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Souvenir aus Nubien. Statuenoberteil des Königs Amenophis II.. Neues Reich. Quarzit, um 1420 v. Chr.

© bpk / Ägyptisches Museum und Pap

Neues Museum: Götter, Gräber – und ein Gelehrter

Vom Nil an die Spree: Das Neue Museum würdigt Carl Richard Lepsius, den Begründer der Ägyptologie.

Es war wie bei Bergbesteigungen oder der Mondlandung der Amerikaner. Am 15. Oktober 1842, einem wolkenlosen Sonnabend, wird über der Cheopspyramide von Gizeh der Preußenadler gehisst. Landnahme, symbolisch. Die Mitglieder der königlich-preußischen Expedition zur archäologischen Erforschung Altägyptens bringen unter dem schwarzweißen Banner ein dreifaches Hoch auf ihren König aus. Im fernen Berlin feiert Friedrich Wilhelm IV. seinen 47. Geburtstag.

Beste Aussichten, für die Nachwelt festgehalten in einer Zeichnung und einem kolorierten Kupferstich. Den Männern auf der Pyramidenspitze liegt ein unermessliches Forschungsfeld zu Füßen. Ganz links auf der Darstellung schwenkt ein untersetzter Mann mit Brille seinen Zylinder. Carl Richard Lepsius, der 32-jährige Leiter der Expedition, hat vorgesorgt: Dank preußisch-exakter Planung steht er nicht nur am Beginn eines Abenteuers, das ihn und sein Forscherteam zwischen 1842 und 1845 von Alexandria bis in den heutigen Sudan führen wird, sondern am Startpunkt einer glänzenden Karriere. Nach seiner Rückkehr vom Nil 1846 wird sie sich hauptsächlich in Berlin abspielen.

Lepsius, 1810 in Naumburg geboren und 1884 kurz nach Erscheinen seiner letzten Studie „Die Längenmaße der Alten“ in Berlin gestorben, gilt als Wegbereiter der modernen Ägyptologie. Zum 200. Geburtstag am 23. Dezember widmet das Ägyptische Museum Berlin seinem Spiritus rector eine längst überfällige Ausstellung im Neuen Museum.

Von Naumburg bis Kairo wird derzeit in Ausstellungen und Kolloquien die Frage nach der Bedeutung von Lepsius neu gestellt. Ohne ihn und die Expedition, an der die Architekten Georg Erbkam und James Wild, der Maler Johann Jacob Frey, der Bildhauer Joseph Bonomi, die Zeichner Ernst und Max Weidenbach sowie der Gipsformer Carl Franke teilnahmen, wäre das 2009 ins Neue Museum zurückgekehrte Ägyptische Museum Berlin jedenfalls ein völlig anderes.

Nicht nur, dass seine fragmentarisch erhaltenen „altägyptischen“ Raumgestaltungen, von David Chipperfield behutsam ergänzt, auf Vorschläge zurückgehen, die Lepsius noch während seiner Grand Tour nach Berlin sandte. Neben den 1500 mit dem Segen des ägyptischen Vizekönigs Mohammad Ali ausgeführten archäologischen Objekten – darunter Grabkammern aus Saqqara, thebanische Wandmalereien und Monumentalstatuen – brachte die Expedition 2000 Aquarelle und Zeichnungen, 1500 Abklatsche aus Papiermaschee von Wandinschriften sowie 15 000 Gipsabgüsse von Reliefs und Skulpturen mit nach Berlin. Hier lagern sie bis heute, verteilt auf Institutionen wie das Kupferstichkabinett oder die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.

Arbeitsstoff für Jahrzehnte: Zwischen 1849 und 1913 erschienen die von Lepsius herausgegebenen „Denkmaeler aus Aegypten und Aethiopien“ – zwölf Großfoliobände mit 900 Abbildungstafeln. Ein Referenzwerk bis heute, sind doch etliche der Bauwerke und Inschriften wegen Vandalismus, Tourismus und Umweltzerstörung so längst nicht mehr erhalten.

Lepsius war ein Universalgelehrter, von der Archäologie und Sprachwissenschaft kommend. Die Ägyptologie musste für ihn erst erfunden werden. 1832 starb Jean-François Champollion, der Entzifferer der Hieroglyphen, ohne sein System an längeren Texten erprobt zu haben. Alexander von Humboldt und der preußische Diplomat Christian Carl Josias von Bunsen setzen den 23-Jährigen auf Champollions Spur. Schnell arbeitet sich Lepsius zu einem der wichtigsten europäischen Altertumsforscher hoch. Auch darin liegt seine Modernität: Sich als Wissenschaftler das Arbeitsfeld selbst erschaffen und gegen Widerstände behauptet zu haben.

Von derlei Aktualitätsbezug spürt wenig, wer die von Olivia Zorn und Christina Hanus kuratierte Schau besucht. „Unsere kleine integrierte Sonderausstellung“ nennt Museumsdirektorin Friederike Seyfried das Unternehmen. Integriert, weil kein separater Raum zur Verfügung stand, sondern die Stücke mit Lepsius-Bezug im allgemeinen Museumsrundgang lediglich neu kommentiert und mit temporären Leihgaben ergänzt wurden. Das ist gründlich misslungen. Dabei wäre es auch mit einem bescheidenen Etat möglich, sammlungs- und kulturgeschichtliche Zusammenhänge so darzustellen, dass Besucher auch ohne Vorkenntnisse folgen können.

Doch hier kommt alles, zwar gut gemeint, staubtrocken daher. Mausgrau selbst die Ausstellungsgrafik, die sich gegen die Dauerausstellung nicht behaupten kann. Nur wer das Ausstellungsheft gelesen hat, wird begreifen, dass es sich bei den präsentierten technischen Instrumenten – darunter eine frühe Daguerrotypie-Kamera – um Dinge handelt, die Lepsius für seine Expedition angeschafft hat.

2006 hat die Kulturhistorikerin Agnete von Specht im Auftrag der Berliner Museen eine Lepsius-Ausstellung im Ägyptischen Museum in Kairo realisiert. Trotz ihres improvisierten Charakters machte die Schau – in Agypten als kulturpolitisches Ereignis gewürdigt – einen Forscher lebendig, dem Berlin und seine Museen unendlich viel zu verdanken haben. Diese Chance wurde in Berlin jetzt vertan.

Bis 20. März, Ausstellungsheft 6 Euro.

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