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Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gehören auch in der Geschichte von Michael Jürgs zum Alltag.

© Illustration: Anna Krauß

Fortsetzungsroman von Michael Jürgs: Wer ist der Täter? Heute startet ein Politkrimi

Die Geschichte der Fortsetzungsromane reicht ins 19. Jahrhundert zurück. Der Tagesspiegel knüpft mit Michael Jürgs "Und erlöse uns von allen Üblen" an diese Tradition an.

Und wie geht die Geschichte weiter? Es ist eine menschliche Frage, ein Grundbedürfnis, das befriedigt sein will. Wer hat es getan? Der Fortsetzungsroman gehörte einmal zur Zeitung wie die Schlagzeile und das Caféhaus. Das Genre entstand im 19. Jahrhundert in Frankreich und verbreitete sich schnell in Europa, man spricht auch vom Feuilletonroman. Dostojewski war in dieser Art zu schreiben und zu publizieren bewandert, ebenso Alexandre Dumas und Balzac.

Der Tagesspiegel greift die große Tradition des Zeitungsromans wieder auf – im Internet. Man wird ihn unterwegs lesen. Und rätseln, wer der Mörder ist: Von diesem Freitag an erscheint online auf Tagesspiegel.de täglich der Polit-Krimi „Und erlöse uns von allen Üblen“ des Journalisten und Autors Michael Jürgs. Er spielt 100 Tage vor einer fiktiven Bundestagswahl. Mord, Totschlag, Korruption, Machtgier, auch ein bisschen Liebe, alles sei dabei, verspricht Jürgs. Und er verrät nur so viel über die Handlung: Der Parteichef der erfolgreichen rechten „Nationalen Alternative“ wird erschossen. Dahinter stecken Männer, die Mord mit einer höheren Moral begründen.

Mit Sue fing alles an

Aber das ist erst der Anfang. Bei Jürgs wird alles an der Wirklichkeit gespiegelt, wie einst bei Eugène Sues „Die Geheimnisse von Paris“. Mit Sue fing alles an. Seine Geschichten aus der Unterwelt sind die Mutter aller Fortsetzungsromanschlachten. Eine historische Kostprobe:

„Es war im letzten Monat des Jahres 1838, am 13. Dezember. Ein kalter, regnerischer Abend. In einer dürftigen Bluse passiert ein Hüne von Mann den Pont-au-Change, zur inneren Stadt hinein, um sich in dem schauerlichen Gewirr von finsteren, engen Gässchen zwischen dem Justizpalast und Notre-Dame zu verlieren. Es stürmte heftig. (...) Vom Justizpalaste schlug es zehn. Unter den niedrigen, gewölbten Türen, die zu Höhlen zu führen schienen, hockten Weiber, mit halblauter Stimme Stücke aus Volksliedern vor sich hin trällernd. Eins von den Weibern musste dem Mann bekannt sein, denn er blieb vor ihm stehen und fasste es am Arme.“

Der Kerl, der da durch Paris streift, ist Rodolphe de Gerolstein, Held der „Geheimnisse von Paris“. Fast täglich konnten die Leser des „Journal des Débats“ zwischen Juni 1842 und Oktober 1843 die Abenteuer des Grafen im Elend der Stadt verfolgen und seine selbstlosen Taten als Helfer unverschuldet in Not Geratener miterleben.

Was Frankreich vormachte, wurde in Deutschland begeistert aufgenommen

Die Storys vom Pariser Verbrecherleben brachten ihrem Autor auf einen Schlag literarischen Ruhm, und die Blätter erkannten, dass sich mit häppchenweise gelieferter Literatur trefflich Auflage machen lässt.

Was Frankreich vormachte, wurde auch in Deutschland begeistert aufgenommen. Als die Zensur nach 1848 lockerer wurde, nutzten auch deutsche Zeitungen den Roman als Werbung. Mit Georg Weerths „Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski“, in 21 Folgen ab August 1848 in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ erschienen, begann es. Und so ging es weiter. Ob Meinungszeitung, Parteiorgan oder populäres Wochenblatt: Am Fortsetzungsroman kam keiner mehr vorbei, sei es zur reinen Unterhaltung oder zu politischer Propaganda.

Sues „Geheimnisse“ beschrieben wie fast alle frühen Zeitungsromane noch die unmittelbare Wirklichkeit der Leser, auch Weerths „Ritter Schnapphahnski“. „Der Fluch des Pharao“ von Rudolph Stratz („Berliner Lokalanzeiger“, 1934) oder Karl Unselts „Der Arzt aus Leidenschaft“ („Berliner Morgenpost“) öffneten zudem Blicke in andere Welten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war bis zur Aufhebung der Lizenzpflicht durch die Alliierten 1949 erst einmal das Papier so knapp, dass die deutschen Zeitungen auf den Roman verzichteten. Doch Anfang der fünfziger Jahre, als die Zahl der Zeitungen enorm stieg, wurde er zum Werbemittel im Wettbewerb um die Gunst der Leser.

Und die hatten Bedarf. „Der Zeitungsroman ist unsere einzige Lektüre. Wir haben alle Bücher verloren und können aus finanziellen Gründen keine neuen anschaffen“, schrieb 1951 ein Leser des „Münchner Merkur“. Der Fortsetzungsroman mit zumeist unpolitischer Unterhaltung (sieht man einmal von denen in der DDR-Presse ab) blühte. Der Tagesspiegel druckte als ersten Roman Franz Werfels „Das Lied von Bernadette“. Dann kam das Wirtschaftswunder. Die Buchverlage hatten wieder Geld und Papier.

Heute ersetzen Blogs die Fortsetzungsgeschichte

Vor allem das Fernsehen mit seinen Krimi-Mehrteilern beschleunigte den Niedergang des Zeitungsromans. Dazu kam die Unsicherheit über das, was man den Lesern bieten sollte. „Der Zeitungsroman, den ich morgens beim Frühstück oder auf dem Weg ins Büro in der U-Bahn lese, braucht nicht auch noch Ansprüche an meinen Geist zu stellen“, ließ ein Leser den Tagesspiegel wissen. Der Fortsetzungsroman wurde zum Problem und verschwand allmählich aus den Blättern. Und dann sorgte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ noch einmal für Aufsehen, als sie von Ende Februar bis Anfang Mai 1996 im Feuilleton „Finks Krieg“ von Martin Walser veröffentlichte. Der Roman um den Streit eines Beamten mit der hessischen Staatskanzlei löste heftige Debatten aus, weil er Realität und Fiktion verband.

Kurz darauf brachte die „taz“ mit „Der Barbier von Bebra“ von Wiglaf Droste und Gerhard Henschel einen Kriminalroman als politische Satire auf die Zustände in Ost- und Westdeutschland. Gleich zu Beginn wird Wolfgang Thierse, der damalige SPD-Vize, ermordet aufgefunden. Das kam nicht überall gut an, aber ein Riesenskandal wurde es auch nicht.

Heute ersetzen Blogs gewissermaßen die Fortsetzungsgeschichte. Auch Buchverlage arbeiten an dieser Form, wie zuletzt Hanser mit Tilman Rammstedts Roman „Morgen mehr“, der zuerst online täglich publiziert wurde. Michael Jürgs hat für seinen Roman im digitalen Zeitalter einen zeitlosen Titel gewählt: „Und erlöse uns von allen Üblen“ lässt der kriminellen Fantasie freien Lauf. Am 23. September wird der Fall gelöst. Am Tag vor der echten Bundestagswahl 2017 erscheint der letzte Teil bei tagesspiegel.de. „Bis dahin werden Sie nicht wissen, wer es war“. Das garantiert unser Krimiautor.

Die erste Folge von "Und erlöse uns von allen Üblen" können Sie hier lesen.

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