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Licht und Schatten. Die Frauenkirche in Dresden, ein Symbol. Wo aus Ruinen eben noch Wiederauferstehung und Zukunftshoffnung wurden, beginnen die Touristen zurückzuschrecken und die Zivilgesellschaft muss ihre Werte neu verteidigen.

© dpa

Fremdenfeindlichkeit in Sachsen: Dresden will nicht Dunkeldeutschland sein

Seit einiger Zeit denkt man bei der Stadt Dresden nicht mehr nur an die Frauenkirche - sondern auch an Pegida und Rassismus. Touristen bleiben weg. Die Kulturszene warnt.

Dresden leuchtet. Seit im Oktober vor zehn Jahren die im Feuersturm 1945 zerstörte Frauenkirche in ihrer barocken Gestalt wundersam neu erstanden ist, erschien dies als weltweites Zeichen einer Wiedergeburt: zwar nicht mehr des ganzen alten Elbflorenz, aber doch eines anverwandelten, Vergangenheit und Zukunft verknüpfenden Aufbruchs.

Inzwischen aber gehört Dresden auch zu einem Stück jenes „Dunkeldeutschlands“, das der Bundespräsident mit Blick auf die Auseinandersetzungen um Flucht und Asyl in Teilen erkennt. Eine der strahlendsten Institutionen der sächsischen Metropole (und Kulturdeutschlands), die Semperoper, hatte schon im Winter bei einer der großen, von Dresden ausgegangenen Pegida-Demonstrationen die eigene Beleuchtung abgestellt. Um nicht als Hintergrundillumination der Fremdenfeindlichkeit zu dienen. Ähnliches veranstaltete Berlin mit dem einen Abend lang verdunkelten Brandenburger Tor. Statt Lichterkette und Aufklärung („enlightenment“) freilich ein eher resignativ zu verstehendes Zeichen.

Jenseits aller Symbolik sind jetzt neueste Zahlen, die diese Woche Bettina Bunge, die Chefin der stadtoffiziellen Dresden Marketing GmbH vorgelegt hat. Fünf Jahre lang hatte sie an der Elbe immer neue Besucherrekorde melden können. Nun aber heißt es, der Übernachtungstourismus sei im ersten Halbjahr um 3,2 Prozent auf klar unter zwei Millionen Besucher zurückgegangen. Und dies in einer Zeit, in der deutsche Großstädte wie Hamburg, Berlin, München oder Frankfurt/Main alle Steigerungen vermelden und Städtereisen allgemein boomen.

„Dresden lebt ganz wesentlich vom Kulturtourismus“

Bei Dresden kommt noch verschärfend hinzu: „Wir sind keine Industriestadt und anders als Hannover, Frankfurt oder Leipzig auch keine Messestadt“, so Bettina Bunge zum Tagesspiegel. „Dresden lebt ganz wesentlich vom Kulturtourismus.“ Auch dies eine Analogie zu Berlin. Und Kulturtouristen, die eine Stadt nicht nur in abgeschotteten Kongress- und Geschäftsreisehotels besuchen, sondern die Atmosphäre und Lebenskultur eines Orts erfahren wollen, reagieren auf Meldungen über politische, soziale und darum auch kulturelle Spannungen besonders empfindlich.

Hinzu kommen ökonomische Gründe und internationale Ursachen, die nichts mit der innerdeutschen Entwicklung zu tun haben. Stephan Adam, Pressesprecher der Staatlichen Kunstsammlungen, verweist darauf, dass bei Dresdens Museen, die 2014 knapp 2, 5 Millionen Besucher hatten (in Berlin bei den Staatlichen Museen: 3, 9 Millionen), ein Rückgang der Gäste aus dem russischsprachigen Raum um 20 Prozent zu verzeichnen sei. Mit gut 200 000 Besuchern vor allem der Gemäldesammlung Alter Meister und der Schmuckschätze des Grünen Gewölbes stellten sie letztes Jahr trotzdem die größte ausländische Gruppe dar. Doch ist seit der Ukraine-Krise und dem Wertverlust des Rubel der russische Europa-Tourismus insgesamt stark eingebrochen, spürbar von der Cote d’Azur oder Kitzbühel bis Berlin.

Nochmals zu den allgemeinen Tourismuszahlen der sächsischen Metropole: Der Rückgang ausländischer Besucher, die insgesamt nur ein Fünftel ausmachen, fällt mit 2,1 Prozent bisher etwas geringer aus als der von deutschen Reisenden mit 3, 4 Prozent. Das mag angesichts des Themas Ausländerfeindlichkeit zunächst überraschen. Bettina Bunge, die Marketingchefin, erklärt das jedoch damit, dass die Berichterstattung über fremdenfeindliche Aktionen in Dresden und im sächsische Umland in den nationalen Medien viel umfänglicher sei als im Ausland. Bisher gab es für Dresden „nur“ eine (kurzfristige) Reisewarnung des State Department in Washington und wohl eine des japanischen Außenministeriums.

Größere Einschnitte beim Wissenschaftsstandort Dresden

Was den Verantwortlichen in Dresden und, über die Kulturszene hinaus, auch den Universitäten und wissenschaftlichen Instituten jetzt Sorge macht, ist eine sich eher verstärkende Negativtendenz: durch die öffentliche Radikalisierung auf den Straßen und in den xenophobischen Netzwerken. Eine Realität, die so noch keine Halbjahresstatistik widerspiegelt. Hartwig Fischer, als Nachfolger von Martin Roth (heute Chef des Victoria and Albert Museums in London) seit 2012 Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen, sagt uns: „Gleich wie die Zahlen im Einzelnen sind, die Entwicklung bedroht unsere gesamte Reputation. Sie verdunkelt das in Deutschland Gelungene, ob es die Aufnahme von 14 Millionen Flüchtlingen nach dem Zweiten Weltkrieg ist oder die Integration von Millionen Immigranten, die uns bereichert.“

Dresdens Kunstkollektionen sind im Übrigen mehr als nur Museen. „Es geht über das Sammeln und Vermitteln hinaus auch um die Forschung. Wir haben weltweite Austauschprogramme, von der Zusammenarbeit mit dem British Museum bis nach China. Und natürlich spüren wir, nicht nur in Besetzungsgesprächen, die Sorgen unserer ausländischen Partner.“ Noch einschneidender sind die aktuellen Auswirkungen für den Wissenschaftsstandort Dresden. Es gibt hier zwei Max-Planck-Institute mit Dutzenden Forschungsstätten, in denen teilweise mehr als die Hälfte der Forscher aus dem Ausland kommt; die TU Dresden, Ostdeutschlands einzige Exzellenz-Universität, hat (und braucht) hoch qualifizierte Studierende aus dem Ausland – viele von ihnen fühlen sich jetzt gefährdet. Ihr Weggang wäre ein Desaster, fachlich, menschlich, sozial, kulturell und auch ökonomisch.

Fremdenfeindlichkeit zeigt sich im Alltag

Staatsschauspielintendant Wilfried Schulz erzählt, dass er und seine Mitarbeiter Fremdenfeindlichkeit nicht selten im Alltag beobachten würden. „Eine Studentin mit etwas dunklerer Hautfarbe, die für das Theater Werbung für eine unserer vielen aufklärenden Diskussions- und Sonderveranstaltungen in der Neustadt verteilt hat, sagt, sie wolle da nicht mehr ohne Begleitung hingehen. Und die Dresdner Neustadt ist das, was in Berlin der Prenzlauer Berg ist!"

Schulz allerdings weist, wie auch Fischer oder Bettina Bunge darauf hin, dass Pegida-Anhänger und Fremdenfeinde in Dresden nur eine (nicht verschwindende) Minderheit seien. „Die große Mehrheit zumal des Kulturbürgertums ist eher konservativ, aber weltoffen.“ Nur die Politik, angefangen vom Ministerpräsidenten Tillich, habe versucht, „zu verdrängen und sich viel zu spät halbwegs deutlich geäußert“. Fischer wiederum findet, auch Dresdens Zivilgesellschaft, die genau wisse, dass ihre Stadtkultur, angefangen von den italienischen Handwerkern und Barockkünstlern bis zur Tatsache „kein Meißen ohne China“, auf Weltoffenheit beruhe, habe sich erst allmählich gegen die Hetzer positioniert: „Köln oder München waren da schneller.“

Dresdens Intendanten, Direktoren, Unipräsidenten arbeiten nun zusammen, um das Stadtbürgertum stärker zu mobilisieren. Auch soll ein kurzfristig konzipiertes internationales „Kunstfest“ jetzt an zahlreichen Orten mit überraschenden Programmen vom 4. bis zum 30. September zeigen, dass „Fremdenfeindlichkeit die Paranoia der falschen Unterscheidungen ist“, so Hartwig Fischer. (Infos auf: www.skd.museum)

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