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Frisch. Raša (Nermina Lukac).

©  Eclipse

Gabriela Pichlers „Eat Sleep Die“: Bullerbü ist anderswo

Schweden kann nicht nur Klischee: In Gabriela Pichlers Regiedebüt "Eat Sleep Die" verkommt die Billy-Regal-Nation einem grauen Land der Sozialnöte.

Von Oliver Bilger

Vom Billy-Regal bis Bullerbü: Die Schweden lieben und leben ihre Klischees. Schweden kann aber auch anders: Graue Häuser, graue Gesichter, graue Kleidung, sogar die Wintersonne ist grau. So jedenfalls sieht das Land in Gabriela Pichlers Regiedebüt „Eat Sleep Die“ aus. Es ist das Land der Einwanderer und Niedriglöhner, der Schulabbrecher und Entmutigten, der Arbeitslosen und der Kranken.

Wenn sich jemand in Stockholm für seine Lunchpause einen Salat kauft, hat wahrscheinlich eine Raša ihn für ihn gepackt. Raša (Nermina Lukac), Anfang zwanzig, schafft ein Päckchen in kaum fünf Sekunden. Nach der Arbeit pflegt sie ihren Vater (Milan Dragišic), der wegen eines Rückenleidens nicht mehr arbeiten kann. Raša ist burschikos, ein Tomboy, rau und auf Krawall gebürstet. Zum Vater hat sie eine liebevolle Beziehung, man neckt sich wie ein altes Ehepaar. Der Vater kümmert sich um den Haushalt, Raša bringt das Geld nach Hause.

Doch dann verliert Raša ihre Arbeit, neue Immigranten machen den Job für noch weniger Geld. Was dann beginnt, ist eine irrsinnige Reise durch die Bürokratie. Geboren in Montenegro, seit ihrem ersten Lebensjahr in Schweden, spricht Raša fließend Schwedisch. Die Sprache der Ämter aber ist ihr fremd.

Seine ganze trostlose Wucht breitet dieses Sozialdrama aus, wenn die gekündigten Fabrikarbeiter sich zu ihren vom Arbeitsamt verordneten psychotherapeutischen Gruppensitzungen versammeln. Einer wird vor lauter Kummer zum Trinker, eine Frau mit perfekt manikürten Nägeln weigert sich, ein Hobby zu beginnen und hat doch sonst nichts mehr zu tun. Und da ist Nicki (Jonathan Lampinen), kaum sechzehn und ohne Schulabschluss: Tierarzt will er werden und muss doch bald im Schlachthof seines Onkels den Rindern das Bolzenschussgerät zwischen die Augen setzen.

Dass im Einwanderungsland Schweden vieles nicht so reibungslos läuft, wie die schwedische Politik es gerne hätte, zeigen die Randalen in den Vorstädten von Malmö und Stockholm. Die Schwedin Gabriela Pichler will, sagt sie, in ihrem Film trotz aller Probleme positive Akzente setzen und für den Begriff einer neuen nationalen Identität werben. Wie selbstverständlich ist Raša in zwei Kulturen zu Hause, lebt ohne Gender Trouble irgendwo zwischen den zwei Geschlechtern, ist Muslima und trinkt trotzdem Alkohol. Für eine wie Raša sollte das Leben mehr bereithalten als zu essen, zu schlafen und irgendwann zu sterben, erbost sich die Frau mit den perfekten Nägeln. Die Runde nickt zustimmend. Ihren eigenen Ausweg aber muss Raša ganz alleine finden.

OmU in der Brotfabrik und im fsk

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