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Kultur: Glockenklang und Sirenengeheul

Picasso, Brancusi, Matisse und Georgia O’Keeffe: Wie der Fotograf und Galerist Alfred Stieglitz die europäische Moderne nach New York holte.

Charles Demuth war längst viel zu geschwächt – er litt an damals noch unheilbarer Diabetes –, um in den lärmenden Alltag von New York einzutauchen, als er 1928 die Ikone der Stadt schlechthin malte: „Ich sah die Zahl 5 in Gold“, benannt nach einem Gedicht des geistesverwandten Arztes und Schriftstellers William Carlos Williams. Die „5“ ist die Nummer eines „vorbeirumpelnden“ Feuerwehrautos, mit „Glockenklang und Sirenengeheul“, wie es in dem Gedicht heißt.

Der Maler und der Dichter gehörten zum Kreis um Alfred Stieglitz, dem Fotografen, Galeristen, Verleger und schließlich auch Sammler. Stieglitz, 1864 in Hoboken gegenüber von Manhattan geboren und trotz oder wegen seiner deutschen Abstammung stolz „Ich bin Amerikaner“ rufend, hatte an der TU Charlottenburg Fotografie studiert, ehe er in New York zu einem der bedeutendsten Lichtbildner heranreifte. Er bildete tatsächlich mit Licht; seine frühen Aufnahmen sind sorgfältig wie Gemälde komponiert und aufs Feinste in der Dunkelkammer vollendet, und wie Gemälde wollte er sie im Museum sehen.

Das Metropolitan Museum, damals noch jung, lehnte dieses Ansinnen freilich ab, es mochte überhaupt nicht die Kunst zeigen, die Stieglitz dem irritierten Publikum präsentierte, kaum dass er 1905 eine Galerie – und in deren Folge immer neue – eröffnet hatte. Er holte die europäische Moderne nach New York, Picasso, Picabia, Brancusi, er stellte sie zusammen mit afrikanischen Plastiken aus, er machte die amerikanische Avantgarde, wenn schon nicht salon-, so doch galeriefähig. Und dann traf er 1917 Georgia O’Keeffe.

Die Geschichte der stürmischen Beziehung des Fotografen-Galeristen und der Malerin ist bekannt. Sie wurden ein Liebespaar, heirateten, und als Stieglitz 1946 starb, längst nur noch auf einen kleinen Kreis amerikanischer Künstler konzentriert, da war es Georgia, die den umfangreichen Nachlass sichtete und an bedeutende Museen des Landes verteilte. So kam das Metropolitan Museum zu einer einzigartigen Sammlung der Moderne auf höchstem Qualitätsniveau, wie es Stieglitz selbst immer von seinen Künstlern wie von sich selbst gefordert hatte.

Diese Sammlung ist nun erstmals weitgehend vollständig im Museum ausgestellt und durch einen wissenschaftlichen Katalog erschlossen (noch bis 2. Januar, Katalog 65 Dollar). Die Fotografie ist nicht dabei, das ist ärgerlich, auch wenn Teile der ungeheuer reichen Fotografiesammlung in entfernten Räumen des riesigen Metropolitan Museums präsentiert werden. Für die Hauptausstellung „Stieglitz und seine Künstler“ wählte Kuratorin Lisa Mintz Messinger eine chronologisch-persönliche Anordnung, die sich im Katalog zwar nicht wiederfindet, in der sehr nobel gestalteten Ausstellung aber den unschätzbaren Vorteil hat, Höhen und Tiefen der Stieglitzschen Vorlieben auszuloten.

Gewiss, die persönliche Sammlung ist kein Dokument seiner beruflichen Arbeit, sondern eines der wechselhaften, auch finanziell unterschiedlichen Möglichkeiten, geschätzte Arbeiten für sich zu behalten – oder sie womöglich von den geförderten Künstlern verehrt zu bekommen. John Marin, der große Aquarellist, ist mit einer Fülle seiner zart hingetuschten Blätter vertreten, wie auch Demuth mit seinen kubistisch gesplitterten Aquarellen. Marsden Hartley, der bis 1915 in Berlin lebte, liebte und bunte Uniformen in seinen expressionistischen Gemälden aufleuchten ließ, wurde von Stieglitz auf „amerikanische Motive“ aufmerksam gemacht. Doch Hartleys ständige Geldnot – „Hartley will Bewunderung und – Bargeld! – Bargeld!“, schrieb Stieglitz wütend – zerstörten auf Dauer das Verhältnis. Und doch finden sich herrliche Gemälde auch dieses Malers in der Sammlung.

Den ersten Platz nahm dann Georgia O’Keeffe ein, was die übrigen Mitglieder des Stieglitz-Kreises vergrätzte. So bildet der O’Keeffe-Saal den Schlussakkord der Ausstellung, mit Werken, die dem amerikanischen Besucher von Postkarten her geläufig sind, wie „Kuhschädel: Rot, Weiß und Blau“ von 1931. Am Ausgang hängt das kleine Ölbild „East River vom Shelton- Hotel aus“: Dort lebte das Paar von 1925 bis 1936 und Stieglitz machte seine wunderbaren, späten Aufnahmen der rasant in die Höhe wachsenden Stadt.

Die grafischen Arbeiten des Abraham Walkowitz sind dabei wie die Karikaturen von Marius de Zayas, der ein energischer Mitstreiter der kampfeslustigen Jahre vor dem Ersten Weltkrieg war, eher historischem Interesse. Umso stärker sticht der Kandinsky hervor, den Stieglitz für 500 Dollar – viel Geld 1913 – auf der legendären „Armory Show“ erwarb: „Improvisation 27“. Es war das erste Gemälde Kandinskys überhaupt, das in den USA ausgestellt wurde. Stieglitz erkannte dessen Rang und behielt es sein Leben lang.

Stieglitz war gewiss eine schroffe Persönlichkeit, er unterstützte Freunde und hielt unbeirrt zu ihnen, aber wenn er jemanden ablehnte, dann ebenso starrköpfig. Er rieb sich auf, für seine Galerien, seine Ideale, seine Kunst und die immer fordernden Künstler, die er vertrat. Dass seine Sammlung im einst so hochnäsigen Metropolitan Museum ihr Zuhause gefunden hat, ist ein Triumph, wenn auch post mortem. Noch größer wäre dieser Triumph, der doch nichts anderes ist als eine Verbeugung vor dem Vorkämpfer der Moderne, wenn die Ausstellung auf Reisen ginge – auch nach Berlin, wo Stieglitz sein Handwerk erlernt hat.

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