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Vangelis Mourikis als "Stratos"

© Falirohouse Prod.

Filmkritik: "Stratos": Griechenland, verwahrlost

Der Wettbewerbsbeitrag aus Griechenland zeigt ein geschundenes Land mit verzweifelten Menschen - die Verbrecherbeobachtung „Stratos“ wird so zum Film noir. Und sein Held - er ist der letzte Cowboy in der Zivilisationswüste.

Noch ein Ein-Mann-Film, nach all den Alleingänger-Filmen des bisherigen Wettbewerbs: Stratos ist Auftragsmörder, ein wortkarger Gangster in einer korrupten, restlos verrotteten Welt. Gier, Aggression, Zynismus, wohin man auch sieht. Die Sprache ist von derben Kraftausdrücken derart zersetzt, dass sie kaum noch als Kommunikationsmittel taugt, nicht nur unter den Gangstern des Syndikats und ihren Handlangern. Die engsten Freunde betrügen und verraten einander aufs Übelste. Und Vicky, die hübsche Nachbarin, bezahlt ihre Schulden, indem sie sich nicht nur selber prostituiert, sondern auch die kleine Tochter an den sexgeilen Gangsterboss verkaufen will.

Ein nachtfinsterer Film noir in Cinemascope, der auf Schrottplätzen spielt, in gesichtsloser Vorstadt, trostlosen Wohnungen – lauter Gegenwartshöllen. Ungerührt registriert die Kamera das Geschehen, erforscht die Gesichter, zeichnet die Fäkalsprache auf. Close-ups, scharfe Kontraste, strenge Montage: Regisseur Yannis Economides hat für seine Moritat über eine Gesellschaft ohne Moral eine bezwingende Bildsprache gewählt, nennt sie einen „Dokumentarfilm von der freien Wildbahn“. Es sind ohnehin die formal strengen Filme, die im Wettbewerb zu den stärkeren Beiträgen gehören.

Man erschrickt über Griechenland. Über die Verwahrlosung der öffentlichen Plätze. Über die Verzweiflung der Frau, die ihren Job in eben jener Backfabrik verliert, in der Stratos zur Tarnung Spinattaschen knetet. Die Krise wird nicht ausgestellt, ist aber allgegenwärtig. Mehr noch stockt einem der Atem wegen der Wiederkehr eines monströsen Motivs: Eltern, die ihre jüngsten Kinder prostituieren, tauchten erst kürzlich in einer griechischen Produktion auf, im Familiendrama „Miss Violence“. Auf dem Filmfest Venedig gewann es zwei Preise. Und die Verrohung der Moral studiert auch der Forums-Film „At Home“, in lichteren Bildern.

Economides gehört zur Generation des neuen griechischen Films (siehe Interview vom 10.2.). Hauptdarsteller Vangelis Mourikis – knochiges Profil, Stoppelbart, Tränensäcke, Lederjacke – war in einem der Filme bereits zu sehen, in „Attenberg“. Stratos ist ein Cowboy in der Zivilisationswüste, ein Gangster der alten Schule, der noch so etwas wie Anstand hat. Sein Schweigen paart sich mit wachsendem stillen Entsetzen; bald tötet er im eigenen Auftrag, richtet sich selbst. Eine Seele will er retten, eine einzige nur. Man ahnt die Vergeblichkeit auch dieser mit letztem Restsinn behafteten Tat. Christiane Peitz

12.2., 20 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 16.2., 21.30 Uhr (HdBF)

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