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Die Angst vor der nächsten Verdrängung. Eine schicke Wohnung in der Stargarder Straße? Das wär’s. Oder doch nicht?

© Doris Spiekermann-Klaas

Gentrifizierung in Berlin: Die Angst der Verdränger

1980 arm und selbstbewusst, 2015 wohlhabend verzagt: Besuche bei Mietern in Prenzlauer Berg führten zu Porträts zweier Welten. Ein Interview mit den Autorinnen Irina Liebmann und Anne Jelena Schulte.

Von David Ensikat

Im Deutschen Theater Berlin läuft derzeit das Stück „Wodka-Käfer“. Die Autorin Anne Jelena Schulte hat in einem Mietshaus in Prenzlauer Berg die Bewohner nach ihrem Leben befragt und aus den Auskünften eine nachdenkliche und amüsante Collage für die Bühne gemacht. Ideengeber und Vergleichsgrundlage war ein Buch von 1982: „Berliner Mietshaus“ von Irina Liebmann, eine Porträtsammlung der Bewohner des – mutmaßlich – selben Hauses.

Frau Schulte, Irina Liebmann hat ja, um die Bewohner zu schützen, nie preisgegeben, in welchem Haus sie unterwegs war. Hat sie es Ihnen gesagt?
SCHULTE: Nein. Aber ich habe in ihrem Buch genug Hinweise gefunden, dass ich glaube, im selben Haus unterwegs gewesen zu sein. Auch wenn die Menschen vollkommen andere sind, wie auch die Welt drum herum eine vollkommen andere ist.

Frau Liebmann, wie kam es überhaupt zu Ihrem Buch, damals in der DDR?
LIEBMANN: Ich habe für die „Wochenpost“ gearbeitet, eine Wochenzeitung. Nachdem eine große Reportage über einen sozialistischen Betrieb nicht gedruckt werden durfte, suchte ich nach einem Thema, bei dem ich es nicht mit einer Presseabteilung zu tun hatte. In einem Mietshaus musste ich die Geschichten nur mit den Leuten, über die ich schrieb, abstimmen, und das war überhaupt nicht schwierig.

Gibt es noch Bewohner von damals – oder jemanden, der sich an ältere erinnern würde?
SCHULTE: Das Haus ist vor zehn Jahren rekonstruiert worden. Damit kam es zu einem kompletten Austausch der Mieter. Die neuen konnten sich Mieten leisten, die für die alten zu teuer waren.

Gentrifizierung nennt man das.
SCHULTE: Ja, mit der Pointe, dass die neuen Mieter inzwischen keine neuen mehr sind und selbst Angst davor haben, verdrängt zu werden. Im Vergleich zu derzeitigen Neumieten wohnen sie günstig. Eine Bewohnerin erzählte, dass der Vermieter ihr gesagt habe, dass er ständig Angebote von Interessenten bekommt, die die doppelte Miete bezahlen würden.

Bei der Frage nach der Wohnung geht es heute um das Geld. In der DDR ging es um Glück und Beziehungen.
LIEBMANN: Und um den Bedarf. Wenn eine Wohnung leer stand und man den Bedarf nachweisen konnte – drei Zimmer für eine vierköpfige Familie etwa –, dann hatte man eine Chance, sie von der Wohnungsverwaltung zugewiesen zu bekommen.

Waren Geld und Wohlstand kein Thema?
LIEBMANN: Es waren, verglichen mit heute, eher ärmliche Verhältnisse. Aber auf so etwas hat keiner geachtet. Die Leute waren selbstbewusst genug, ihre Dinge so zu zeigen, wie sie waren. Da hat sich niemand für die karge Einrichtung entschuldigt. Im Gegenteil, ein Paar mit einer teuren Sesselgarnitur hat sich dafür gerechtfertigt. Die Eltern hatten ausgeholfen – und der Ehekredit.

SCHULTE: Ich wurde in den schicken Wohnungen herumgeführt nach dem Motto: Wollen Sie mal sehen? Und dann haben sie mich erwartungsvoll angeguckt.

Die Leute zeigen, dass es ihnen gut geht?
SCHULTE: Könnte man meinen. Aber im Gespräch kam es mir ganz anders vor. In dem Buch von Irina Liebmann kommen mir die Leute viel gelassener und selbstbewusster vor. Heute gibt es so viel Angst, Verzagtheit und Melancholie.

Die Schriftstellerin Irina Liebmann, Jahrgang 1943.
Die Schriftstellerin Irina Liebmann, Jahrgang 1943.

© Doris Spiekermann-Klaas

Obwohl es dem Prenzlberger so schlecht nicht gehen kann.
SCHULTE: Eigentlich geht es allen gut. Das sind Leute aus der Mittelschicht, gut ausgebildet. Sie haben aber scheinbar alle das Gefühl, dass der Boden unter ihren Füßen wackelt. Dem Glück, in dem sie leben, trauen sie nicht.

Wovor haben sie denn Angst?
SCHULTE: Davor, keinen Platz in der Arbeitswelt zu finden oder ihren Platz zu verlieren. Dass man mit dem, was man kann, nicht gebraucht werden könnte. Zum Beispiel die schwäbische Mutter, die eigentlich so gut ins Prenzlberg-Klischee passt: größte Wohnung, musische Kinder, gründet eine Bürgerinitiative für eine verkehrsberuhigte Zone. Und dann erfährt man, welche Tragik in diesem Leben steckt. Sie hatte mit großer Leidenschaft Architektur studiert und sich dann mit ihrem Mann auf dieselbe Stelle beworben. Obwohl sie ihr wichtiger gewesen wäre als ihm, hat er sie bekommen. Jetzt jobbt sie als Sekretärin. Oder die junge Mutter mit Baby: Sie hat Wirtschaftskommunikation studiert und fragt sich, was sie eigentlich kann. Ihr Mann verdient das Geld und sie hat Angst, dass es bei ihr nichts wird. Sie schämt sich jetzt schon, dass sie Familie und Karriere nicht zusammenbekommen könnte.

LIEBMANN: Das ist so anders als früher. Da hatten die meisten das Gefühl, gebraucht zu werden. Die Leute haben zwar geklagt, was zum Beispiel bei der Arbeit falsch läuft. Aber sie zweifelten am System und nicht an sich selbst.

SCHULTE: Sogar die Singles ohne Kinder, die arbeiten, fürchten, dass es so nicht lange weitergehen kann: Bleibe ich den Anforderungen gewachsen? Leute von Mitte vierzig, die der Meinung sind, dass ihre Zeit vorbei sei. Der Musiker, der erzählt, wie leicht es in den Neunzigern war und wie schwer heute. Grundsätzlich gab es eine Hoffnung, dass Dinge sich ändern, aber kaum die Hoffnung, selbst etwas bewirken zu können.

Die Autorin Anna Jelena Schulte, geboren 1977.
Die Autorin Anna Jelena Schulte, geboren 1977.

© Doris Spiekermann-Klaas

Das klingt nach DDR.
LIEBMANN: Passt ja auch. Ständig wurde den Leuten gesagt: Arbeite mit. Plane mit. Regiere mit. Aber das Korsett war so eng, die Pläne waren gesetzt. Wer was ändern wollte, der lief auf. Das wusste auch jeder. Und es gab trotzdem das Interesse, den Staat vom Kopf auf die Füße zu stellen.

SCHULTE: Die Leute haben sich, so lese ich das, viel mehr als Teile eines Ganzen gefühlt.

LIEBMANN: Nur dass das in der Form keiner gesagt hätte. Das waren ja einfache Leute. Ohne Angst: Die haben nicht damit gerechnet, dass alles mal zusammenbrechen kann. Dass sie aus der Wohnung fliegen. Es gab ein ganz gutes Selbstbewusstsein. Ich bin ich, und wer sind Sie? Nur die Bäckersfamilie, die dann später in den Westen gegangen ist, die haben sich mit anderen verglichen.

Es heißt ja, dass der Westen, den man nicht erreicht, so heilsam für die Ostler gewesen sei. Wie ein besseres Jenseits, an das man glauben kann.
LIEBMANN: Und das gibt es jetzt nicht mehr. Jetzt lebt man in der besten aller Welten und muss aufpassen, dass da kein Steinchen rausbricht.

SCHULTE: Man muss glücklich sein. Denn besser wird's nicht.

Die Autorinnen:
Irina Liebmann, 1943 geboren, in der DDR aufgewachsen und 1988 nach West-Berlin übergesiedelt, erhielt 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse für das Porträt ihres Vaters „Wäre es schön? Es wäre schön!“. Sie lebt in Berlin-Mitte.
Anne Jelena Schulte, geboren 1977, aufgewachsen in West-Berlin, schrieb Stücke für das Deutsche Theater, die Volksbühne, das Gorki und das Schauspielhaus Düsseldorf. Sie schreibt für die Nachrufe-Seite des Tagesspiegels und lebt in Prenzlauer Berg.

"Wodka-Käfer" läuft am 24. 2., 6. und 27.3. in der Box des DT.

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