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Kultur: Goethe-Institut in Indien: Wo Max Müller neben Shiva wohnt

Draußen herrscht feuchtheiße Hitze mit Temperaturen um die 36 Grad. Drinnen herrscht die eiskalte Klimaanlage.

Draußen herrscht feuchtheiße Hitze mit Temperaturen um die 36 Grad. Drinnen herrscht die eiskalte Klimaanlage. Draußen drängen sich bettelnde Kinder an die Windschutzscheiben der vorfahrenden Autos, drinnen drängt sich Kulturprominenz in die bequemen Polstersitze. Draußen ist Neu-Delhi, die Hauptstadt Indiens mit ihren elf, womöglich auch dreizehn Millionen Einwohnern, drinnen ist das weite Halbrund des Siri Fort Auditoriums, des repäsentativsten Veranstaltungssaales der Metropole. Draußen wird der Kampf ums Dasein ausgefochten, drinnen werden die "Deutschen Festspiele in Indien" eröffnet.

Außenminister Joschka Fischer war eigens für den noch immer geschwächten Bundespräsidenten auf den Subkontinent geflogen, für genau zwei Tage. Einen davon gönnte er sich im Touristenmekka Jaipur, bevor er in Neu-Delhi ein aus Kultur und Politik gemischtes Programm absolvierte. Recht eigentlich etwas zu tun hatte er in Indien nicht, er war ja erst im Mai dort; die Green Card-Debatte, seinerzeit noch in den Schlagzeilen, ist abgeebbt. Es hat sich herumgesprochen, dass indische Fachkräfte lieber in die USA gehen, statt in Deutschland zu versauern. Für alle Fälle hat das Bundesarbeitsministerium eine hübsche Broschüre zum "IT-specialists Temporary Relief Program" erstellt. Sie lag gut sichtbar bei den diversen mit German food zelebrierten deutschen Empfängen aus, für wen auch immer.

Fischers Begeisterung für die Auswärtige Kulturpolitik, als deren Hochglanzprodukt ein solches Mammutprogramm wie das German Festival mit seinen über 160 Veranstaltungen in 26 Städten die rare Ausnahme bildet, hält sich bislang eher in Grenzen. Der wortmächtige Präsident des Goethe-Instituts, Hilmar Hoffmann, der seinen Außenminister keine Sekunde aus den Augen ließ, hoffte insofern auf nachhaltige Wirkung des indischen Abstechers. Die gleichfalls zur ministeriellen Entourage zählenden fünf Mitglieder des Bundestags-Kulturausschusses unter der Vorsitzenden Monika Griefahn hingegen wollten sich Gedanken über eine "Evaluation" derartiger Spektakel machen - etwas, das dem Münchner Goethe-Institut bislang nicht unbedingt vertraut war.

Die indischen Festredner sagten durch alle Höflichkeitsfloskeln hindurch deutliche Worte. Indien, seiner Rolle im weltpolitischen Kräftespiel unsicher, will als Kulturpartner ernst genommen werden. Wenn man darüberhinaus aus den Ansprachen einen gemeinsamen Grundton heraushören konnte, dann den der traditionellen deutsch-indischen Kulturbeziehungen, aufbauend nicht zuletzt auf dem Lebenswerk des Indologen Max Müller.

Max Müller? In Deutschland kennen ihn allenfalls Spezialisten der Zunft. In Indien ist sein Name den gebildeten Schichten geläufig, und sei es nur, weil die - immerhin sechs - Goethe-Institute auf dem Subkontinent auf den Namen "Max Müller Bhavan" hören. Der 100. Todestag des Sanskrit-Forschers ist für die indische Seite ein mindestens ebenso gewichtiges Datum wie für die deutsche der zehnte Jahrestag der Wiedervereinigung, um ein derart umfangreiches, halbjähriges Kulturgastspiel zu rechtfertigen.

Die deutsche Seite hat sich damit allerdings unziemlich Zeit gelassen, fand doch ein indisches Festival hier zu Lande bereits 1991/92 statt. Kein Redner versäumte, die lange Dauer bis zum Gegenbesuch höflich zu rügen. Es bedurfte politischen Drucks, um das Außenministerium zur Finanzierung des bereits 1989 zwischen den Regierungen beider Länder vereinbarten Festivals zu bequemen. Spielt Indien in der deutschen Außenpolitik überhaupt eine Rolle?

Im Grunde, so ist auch aus Goethe-Präsident Hoffmanns Worten herauszuhören, sind die "Deutschen Festspiele" ein schöner, wenngleich überflüssiger Luxus. Die kürzliche Schließung einer siebten, in der islamisch geprägten Großstadt Hyderabad gelegenen Max-Müller-Filiale schmerzt ihn mehr, als die Freude über ein flächendeckendes Festival ausgleichen könnte. Zu 5,3 Millionen Mark Gesamtkosten haben das Außenministerium vier sowie Sponsoren aus der Wirtschaft gut eine Million Mark beigetragen, um den deutschen Anteil der Programmkosten zu bestreiten; die local hospitality geht wie üblich auf das Konto des Empfängerlandes.

Dafür tritt dann im Siri Fort Auditorium das Bayerische Staatsballett auf, um dem tanzbegeisterten Indien ein Potpourri von "Schwanensee" bis zu Choreographien von William Forsythe zu liefern (und tatsächlich waren die Eintrittskarten in Delhi sowie Mumbai als zweiter Gastspielstation aufs Heißeste begehrt). In Mumbai, wie Bombay jetzt offiziell heißt, kam - am Tag der Deutschen Einheit eröffnet - die repräsentative Ausstellung "Zeitgenössische Kunst aus Deutschland" hinzu. Später engagiert sich das Berliner Kunstgewerbemuseum mit modernem Kunsthandwerk, während das Germanische Nationalmuseum aus Nürnberg seine mittelalterliche Pracht vorführt.

Zu Beginn des kommenden Jahres reist das Berliner Ensemble mit seinem unverwüstlichen "Arturo Ui" ostwärts, nachdem zuvor bereits die Bremer Shakespeare Company ihre neue, "indisierte" Fassung des "Sturm" in gleich sieben Städten ausprobiert haben wird. Die indische Brecht-Rezeption ist bemerkenswert umfassend. Der Film darf gerade im Land mit der weltweit produktivsten Filmindustrie nicht fehlen. Allerdings stoßen "Jenseits der Stille" oder "Lola rennt" allein schon der nötigen Untertitelung halber an Verständnisgrenzen - bei einem Publikum, das doch die (einheimische) Leinwand und ihre Helden abgöttisch liebt.

Eine Milliarde Menschen, nur zur guten Hälfte alphabetisiert, lebt nach Schätzung der UN seit Herbst 1999 in Indien. Wie verschwindend gering die Zahl jener ist, die von deutschem Kulturexport erreicht werden könnten, lässt sich seriös nicht beziffern. Gewiss kann das nicht der alleinige Maßstab sein in einem Land, dessen gebildete Elite aus historischen Gründen nach Europa blickt und von Deutschland, und sei es nur Dank Max Müllers oder des drei Mal nach Deutschland gereisten Literaturnobelpreisträgers von 1913, Rabindranath Tagore, ein fast schon verklärtes Bild bewahrt. Das demnächst erscheinende Hindi-Deutsche-Wörterbuch gehört in dieses Umfeld ebenso wie der für Dezember geplante Doppelkongress, der in Delhi und Kalkutta das Erbe des deutschen Indologen sichten wird.

Andererseits ist dem vom Kenner des Subkontinents und langjährigen Leiter verschiedener Goethe-Institute in Indien, Georg Lechner, zusammengestellten Festival durchaus abzulesen, dass es bei der Beschwörung einer heilen Kulturvergangenheit nicht bleiben kann, auch wenn man sich entschiedener jugend- und breitenorientierte Programmpunkte vorstellen kann. Love Parade für Delhi? Für ein Land, dessen Hindu-Feste sich nächtelang unter bunten Neongirlanden zu Trommelwirbeln und Massentänzen hinziehen? Überhaupt nicht zu bewältigen ist der in Indien unvermindert gewaltige Gegensatz von Stadt und Land; ungeachtet der Tatsache, dass sich heutzutage neben heiligen Kühen und streunenden Schweinen selbst auf dem Dorf Kioske mit Telefonservice und Internetzugang finden, wie sie in den Metropolen an allen Straßenecken frequentiert werden.

"Wo das eigentliche Indien ist", - so Tilmann Waldraff, Leiter des Max Müller Bhavan in Neu-Delhi - "gibt es kein Kulturangebot." Hätte "Goethe" vielleicht einen Zirkus über Land schicken sollen, wie Landeskenner beim Eröffnungsempfang ratschlagten? Was, andererseits, wäre damit an spezifisch deutschem Kulturexport zu leisten?

Es bezeichnet das Kernproblem des Kulturaustauschs, einerseits ein zutreffendes Bild des gebenden Landes vermitteln, andererseits die Wünsche und Interessen des empfangenden Landes befriedigen zu wollen. Indien, dieses ethnisch, religiös und sprachlich so ungemein vielgestaltige Land, lässt sich nicht auf einen Nenner bringen. Das German Festival erreicht bestenfalls eine schmale Schicht in den großen Städten; mehr kann allein schon die lokale Infrastruktur, können die wenigen und bescheiden ausgestatteten Theater- oder Museumsbauten nicht leisten. Es mangelt in Indien, klagt in diesem Zusammenhang der 90-jährige Sammler Jehangir Nicholson in seinem mit neuer indischer Kunst gefüllten Haus im Norden von Bombay, an der preservation der kulturellen Schätze.

In Bombay alias Mumbai lässt sich derlei diskutieren. Das ökonomisch-kulturelle Zentrum des Riesenlandes bietet die Aufmerksamkeit, in der auch "Deutsche Festspiele" Gehör finden. Das örtliche Max Müller Bhavan genießt eine privilegierte Adresse neben dem ehrwürdigen Prince of Wales Museum. Wenige Schritte entfernt liegt die National Gallery of Modern Art, in der Christoph Vitali vom Münchner Haus der Kunst seine Ausstellung mit Werken von Baselitz, Polke und Rückriem eingerichtet hat. Unter den Leihgebern ist nur ein einziges deutsches Museum. Wer mag schon die Gefahren des feuchtheißen Klimas hinnehmen?

Wer nimmt überhaupt auf, was Max Müller vor einhundert Jahren hinterlassen hat?

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