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Selbstporträt des aus Eritrea geflüchteten Abel Meseen

© Abel Meesen / Haus am Kleistpark

Fotografie im Haus am Kleistpark: Schaut her, ich lebe

Das Haus am Kleistpark zeigt in zwei Ausstellungen bewegende Menschenbilder. Dabei treffen Handyfotos von Geflüchteten auf die eindringlichen Werke von Adriana Lestido.

Die Stiefmütterchen sind ihnen bemerkenswert erschienen. In voller Blüte prangen sie leuchtend gelb und burgunderrot an der Wand. Nicht gerade ein Motiv, das man in einer Ausstellung künstlerischer Fotografie häufig sieht, stellt Kurator Peter Fischer-Piel fast ein wenig entschuldigend fest. Zu kitschig, zu piefig, viel zu naheliegend auch als das Symbol eines ordnungsliebenden Deutschlands akkurat bepflanzter Rabatten.

Im Haus am Kleistpark haben sie trotzdem einen zentralen Platz in der Ausstellung „Zwischen Welten – Abschied, Ankunft und Ankommen“ bekommen. Sahar, Sara und Mohammad Abdulqasem haben die frisch gepflanzten Blümchen im April 2016 fotografiert. In ihren Augen stehen sie ganz offensichtlich für eine heile, friedliche Welt. Das hat die Stiefmütterchen ausstellungstauglich gemacht.

Die Fotografinnen und Fotografen, die Peter Fischer-Piel im Herbst 2015 für das in die Schau mündende Projekt gewonnen hat, haben aus guten Gründen ihren eigenen Blick auf die Welt. Sie sind Flüchtlinge und – abgesehen vom Journalisten Ahmad Yasinde – allesamt fotografische Laien.

"Freunde" von Abel Meesen
"Freunde" von Abel Meesen, Berlin 2016.

© Abel Meesen / Haus am Kleistpark

Der Mensch ist Augentier

In berührenden, meist mit dem Handy gemachten Fotos dokumentieren die Eritreer, Afghanen oder Syrer die Idyllen und Höllen der Heimat: den liebevoll bewässerten Garten in Damaskus, die verschneiten Hügel Afghanistans, die blutüberströmten Kinder in Aleppo. Menschen, die mit Plastiktüten in der Hand über Felder wandern – das ist die Balkanroute. Und die von Bäumen gesäumten, spiegelglatten Gewässer, die liegen in Orten wie Schwerin oder Berlin.

Der Mensch ist ein Augentier. Kaum in Deutschland angekommen, sammeln die Geflüchteten ihre Eindrücke – vom Potsdamer Platz, den Brandenburger Äckern oder auch der christlichen Kultur mit Kruzifixen, Krippenfiguren und Schokoladenweihnachtsmann. Sich selbst, die Unterkunft, ja sogar das Essen zu fotografieren, sei ihnen extrem wichtig, hat Fischer-Piel festgestellt. Als Selbstvergewisserung, als Dokument, das sagt: „Hey, ich bin am Leben!“.

Adriana Lestidos "Mutter und Tochter auf dem Plaza del Mayo"
Adriana Lestidos "Mutter und Tochter auf dem Plaza del Mayo" (1982).

© Adriana Lestido / Haus am Kleistpark

Das könnte man auch über die Fotografien von Adriana Lestido schreiben, die ein paar Treppen höher in der weitläufigen Ausstellungshalle zu sehen sind. Die Schwarzweiß-Fotos sind deutlich mehr vom Willen zur Gestaltung, von künstlerischer Absicht geprägt und in ihrer professionellen Distanz genauso kraftvoll wie die durch die persönlichen Erlebnisse aufgeladenen Bilder der Geflüchteten.

„Was zu sehen ist“ ist die erste Retrospektive der 1955 geborenen Argentinierin, die in Deutschland gezeigt wird. Ihr ikonisches Demonstrationsfoto „Mutter und Tochter auf der Plaza de Mayo“ (1982) aus der Endphase der Militärdiktatur ging damals um die ganze Welt. Sie selbst engagierte sich gegen die Junta. Ihr 1978 „verschwundener“ Ehemann gehört zu deren verschollenen Opfern.

Die Kamera fängt keine Opfer ein

Lestido, die ihre Karriere als Fotoreporterin für Zeitungen begann, bevor sie sich der künstlerischen Fotografie zuwandte, ist für ihre politisch- und sozial engagierten Motive bekannt. Ihre beeindruckenden dokumentarischen Serien wie „Kinder- und Jugendkrankenhaus“, „Gefangene Frauen“ und „Mütter und Töchter“ sind in der Ausstellung zu sehen. Auch hier fängt die Kamera keine Opfer ein. All die in fein komponierter Licht- und Schattendramaturgie abgelichteten Frauen sind, wenn schon nicht Meisterinnen des eigenen Geschicks, zumindest Herrinnen ihres Blicks. Das verbindet sie mit den Fotos der Geflüchteten.

Adriana Lestidos Geschick, Nähe zu den von ihr porträtierten Frauen herzustellen, ist in jeder Einstellung spürbar. So entstehen dramatische Szenen, wie die Aufnahme einer inhaftierten Mutter, die sich von ihrer kleinen Tochter trennen muss, die sich panisch an sie klammert. Aber auch sagenhaft sprechende Stillleben wie das einer Frau, die sich unter einem Bettlaken versteckt. Die dunklen Haare schlängeln sich wie Wasserpflanzen. Die Hand ist in einer abwehrenden Geste eingefroren. Bis hierhin und nicht weiter darf sie gehen, die Menschenfotografie.

Haus am Kleistpark, bis 11. Dezember, Di-So 11-18 Uhr

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