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David Grossman.

© dpa

Auszeichnung: Friedenspreis des Buchhandels geht an David Grossman

Der israelische Schriftsteller David Grossman erhält in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Der Stiftungsrat würdigte in seiner Begründung den Einsatz Grossmans für die Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern.

Es ist erst ein paar Tage her, dass David Grossman wieder seine Stimme erhob zum immerwährenden und immerwährend grausamen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Israels Armee hatte am Morgen des 1. Juni mit mehreren Schnellbooten einen internationalen Hilfskonvoi für den Gazastreifen aufgebracht und dabei neun Aktivisten getötet. Tags darauf prangerte David Grossman in der „FAZ“ das brutale Vorgehen der israelischen Armee an, die „unselige“ und genauso „unmoralische“ wie „ineffektive“ Belagerung des Gazastreifens.

Zudem beklagte er den traurigen Zustand der israelischen Politik überhaupt: „Irgendwie scheint all das Unheil, einschließlich der tödlichen Ereignisse von Montagmorgen, Teil einer um sich greifenden Korrumpierung zu sein. Man hat das Gefühl, ein aufgeblähtes verkommenes System geriete angesichts der Brühe, die es sich innerhalb von Jahrzehnten selbst eingebrockt hat, in Panik, verzweifele an der Unmöglichkeit, die unendlichen Verstrickungen je zu entwirren, versteinere zusehends, versage vor den dringenden Anforderungen einer komplexen Realität und habe seit langem die Frische, Originalität und Kreativität eingebüßt, die Israel und die israelische Führung einmal auszeichneten.“

Das klingt in all seiner Härte und Atemlosigkeit auch ein bisschen resigniert. Doch gestattet sich der 1954 in Jerusalem als Sohn eines polnischen Juden geborene Schriftsteller Regungen wie diese nur selten. Seit seinem Romandebüt „Das Lächeln des Lammes“ 1983 beschäftigt er sich unablässig mit dem Verhältnis von Israelis und Arabern, in Reportagebänden wie „Der gelbe Wind“, einem Gesprächsband wie „Der geteilte Israeli“ oder zahllosen politischen Essays.

„Den Luxus der Verzweiflung“ könne er sich nicht leisten, hat Grossman einmal bekannt und sich als einen „sehr verzweifelten Optimisten“ bezeichnet. Nicht zuletzt dieser verzweifelte Optimismus, dieser stete Einsatz für eine Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern ist der Grund dafür, dass David Grossman am gestrigen Donnerstag der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zugesprochen wurde; die Auszeichnung wird ihm im Oktober während der Frankfurter Buchmesse verliehen. In der Begründung heißt es: „Seine Bücher zeigen, dass die Spirale von Gewalt, Hass und Vertreibung nur durch Zuhören, Zurückhaltung und die Kraft des Wortes beendet werden kann.“ Tatsächlich verzweifelte Grossman auch dann nicht, zumindest nicht öffentlich, als 2006 sein jüngster Sohn Uri, der seinen Militärdienst ableistete, im zweiten Libanonkrieg getötet wurde. Grossman schrieb da schon mehrere Jahre an seinem großartigen Israel-Epos „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“, das vom Sechs-Tage-Krieg 1967 bis zum letzten Libanonfeldzug Israels reicht.

Im Zentrum des Romans steht eine Frau namens Ora, hebräisch für „Licht“, deren jüngerer Sohn sich freiwillig in die Armee einberufen lässt. Sie beschließt, ihrem Zuhause den Rücken zu kehren und sich auf eine Wanderung durch Galiläa zu begeben, um so ihren Sohn zu beschützen. Wer nicht da ist, so ihre Logik, kann auch keine Hiobsbotschaft empfangen. So macht sie sich mit einem alten Freund auf den Weg und erzählt diesem von ihren Söhnen, wie fremd ihr diese wurden, als sie zum Militär gingen, aber auch von sich. Wie so viele andere in Israel hat sie versucht, „ein kleines unheroisches Leben“ zu führen und die „verfluchte Lage“ zu ignorieren. In einem Land wie Israel ist das jedoch unmöglich – und leider ist es auch unmöglich, ein Menschenleben allein durch die Kraft von Worten zu retten: „Ich hatte damals das Gefühl – oder genauer gesagt, die Hoffnung“, so Grossman im Nachwort seines 2009 auf Deutsch erschienenen Romans, „dass das Buch, das ich schreibe, Uri schützen wird.“ Diese Hoffnung trog. Doch schaffte es Grossman nach diesem Einbruch des wirklichen Lebens in die Literatur trotzdem, den Roman zu beenden – und wenn nicht seinen Sohn, so doch möglicherweise sich selbst durch das Schreiben zu retten.

„Wenn ich sterbe, verlass’ das Land“ lässt Grossman Oras Sohn wiederholt sagen. Doch für ihn selbst ist das nur eine Option, die er sich bislang beharrlich weigert einzulösen. „Ein Leben in Israel bedeutet für mich als Juden sehr viel, viel mehr, als lebte ich irgendwo anders in der Welt“, so Grossman nach der Veröffentlichung von „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“.

Und so fordert er weiterhin etwa unabhängige Untersuchungen zum Gaza-Krieg, appelliert er an die israelische Politik, „gegen unsere eingeübten Reflexe zu handeln“, versucht er mit Worten und Büchern Einfluss darauf zu nehmen, dass Israel nach der „Wahnsinnsaktion“ von vergangener Woche nicht noch tiefer sinkt. Denn eine Alternative zu dem Staat Israel gibt es für ihn nicht – und auch nicht zu einer unabhängigen palästinensischen Nation an Israels Seite.

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