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Finnische Künstler in Berlin: Die Stadt, die einen niemals schlafen lässt

Für finnische Künstlerinnen und Künstler wirkt Berlin wie ein Magnet: die Mischung aus Freiheit, Internationalität, Inspiration lockt sie weiterhin in die Stadt.

Es ist ein Phänomen. Nur 20, vielleicht 25 finnische Künstler soll es geben, die in Berlin leben und arbeiten. Mehr fallen auch Merja Sundström und Heini-Tuuli Onnela nach intensivem Nachdenken nicht ein, wenn sie nachzählen, wie viele ihrer Landsleute in der deutschen Hauptstadt ein Atelier unterhalten. Weniger als die beiden Botschaftsreferentinnen ist man als Berliner über die Zahl erstaunt.

Die Community erschien einem immer sehr viel größer. Das mag an den Aktivitäten liegen, die finnische Künstler in Berlin entfalten. Ebenso an einem äußerst regen Kultur-Institut gleich neben dem Bahnhof Friedrichstraße, finnischen Galerien, die die Kunst ihres Landes repräsentieren, am weit ausstrahlenden Salon Dahlmann in der Marburger Straße, hinter dem der Geschäftsmann und Sammler Timo Miettinen aus Helsinki steckt.

Berlin als Zeichen für eine ambitionierte Karriere

Und doch verlassen viele finnische Künstler auch wieder die Stadt. Der Maler und Bildhauer Jussi Niva, der parallel immer an der Kunsthochschule in Helsinki unterrichtete, ist 2017 gänzlich zurückgekehrt. Der Fotograf Markus Henttonen zog letztes Jahr nach Barcelona weiter – wegen des hervorragenden Naturlichts das ganze Jahr über, wie er schwärmerisch auf seiner Website schreibt.

Die Design-Galerie Kippis von Kari und Susanna Kenetti, die über zehn Jahre lang in der Torstraße finnische Vintage-Möbel, Glasobjekte und Leuchten verkaufte, hat seit vergangenem Jahr geschlossen. Gewiss, es fehlte an zahlungskräftiger Kundschaft, aber das war weniger der Grund für die Schließung, so Kari Kenetti am Telefon. Ihn veranlasste vor allem die Vorbereitung einer großen Ausstellung in der Helsinki Kunsthalle, die Zelte hier abzubrechen. Bröckelt also Berlins Ruf als erster Anlaufstelle für finnische Künstler im Ausland, ja als Ausgangspunkt für den internationalen Erfolg? „Based in Berlin“ in der Biographie, das galt bisher immer als Indiz für eine ambitionierte Karriere.

Farbenfroh. Das Atelier von Kirsi Mikkola.
Farbenfroh. Das Atelier von Kirsi Mikkola.

© Heini-Tuuli Onnela

Laura Hirvi, Direktorin des Finnland-Instituts, hat als Ethnologin die Mobilität zeitgenössischer finnischer Künstler in Berlin untersucht. Sie kommt zu einem anderen Resultat. Berlin besitzt weiterhin eine starke Zugkraft für die Künstler aus dem Norden, so ihre Erkenntnis. Nur geben sie sich weniger Illusionen hin als vor zehn Jahren. Damals besaß der Wowereit-Slogan „Arm, aber sexy“ den größten Appeal. Kreative strömten nur so in die Stadt.

Zu ihnen gehörte auch Eemil Karila. In seinem Atelier in der Oldenburger Straße gegenüber dem Dominikanerkloster St. Paulus in Moabit steht ein riesiges surrealistisches Gemälde mit dem Titel „Traumvision“. Es zeigt einen Jungen im Matrosenanzug am Steuer eines Schoners mit allerlei ungewöhnlichen Passagieren an Bord: eine doppelschwänzige Meerjungfrau, eine überdimensionale Sonnenblume, deren Blütenblätter aus Schweinen gebildet sind, ein behostes Gerippe mit Lutscher in der Knochenhand.

Man kennt sich in der Szene

Der Knirps ist das Alter ego des Malers, der hier in eine ungewisse Zukunft aufbricht. Astrid Lindgrens berühmter Michel aus Lönneberga heißt im Original Eemil. Karila hat sich künstlerisch immer wieder mit dieser Figur identifiziert und sie in verschiedenen Rollen gemalt, diesmal als kleiner Seemann. Nach Abschluss seines Kunststudiums in Venezuela, Tallinn und Helsinki versuchte Karila als nächstes in Berlin sein Glück und blieb. Seine gemalte „Traumvision“ zeigt, was er künstlerisch im Gepäck hat. In seinem Film „Between me and you“ befindet er sich ebenfalls auf dem Weg nach Berlin, diesmal im Anflug auf Tegel. Aus dem Off liest eine Stimme aus einem Brief von ihm vor: „Übrigens ist hier jeder Künstler. Ich bin mir nicht so sicher, ob die Stadt noch einen weiteren braucht.“

Zu Besuch. Gäste im Atelier von Nina Lehtonen.
Zu Besuch. Gäste im Atelier von Nina Lehtonen.

© Heini-Tuuli Onnela

Genau diese Härte der Stadt, die Fülle, die Anonymität im Vergleich zur heimischen Community, dem überschaubaren Helsinki, verspüren die finnischen Künstler hier sehr genau. „Wenn ich ginge, würde niemand nach mir fragen“, behauptet auch Niina Lehtonen-Braun. Sie lebt seit 2000 in Berlin. Zusammen mit ihrem Mann Ulu Braun, den sie an der Akademie in Helsinki kennenlernte und der als nächstes an der Filmhochschule Babelsberg weiter studieren wollte, wechselte sie nach Berlin. Das junge Paar bekam zwei Kinder, für Niina Lehtonen-Braun bedeutete dies ein Bruch in ihrer eigenen Karriere. Aus dieser Erfahrung, plötzlich vor allem Mutter zu sein und sich als Tochter wiederum um die eigene Mutter kümmern zu müssen, bezieht sie bis heute ihre kreative Kraft.

Kritisch, humorvoll, leidenschaftlich ausufernd setzt sie sich mit den Themen Mutterschaft und Alkoholismus auseinander. Die Wände ihres Ateliers in einem Weddinger Fabrikgebäude sind überwuchert mit Sprüchen, aquarellierten Selbstdarstellungen, Collagen. In dem großartigen Künstlerbuch „Mother said“ (Kerber Verlag, 24 Euro) hat sie die verschiedenen mütterlichen Redensarten zu einem Bildband vereint, darunter „Iss wenigstens das Fleisch“. Für das autobiografische Bilderbuch des finnischen Fotografen Mika Mario Minetti, „It happened in Berlin: Art, Love and Fashion“ (Verlag Minetti Works, 30 Euro) schuf sie die Illustrationen. Man kennt sich in der Szene, arbeitet zusammen. Mit Eemil Karila wiederum unterhielt Minetti in der Schöneberger Crellestraße zwei Jahre lang die Off-Galerie Musterzimmer – wie Niina Lehtonen-Brauns Atelier finanziert durch ein finnisches Förderprogramm. Auch das ist typisch: Vielen Künstler aus Skandinavien ist der Berlin-Aufenthalt erst durch ein Stipendium aus der Heimat möglich.

Die Stadt ist ein wacher Ort

Minettis Buch ist eine Hommage an die Hauptstadt geworden, denn hier fand der Fotograf die ersehnte Freiheit für seinen exzessiven Lebensstil, die Möglichkeit zu nächtelangem Clubbing, vor allem aber künstlerische Inspiration. Dass es ihn woanders hinziehen könnte, deutet er in der Einführung an. Bei der Buchpräsentation im Finnland-Institut gibt er jedoch zu bedenken, dass es schwer sein dürfte, einen anderen Ort zu finden. Das säkulare Berlins biete ihm Schutz. Die zunehmende Religiosität und damit einhergehende Reglementierung etwa in Städten Osteuropas erlebe er als Bedrohung.

Für Kirsi Mikkola, die weniger nach Helsinki als nach Wien pendelt, wo sie an der Akademie eine Professur innehat, steht Berlin als Lebensmittelpunkt fest. Hier hat sie an der Universität der Künste in den 80er Jahren Malerei studiert, hierhin ist sie nach einem mehrjährigen New-York-Aufenthalt zurückgekehrt. „Die Stadt ist ein wacher Ort“, benennt sie die wichtigste Eigenschaft ihrer Wahlheimat. „Man kann hier nicht schlafen.“ Der vitale Austausch, die Begegnungen mit Künstlern, das internationale Flair halten sie in Berlin. An der Schönhauser Allee, mit Fenster zum Park, hat sie für sich das ideale Atelier gefunden: ein urbanes Ambiente mit Blick auf die Natur. Für eine finnische Künstlerin die perfekte Kombination.

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