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Zeitreisende. Maren Menzel, Peter Priegann und Gianni von Weitershausen spielen im Görlitzer Park.

© Shakespeare im Park Berlin

Freilufttheater: König Heinrich isst einen Kebab

Utopie zu verkaufen: Eine Berliner Shakespeare-Truppe mischt Klassiker mit eigenen Ideen – im Görlitzer Park.

Ein Sommerabend im Görlitzer Park: Großfamilien picknicken, Kinder spielen Federball und Frisbee, Grilldüfte vermischen sich mit Cannabisgerüchen, die Hipster im schrillen Look sitzen Bier und Club Mate trinkend auf den Stufen am Amphitheater, die Dealer hängen an den Wegen im südöstlichen Teil des Parks ab. Dazwischen Figuren in pompösen Renaissance-Kostümen und futuristischer Plastik-Funktionskleidung, die zu Achtziger- Jahre-Synthie-Sound Verse rezitieren. Es ist wieder so weit: Die „Shakespeare im Park“-Saison ist eröffnet.

Letztes Jahr feierte die Theatergruppe Shakespeare im Park Berlin mit „Heinrich der Vierte“ ihren Einstand, die diesjährige Inszenierung basiert gleich auf zwei Shakespeare’schen Stücken, „Heinrich der Achte“ und „Sir Thomas More“. „Utopia™ – Where All Is True“ beginnt mit einer Szene auf dem Marktplatz: Die Londoner Bürger proben den Aufstand gegen Unterdrückung und Ausbeutung. Übertragen auf das Hier und Jetzt ist das auch ein Protest gegen die Gentrifizierung. „Zu dieser Inszenierung passt der Görli mit seinem vielfältigen Publikum besonders gut: Hier findet man alle, die Urberliner, die Familien mit Migrationshintergrund, die Hipster von überallher“, sagt Schauspieler Brandon Woolf.

Wie funktioniert es, eine Gesellschaft aufzubauen, in der alle zufrieden zusammenleben? Anfang des 16. Jahrhunderts entwarf Sir Thomas More in seinem essayistischen Roman „Utopia“ eine neue Gesellschaftsordnung, in der alle Bürger gleich sein sollen. Der Privatbesitz wird abgeschafft, auch König und Königin müssen arbeiten; wer sich selbst bereichert, wird bestraft und als Sklave in goldene Ketten gelegt. Denn in dieser neuen Gesellschaft sind Geld und Gold nichts wert; was zählt, sind die ganz alltäglichen Dinge und das Zusammenleben der Gemeinschaft. Im Stück „Utopia™“ wird dieses Modell aber noch weitergesponnen: „™“ steht für Trademark (deutsch: Warenzeichen) und dass es im Titel auftaucht, deutet den Handlungsverlauf an: Was als alternative Gesellschaftsform beginnt, wird zum Produkt, das vermarktet und verkauft werden soll. Kann das gut gehen oder ist das Produkt Utopie zum Scheitern verurteilt?

Kinderschaukeln verwandeln sich in Folterinstrumente, Rutschen in Exekutionsorte, Picknickwiesen in einen Bankettsaal. „Der Park ist deshalb so gut geeignet, weil er für seine recht kleine Fläche so vielschichtig ist und man über kurze Wege die verschiedensten Spiel-Orte erreichen kann“, sagt Katrin Beushausen, Regisseurin und Mitbegründerin der Gruppe.

Shakespeare im Park hat in den USA eine lange Tradition, 1957 fand die Premiere im New Yorker Central Park statt. Die Idee, den englischen Klassiker in einen Berliner Park zu holen, hatte Maxwell Flaum, gebürtiger Amerikaner und seit acht Jahren Wahlberliner – natürlich im Görli. Shakespeare rezitierend stand er mitten im Park und fand gleich, dass dieser Ort mit der Multikulti-Atmosphäre wie gemacht ist für solche Performances. Mit Katrin Beushausen, die zufällig nicht nur seine Schwägerin, sondern auch Regisseurin, Dramaturgin und Doktorandin der Theaterwissenschaft ist, fand er eine begeisterte Mittäterin. Beushausen wiederum lernte während ihres Studiums in Berkeley Schauspieler Brandon Woolf kennen, der seit 2008 jeden Sommer in Berlin verbrachte und 2011 ganz herzog. Mit dem Architekten Alberto di Gennaro und der Dramatikerin Christina Kettering war das Gründungsteam komplett.

Was hat sich seit dem ersten Mal Shakespeare im Park verändert? „In einer Hinsicht haben wir dazugelernt: Wir versuchen, stärker dafür zu sorgen, diejenigen, die keine Lust auf das Stück haben und einfach in Ruhe im Park sitzen wollen, nicht zu stören“, sagt Maxwell Flaum. Letztes Jahr kam es fast zu einer Prügelei, als bei einer der ersten Aufführungen ein besonders großes Publikum die Performance durch den Park begleitete. Zum Glück beruhigte sich die Situation und es blieb bei diesem einen Zwischenfall. Seitdem geht das Team vor jeder Aufführung zwei Stunden durch den Park, verteilt Flyer, lädt zum Zuschauen ein und bittet um Verständnis für etwaige Störungen.

Viele Parknutzer lernten die Gruppe schon während der Proben, die im Mai begannen, kennen. „Bei der ersten Probe für eine Tanzszene bekamen wir unerwartet Unterstützung von einer Gruppe Kinder, die einfach mittanzten. Und dann haben sie König Heinrich sogar auf einen Kebab bei ihren Familien eingeladen“, erinnert sich Flaum lachend.

Mit den Vorbereitungen hat das Team schon früh begonnen: Mit dem Abschluss des letzten Projekts im August 2011 begann die Planung des neuen. Von der Projektentwicklung bis zu den Proben passiert alles in der Freizeit der Gruppenmitglieder. „Unser Geld verdienen wir mit anderen Jobs. Es gibt so viele tolle Theaterprojekte, aber es mangelt an finanziellen Mitteln. Das ist ein generelles Problem der freien Kulturszene in Berlin“, sagt Katrin Beushausen.

Letztes Jahr gab es gar keine Bezahlung, dieses Mal ermöglichen Spenden und Fundraisingkampagnen immerhin ein kleines Gehalt für die Schauspieler. Der Eintritt bleibt weiter frei. Das gehört zum Konzept, ebenso wie die Zweisprachigkeit. Zum 14-köpfigen Team gehören neben Deutschen und Amerikanern auch ein Italiener, eine Spanierin und eine Brasilianerin; die Musik steuert das kanadische Synthiepop-Duo Trike bei. Die Arbeitssprache ist eine bunte Mischung aus Deutsch und Englisch, und auch im Stück wird fließend zwischen beiden Sprachen gewechselt. Das bedeutet aber nicht, dass das Publikum perfekt Englisch verstehen muss. Die Schlüsselszenen werden immer in beiden Sprachen, oder auch pantomimisch, verständlich gemacht.

Auch logistische Herausforderungen müssen bei einer Performance im Freien bedacht werden: Wie transportiert man die Requisiten durch den Park? Wo steht das Publikum am besten, ohne einander, die Schauspieler und andere Parknutzer zu stören? Kommt es beim Standortwechsel zu Gedränge, etwa beim Überqueren der Brücke? Da ist viel Improvisationstalent gefragt. Die utopischen Plastikkostüme, die im Laufe des Stücks die Renaissance-Kleider ersetzen, fungieren als Sammelbehälter für kleinere Requisiten, Teile des Bühnenbilds tauchen in anderer Funktion wieder auf.

Das hat neben dem praktischen Effekt auch einen inszenatorischen Sinn: „Wir spielen mit diesen zwei Welten, der realen und der des Stückes. Wir wollen das Bestehende transformieren und daraus Neues schaffen“, erklärt Katrin Beushausen. Dazu gehört auch, die Zuschauer zu integrieren, damit umgehen zu können, wenn Kinder durch die Szene toben – was durchaus gewünscht ist – oder wenn es anfängt zu regnen. „Wenn wir eins gelernt haben, dann, dass die Wettervorhersagen nie stimmen“, sagt Brandon Woolf. Bei starkem Regen wird die Performance eben für einige Minuten unterbrochen. „Gerade das ist ja das Spannende: Im Gegensatz zur klassischen Theatersituation ist die Performance im Park immer unberechenbar“, findet Katrin Beushausen. Von Unwägbarkeiten lässt sich die Gruppe nicht beirren, das Konzept fürs nächste Jahr ist bereits in Arbeit: „König Lear“ soll gezeigt werden. Natürlich wieder im Görli.

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