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Amazing Grace. Aretha Franklin bei einem Konzert in den Siebzigern. Foto: Keystone

© Topham Picturepoint / Voller Ern

Kultur: Geschenk Gottes

Die größte Soul-Stimme aller Zeiten: Aretha Franklin zum 70. Geburtstag.

Wer für das Showprogramm seiner Hochzeitsfeier eine der größten Diven der Welt bucht, muss ein bisschen flexibel sein. Wenn sie fordert, dass die Klimaanlage ausgeschaltet wird, sollte man das tun – auch wenn die Gäste furchtbar schwitzen. Und wenn sie entgegen der Absprache plötzlich einen sechsstelligen Betrag verlangt, sollte man auch darauf klaglos eingehen. Bill White und Bryan Eure hielten sich daran, und so sang Aretha Franklin auf der New Yorker Hochzeitsparty des Paares im vergangenen Herbst eine ganze Stunde lang, statt der eigentlich geplanten 15 Minuten. In bodenlangem grün-goldenem Kleid warf sie sich stimmgewaltig in Hits wie „Chain of Fools“, „Respect“ und „Think“ – Lieder, die Pop-Geschichte geschrieben haben und die für immer mit ihrem Namen verbunden sein werden, auch wenn sie gar nicht von ihr stammen. So ist zum Beispiel „Respect“ ein Otis-Redding-Song. Doch seit sie ihn 1967 coverte, ist es ihre Hymne.

Damals beginnt für Aretha Franklin endlich die ihrem Talent entsprechende Karriere. Der große Produzent und Plattenboss Jerry Wexler hat sie zu Atlantic Records geholt und will ihren Sound in Richtung Southern Soul lenken. Also fährt er mit ihr in Rick Halls Fame Studio in Muscle Shoals, Alabama. Die erste Session, bei der sie ausschließlich von weißen Musikern begleitet wird, findet in einer besonderen Atmosphäre statt. Sänger Dan Penn erinnert sich in Peter Guralnicks Buch „Sweet Soul Music“: „Allein an ihrem Klavieranschlag konnte man hören, dass es jetzt ans Eingemachte ging. Gleich der erste Akkord, den sie anschlug, hatte nichts mit dem zu tun, was wir gewöhnlich spielten, und auch keiner der Typen aus Memphis spielte so was. Wir machten immer nur so ein bisschen Plink-Plink, aber das hier war eine andere Liga.“

Beflügelt von diesem „magischem Akkord“ gelingt Franklin mit dem Fame- Team eine herausragende Aufnahme – der Titelsong ihres Durchbruchsalbums „I Never Loved A Man The Way I Love You“. Die anschließende Session verläuft weit weniger harmonisch. Ein Musiker streitet mit Franklins Mann Ted White, sie selbst verhaut die Gesangsaufnahmen, die Männer trinken zu viel und beleidigen sich rassistisch. So endet die Zusammenarbeit schon nach einem Tag. Der Rest des Albums entsteht in New York, auch die epochale Version von „Respect“.

Aretha Franklin kommt 1942 als zweite Tochter von Reverend C. L. Franklin und seiner Frau Barbara in Memphis zur Welt. Zwei Jahre später zieht die Familie nach Detroit. Als Aretha sechs ist, trennen sich die Eltern. Sie bleibt bei ihrem Vater, der in den fünfziger Jahren ein erfolgreicher Geistlicher ist. Seine auf Platte gepressten Predigten sind Verkaufsschlager und seine New Bethel Baptist Church wird für Aretha zur Musikschule. Mit acht Jahren singt sie im Chor, bekommt zudem Klavierunterricht und nimmt mit 14 ihr erstes Album auf. Ein wichtiger Einfluss auf die junge Sängerin sind Gospel-Stars wie Mahalia Jackson und Clara Ward, Freundinnen ihres Vaters, die oft bei der Familie zu Gast sind. Als Teenager begleitet Aretha den Reverend auf seinen Reisen. Er predigt bei großen Gospel-Revuen.

Begeistert von Sam Cooke und dessen Verwandlung vom Gospel- zum Soulstar, wendet auch Aretha sich der weltlichen Musik zu. Mit 18 Jahren gibt sie ihre beiden Söhne in die Obhut der Großmutter und zieht nach New York. Sie geht zum Schauspiel- und Gesangsunterricht, nimmt Demotapes auf und wird schließlich von John Hammond bei Columbia Records unter Vertrag genommen. Leider fanden Franklin und das Label nie recht zusammen. Man probierte mit Bluessongs, Barjazz, Broadway-Standards, Pop und Soul herum, doch mehr als gelegentliche Achtungserfolge kamen dabei nicht zustande. Nach zehn Alben in sieben Jahren wechselt Aretha Franklin zu Atlantic und steigt zur umjubelten Queen of Soul auf, die viele Sängerinnen-Generationen von Etta James über Janis Joplin, Dusty Springfield, Whitney Houston bis hin zu Amy Winehouse beeinflusst hat. Als der „Rolling Stone“ Aretha Franklin 2008 den Titel „Greatest Singer of all Time“ verlieh, schrieb ihre Kollegin Mary J. Blige: „Aretha ist ein Geschenk Gottes. Wenn es darum geht, sich selbst in einem Song auszudrücken, kommt niemand ihr nahe. Sie ist der Grund dafür, warum Frauen singen wollen.“

Es sind vor allem die Alben der späten Sechziger, mit denen Aretha Franklin ihren fast schon überirdischen Status erlangte, darunter „Lady Soul“, „Aretha Now“ und „Soul ’69“, die alle zahlreiche Charthits enthalten. Darüber vergaß die Sängerin nie ihre Gospel-Wurzeln. So spielte sie auf Wunsch von Martin Luther King bei Konzerten oft den Song „Precious Lord, Take My Hand“ und nahm 1972 das Gospelalbum „Amazing Grace“ auf. Privat hat sie einiges durchzustehen. Die Ehe mit Ted White wird geschieden, sie heiratet noch zwei weitere Male, hat immer wieder mit Gewichtsproblemen und Stimmungsschwankung zu kämpfen. Es wird stiller um sie, bis sie 1980 zu Arista wechselt und ihr mit dem Song „United Together“ ein kleiner Hit gelingt. Zudem hat sie einen fulminanten Auftritt im Film „Blues Brothers“.

In den Mittachtzigern singt sie herausragende Duette mit Annie Lennox („Sisters Are Doin’ It For Themselves) und mit George Michael („I Knew You Were Waiting For Me“). Inzwischen hat die 17-fache Grammy-Gewinnerin ihre eigene Plattenfirma und tritt gelegentlich auf – etwa bei Barack Obamas Amtseinführung. Am heutigen Sonntag wird Aretha Franklin 70 Jahre alt.

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