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Cao Yindi (l.) und Xie Fang in „Two Stage Sisters“ von Xie Jin (1964)

© Arsenal

Chinesische Film-Retrospektive im Arsenal: 24 Kostbarkeiten

Das Kino aus den Anfangsjahren der chinesischen Volksrepublik ist in Deutschland nahezu unbekannt. Jetzt zeigt das Arsenal Perlen aus der Filmgeschichte des Landes.

Mit der Fünften Generation und Namen wie Zhang Yimou und Chen Kaige wurde das Kino aus Festlands-China Mitte der achtziger Jahre auch im Westen anerkannt. Frühere Arbeiten waren bis heute in Berlin selten zu sehen: Abgesehen von einer Reihe 1985 und der Vorführunghang Yi von vier Stummfilmen mit der großartigen Ruan Lingyu beim Electric Shadows-Festival 1999 – Chinesen nennen die bewegten Bilder „elektrische Schatten“ – sind Interessierte auf kleinformatige Importe angewiesen. So ist es nun ein ganz besonderes Ereignis, wenn im Arsenal, gefördert vom Hauptstadtkulturfonds, den ganzen März über 24 Filme aus den Jahren 1929 bis 1964 auf die große Leinwand kommen. Der Bogen reicht von der ersten Blüte nationaler Filmproduktion in Schanghai bis zur Kulturrevolution, die das Filmschaffen Chinas bis auf wenige propagandistische Modellwerke zum Erliegen brachte. Gezeigt werden Klassiker wie Sun Yus „The Big Road“(1935), Fei Mus „Spring in a Small Town“ (1948) und „Two Stage Sisters“ (R: Xie Jin 1964), aber mit „Princess Iron Fan“ etwa auch der erste lange Animationsfilm, der 1942 im japanisch besetzten Schanghai entstand. Selbstverständlich vermitteln viele Filme aus der Frühzeit der Volksrepublik vor allem politische Botschaften – vom Kampf gegen die Kuomintang bis zur Landreform. Ihre Vielfalt ist dennoch beachtlich: Da ist Shi Huis düster epische Passionsgeschichte einer armen Pekinger Familie („This Life of Mine“, 1950) ), die auf volkstümliche Art die Frage nach Unterdrückung und aufrechtem Gang stellt. Und „Woman Basketball Player No. 5“ würde als im Sportinternatsmilieu angesiedeltes, fast luftiges Melodram nicht nur des Farbschmelzes wegen gut nach Hollywood passen. Regisseur Xie Jin, mit vier Filmen dabei, hatte die Kulturrevolution überlebt und war einer der wenigen, die nach 1980 wieder Filme machen durften. Shi Hui hatte sich dagegen schon 1957 das Leben genommen, als er ins Visier der Kampagne gegen Rechtsabweichler geraten war. Cai Chusheng starb 1968 ebenfalls während der Kulturrevolution. Er war der bedeutendste Vertreter der sogenannten Zweiten Generation, die ihre Sozialisation im krisen- und kriegsgeschüttelten Schanghai der dreißiger Jahre erlebt hatte. Aus der studentischen Bewegung des 4. Mai 1919 war ein gesellschaftlicher Aufbruch erwachsen, der Widersprüchliches lebendig verband – westliche Modernität und Nationalismus, liberale Ideen und sozialistische Revolution, Frauenrechte und Männerdominanz, auch im Filmgewerbe. Vor der Kamera repräsentierten die Heroinen fortschrittliche Anliegen – sei es als Kämpferin, gebeutelte Magd oder Hure wie in Yuan Muzhis „Street Angel" (1937) und unzähligen anderen Filmen. Nahezu selbstkritisch macht Chusheng das in „New Woman“ (1934) zum Thema. Dessen Plot konfrontiert das neue Frauenbild mit der sozialen Realität und lässt eine junge Schriftstellerin an Geldmangel und patriarchaler Moral untergehen. Gespielt ist diese Passion ganz modern ohne melodramatische Effekte. Gespenstisch bis heute, dass sich das Ende ähnlich ein Jahr später für Hauptdarstellerin Ruan Lingyu wiederholen sollte, die nach einer Rufmordkampagne Suizid beging. Neueren Recherchen zufolge haben allerdings weniger die Nachstellungen der Boulevardpresse als ein Liebesverrat die 25-Jährige in den Gifttod getrieben. 30 000 Menschen folgten dem Trauerzug des Stummfilmstars, heißt es. Ihre absolut undivenhafte Darstellungskunst lässt sich auch in zwei anderen Filmen der Reihe sehen. Expressiv antinaturalistisch ist Shen Xilings „Crossroads“ (1937) inszeniert. Die Geschichte erinnert an Ludwig Bergers „Ich bei Tag und du bei Nacht“ von 1932; nur logieren hier die Arbeit in der Großstadt Suchenden in so engen Räumen, dass die ausgehängte Wäsche beim Nachbarn ins Bett tropft. Doch aus diesen Verhältnissen bezieht der ungeheuer frisch erzählte Film Witz und soziale Brisanz. Am Ende verschwinden die Helden nicht paarweise im Schlafzimmer, sondern marschieren als Vierergruppe Arm in Arm mit einem revolutionären Lied auf den Lippen. Kurz nach dem Dreh besetzte das japanische Militär die Stadt, es folgte – nach dem Kuomintang-Regime von 1927 – eine zweite Fluchtwelle von Filmschaffenden nach Hongkong. Was aus dem revolutionären Impetus wurde, wissen wir. Auch deshalb ist es faszinierend, im Kino noch einmal die Uhren auf Anfang zu stellen.

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