn. Der neuerdings weltreisende iranische Regisseur führt in eine elegante, abendlich illuminierte Tokioter Bar, in der unablässig Leute ein und aus gehen. Aus dem Klanggewirr erhebt sich die Stimme einer jungen Frau, die offenbar ihren lästig kontrollbedürftigen Freund am Telefon abwimmelt; erst nach einer Weile, fast lässig die Zuschauerneugierde befriedigend, hält die Kamera (Katsumi Yanagijima) auf ihr hübsches Gesicht. Akiko (Rin Takanashi) ist eine Studentin, die nebenbei als Callgirl arbeitet, oder vielleicht auch eher ein Callgirl, das nebenher studiert – und am Ende der rauschhaften, in Realzeit gefilmten Eröffnungssequenz wird sie, gedrängt von einem irgendwie weisungsbefugten älteren Herrn, dann doch zwecks Dienstfahrt in ein Taxi steigen.

Akiko und die Nachrichten auf ihrem Handy

Das Ziel ist Takashi (Tadashi Okuno), ein verwitweter Freier in der Vorstadt und emeritierter Professor, aber zuvor kommt es, auch dies erzählt Kiarostami in aller Seelenruhe, zu einem Dialog der sehr besonderen Art. Auf ihrem Handy hört Akiko mehrere Nachrichten ihrer Großmutter ab, die sich – für einen Tag in Tokio zu Besuch – mit der Enkelin verabreden will und ihr nun, abends auf dem Bahnhofsvorplatz, einen letzten Treffpunkt nennt. Die per Telefon im Zeitraffer herangeholten Tageszeiten münden ins Jetzt, und vom Rücksitz aus sieht Akiko eben dort eine Gestalt stehen, die ihre Großmutter sein könnte; sie lässt das Taxi ein paarmal den Platz umrunden, und zur stummen Antwort füllen ihre Augen sich mit Tränen.

Ist das, sehr früh, die eigentliche Mitte eines Films, der geschmeidig jede übereindeutige Fokussierung vermeidet; eines Films, der mit Spiegelungen spielt und immer wieder zentrale Handlungselemente außerhalb des Bildrands setzt? Wahrscheinlich, die Szene, die zu Kiarostamis Initial-Inspirationen für „Like Someone in Love“ gehört, spielt schließlich im Auto. Elegantes Beiwerk dürfte da das umständliche Willkommen Takashis sein, der das Mädchen in seiner bücherummantelten Wohnhöhle eher zum Abendessen einlädt als ins Bett; Akiko aber geht bald in das den Zuschauerblicken halb verborgene Schlafzimmer – ihre Dessous wirft sie in lustig-luftigem Bogen auf den Boden – und schläft ein.

Vom Melodram zum Boulevard

Ein leises Melodram um Verlorenheit und Familienabwesenheit, ein zartes Gefühlsgespinst um ein verfehltes käufliches Liebesarrangement – „Like Someone in Love“ könnte dieses oder auch jenes werden, bevor das Geschehen anderntags zur Boulevardkomödie tendiert. Zwar nicht eben über Boulevards, aber über Vorstadtstraßen chauffiert Takashi das Mädchen zur Uni, und nun steigt auch noch Akikos misstrauischer Freund Noriaki (Ryo Kase) zu. Den Alten hält er für Akikos Großvater – also inszeniert er sich artig als Akikos künftiger Ehemann und wechselt, er hat eine kleine Autowerkstatt, sogar flink den Zahnriemen des betagten Volvos aus. Takashi spielt das Verwechslungsspiel mit, ebenso die immer unsicherere Akiko, und als er im Auto beruhigungshalber „Que sera, sera“ anstimmt, scheint er damit ebenso seine eigene entspannte philosophische Grundhaltung wie Kiarostamis diesmal arg leichtgewichtig ausgefallenes DrehbuchNarrationsprinzip zu besingen.

Es kommt, wie es kommt, ziemlich plötzlich. Die schön betrügerische Balance, wie sie beim Trialog im Auto entsteht, hat keinen Bestand; das Spiel wechselt abrupt in Ernst, das Divertimento in finale Dissonanz. Auch wenn die dramaturgische Vollbremsung ihre Logik haben mag und der Regisseur dafür selbstredend eine kongeniale Entsprechung in Bild und Ton findet: schade eigentlich.

In Berlin in den Kinos Brotfabrik, fsk und Hackesche Höfe (alle OmU)

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