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George Condo Ausstellung: Auf den Trümmern der Tradition

George Condos Bilder sind vulgär und bunt. Im Museum Berggruen hat man sie neben Klassiker der Moderne gehangen - und so eine der aufregendsten Ausstellungen dieses Herbstes kreiert.

Die Ausstellung war noch gar nicht aufgebaut – aber dem Schriftsteller Daniel Kehlmann dürften ein paar Reproduktionen von Bildern George Condos zur Inspiration gereicht haben, um sich vorzustellen, wie es darin aussehen würde: „Dort verströmte sich Rot in die Luft, da lief das Blau die Wand herunter und bildete eine Pfütze auf dem Parkett, und hier streckte ein besonders entstellter Geselle mit riesenhaftem, zahngefülltem Maul den Kopf weit aus dem Bild, zwinkerte ihr zu und machte obszöne Gesten mit Fingern und Zunge.“

Die Protagonistin in Daniel Kehlmanns Erzählung „Gesichter, Fratzen, Condo“, die er im Auftrag des Vereins der Freunde der Nationalgalerie geschrieben hat, ergreift die Flucht und verlässt das Museum Berggruen panisch durch den Notausgang. Zu ihrer heftigen Reaktion lässt sich erklären, dass sie nach einem Transatlantik-Flug und drei wirkungslosen Tabletten gegen Schlaflosigkeit die Bilder des amerikanischen Malers nun für einen schlimmen Wachtraum hält.

Die Maler der Moderne werden durchgerüttelt

Ganz so verschreckt werden die Besucher der neuen Ausstellung im Museum Berggruen kaum reagieren. Die Farbe bleibt in den Bildern, die Figuren treten nicht heraus. Aber ein gewisser Schock erwartet sie. Den 1957 in Concord, New Hampshire, geborenen George Condo unter die Klassiker der Moderne zu mischen, das ist, als würde man Picasso im Louvre neben den Allerheiligsten präsentieren, neben Ingres und Delacroix. Nur würde dort eine solche Kombination sofort akzeptiert, ja als interessante Seherfahrung goutiert, um die Quellen für Picassos Malerei zu verstehen.

Condo zu Gast bei Matisse, Cézanne und Klee, das löst erst einmal Abwehrreaktionen aus: So vulgär, so bunt, so sexistisch sind seine von den Meistern inspirierten Bilder, dass man sie lieber vor ihm schützen möchte. Das Museum Berggruen wagt trotzdem das Experiment. „George Condo. Confrontation“ ist eine der aufregendsten Ausstellungen des Herbstes.

Die Maler der Moderne werden durch die Begegnung mit Condos Bestiarium aus Goofy-Köpfen mit weit aufgerissenen, spitz bezahnten Mäulern, bösartigen Clowns und entstellten Akten ordentlich durchgerüttelt. Umgekehrt wird der in den USA gehypte, in Deutschland bislang weniger bekannte Künstler durch die Konfrontation mit seinen Vorbildern auf den Prüfstand gestellt. In 26 Räumen des Museums sind Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen Condos aus einer Zeitspanne, die von den 80er Jahren bis heute reicht, in unmittelbare Nachbarschaft zu den ständigen Bewohnern des Stülerbaus gebracht.

Die obszöne Geste als Aufbegehren

So viel zum Ausgang der Versuchsanordnung – sie hat für alle Beteiligten einen glücklichen Ausgang. Picasso & Co. wirken auf erstaunliche Art verjüngt, Condos Schreckenskabinett erscheint plötzlich diszipliniert, seine schauderlichen Figuren wie von den Eltern brav an die Hand genommen. Der Besucher erlebt, wie es 1913 gewesen sein mag, als die Galerie Otto Feldmann in Berlin erstmals kubistische Malerei von Picasso präsentierte und damit einen Skandal auslöste. Diese Vibration kehrt mit Condo zu den Heroen der Kunstgeschichte zurück. Seinem Werk wohnt eine ähnliche Dreistigkeit und Klasse inne, auch er sucht den Kampf. Während Matisse, Cézanne und die anderen allerdings die Grenzen der Malerei erweiterten, bekennt sich Condo offen zu seinem Vergangenheitsbezug und tobt sich in den Grenzen der Tradition aus.

Das aber macht er verdammt gut. Condo ist ein hervorragender Künstler, er versteht sein Handwerk. Malerei lässt sich nicht mehr neu erfinden, lautet seine Botschaft, das Erreichte aber neu interpretieren. Die bad-taste-Geste, die obszönen Motive sind seine Form des Aufbegehrens und ein Zeichen unserer Zeit. Dazu passt, dass der heute 59-Jährige einst als Bassist in einer Punkband spielte. In einem Ausstellungsraum mit Video-Screen ist ein Soundtrack seiner Band zu hören, darüber legt sich ein Bilderbogen aus Disney-Figuren und Autos. Dann folgt Bizets Oper „Carmen“, für die Condo im Auftrag der New Yorker Met 2014 einen Comic lieferte. Musikalisch wurde der frühere Rotzbengel offensichtlich diszipliniert.

Ein Lehrstück der Malerei

„George Condo. Confrontation“ ist ein Lehrstück über Malerei, die sich immer schon ihrer Vorläufer versichert. Nur selten wird dies so deutlich wie bei dem US-Künstler, der Picasso, Cézanne, Matisse als sein konkretes Material benutzt, um eine eigene Sprache zu entwickeln. „Ich zertrümmere und schaffe damit etwas Neues“, erklärte Condo seine Methode bei der Ausstellungseröffnung. In der Sammlung Berggruen kommt es dabei zu den erstaunlichsten Begegnungen: Picassos „Sitzender Harlekin“ erhält ein „Sitzendes Paar“ an die Seite gestellt, das gerade kopuliert. Beide Bilder haben das gleiche Format, beide roten Grund. Picassos kleiner Clown wirkt plötzlich sexuell aufgeladen, Condos Paar dagegen nur noch trauriger. Gleich daneben hängt das Bildnis von „Jaime Sabartés“, Picassos Sekretär. Condo malt ganz ähnlich das gestrenge Porträt eines „Missionars“ mit dunklem Oberkleid vor blauem Grund. Beide sind Hüter einer Heiligkeit, glühende Kämpfer für ihren Herrn. Bei Condo gewinnt allerdings das Bösartige die Oberhand.

Wie gut der amerikanische Maler sein Vorbild versteht, zeigt das Bildnis „Der Schlachter“, dem ein Hackmesser im gespaltenen Schädel steckt. Die Kubisten zertrümmerten die bislang geltende Ganzheitlichkeit im Bild, um eine Multiperspektive auf die Welt der Dinge und Menschen zu gewinnen. Bei Condo wird dies zum brutalen Akt, Blut rinnt seiner glotzenden, fratzenhaft entstellten Figur ins Gesicht. So muss damals der Kubismus auf die Menschen gewirkt haben, wie ein Attentat. Retrospektiv lesen wir in den revolutionären Werken von einst vor allem die psychologische Interpretation, weniger den Angriff auf die Person, wie er sich den Zeitgenossen darbot. Condos „Irrer Akt“ schreit den Wahnsinn, das Abartige heraus, und Picasso beginnt wieder zu pulsieren.

Museum Berggruen, Schlossstr. 1, bis 12. März 2017; Di bis Fr 10 – 18 Uhr, Sa/So 11 – 18 Uhr.

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