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Eine "Selbstfahrerin" in der Weimarer Republik.

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Glossen von Christa Winsloe: Spritztour durch den Krieg

Temporeich: Christa Winsloe schrieb ab 1926 eine Sammlung von Glossen und Feuilletons, die einen auf eine abenteuerliche Fahrt durch die Zeit mitnehmen.

Der Fortschritt bewegte sich früher auf vier Rädern. Autos galten als Symbol der Freiheit. Sie waren auch ein Vehikel der Emanzipation. Beinahe hundert Jahre ist das her. Die Erfindung des elektrischen Anlassers entkoppelte den Motorstart von männlicher Muskelkraft. „Selbstfahrerinnen“ gehörten in der Weimarer Republik zu den Erscheinungsformen der „Neuen Frau“, unter ihnen waren die prominenten Beispiele Erika Mann, Ruth Landshoff-Yorck und Annemarie Schwarzenbach.

„Das Auto war ein ganz neues Modell und das erste seiner Art, das in Circulation trat“, schreibt Christa Winsloe über ihren 75 H.P. Benz, Baujahr 1912. „Sein Stolz war sein Spitzkühler mit der Stumpfen Nickelnase“. Der liebevolle Text der Besitzerin gibt einer Sammlung von Glossen und Feuilletons den Titel, die Winsloe ab 1926 in Blättern wie „Tempo“, „Simplicissimus“ und dem „Berliner Tageblatt“ veröffentlichte: „Auto-Biographie“. Es ist eine abenteuerliche Fahrt durch das Frankreich des Sommers 1914, wo Auto, Autorin und Chauffeur – der war noch nötig – bei Kriegsbeginn mit letzter Mühe der Einkassierung entkommen, über der Einberufung des „Dicken“, so der Spitzname des Wagens, in den Kriegsdienst, bis er 1920 gestohlen verschwindet.

Winsloes Ton ist salopp bis schnippisch, die Hysterien des Nachrichtengeschäfts kühlt sie herunter. „Der Krieg unterbricht ein Tennisspiel“, lautet eine typische Zeile. Winsloe geht auf Sturzflug mit Fliegerass Ernst Udet und konstatiert: „Über das Fliegen kann man nicht schreiben – es ist viel zu schön.“ Sie verspottet Versicherungen, besucht einen „geographischen Tierpark“ und trennt sich, allergisch schniefend, von einem Kätzchen. Für Winsloe, Jahrgang 1888 und Bildhauerin, beginnt mit dem Schreiben die zweite Karriere. Als sie im Zoo einen Affen modelliert, fragt ein Kind: „Ist das Kitsch?“ Es meint Kitt. Erleichterte Antwort: „Nein, Plastilin“.

Christa Winsloe: Auto-Biographie und andere Feuilletons. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Doris Hermanns. Aviva Verlag, Berlin 2016. 272 S., 19,90 €.

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