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Kultur: Griff nach den Sternen

„Reflection“: Die neue CD der Pianistin Hélène Grimaud

Kraftvoll und stürmisch – so zeigt sich Hélène Grimaud auf ihrer neuen CD „Reflection“. Auch die dritte Einspielung, die nun bei der Deutschen Grammophon erscheint, entspricht dem Faible der Pianistin fürs Romantische. Neben Schumanns Klavierkonzert spielt sie drei Liedkompositionen von Clara Schumann sowie die erste Cellosonate und die Rhapsodien op. 79 von Johannes Brahms. Erstmals tritt Grimaud als Klavierbegleiterin auf; die Schumannlieder singt Anne Sofie von Otter, den Cellopart für die Brahmssonate übernimmt Truls Mörk.

„Reflection“ markiert eine neue Stufe in Grimauds pianistischer Entwicklung. Waren ihr Chopin, ihr Rachmaninow noch von der grübelnden, bisweilen etwas langatmigen Suche nach philosophischer Deutung gekennzeichnet, besticht Schumanns a-Moll-Konzert nun durch energisches Zupacken. Das wird schon in den ersten Takten deutlich: Mit sicherer Hand lässt die Pianistin die Eingangsakkorde des ersten Satzes in den Raum donnern, aus denen sie dann eine empfindsame musikalische Erzählung fortspinnt. Die emotionalen Höhen und Tiefen dieses vielleicht romantischsten aller Klavierkonzerte werden von Grimaud leidenschaftlich und einfühlend ausgelotet. Im Andantino noch graziös, bisweilen kokett, erreicht ihre Interpretationskunst im furiosen Finale bislang ungekannte Höhen und macht den legendären Aufnahmen etwa Lipattis oder Brendels Konkurrenz.

Wenn sie das euphorische, angriffslustige Hauptmotiv pathetisch, mit souveräner Technik in die ersterbende Stille des zweiten Satzes schmettert und dann durchvariiert, merkt man: Diese Frau lebt mit, ja in dieser Musik. Die Ausgeglichenheit, mit der sie Läufe und Triller meistert, wie die resolute Ergriffenheit, zu der sich ihr Spiel in der Coda erhebt, beseligen vom ersten Anhören an. Einziger Schwachpunkt ist die von Esa Pekka- Salonen dirigierte Staatskapelle Dresden, die zwar technisch auf der Höhe ist, indes in der akustischen Rahmengebung versagt. Der Klang wirkt obertönig und sahnig, das Orchester im Ganzen zu reserviert gegenüber dem kämpferisch-triumphierenden Brio der Solistin.

Mit den Schumannliedern und der Brahmssonate wagt sich Hélène Grimaud, die bei New York mit einem Wolfsrudel lebt und offensiv ihren philosophischen und literarischen Interessen frönt, auf neues kammermusikalisches Terrain. Clara Schumanns Vertonung zweier Gedichte aus dem Liebesfrühling von Rückert erschließen dem weltflüchtig-träumerischen Grimaud’schen Duktus eine neue Domäne. Das zuckend-irrlichternde Tremolo Anne Sofie von Otters in „Er ist gekommen“ findet seine kongeniale Ergänzung in dem bogenreichen Spiel der Grimaud, die sich hier auch das eine oder andere Rubato leisten darf. Die Ruhe und Sanftmut wiederum, die aus „Warum willst du and’re fragen“ spricht, kann sich keine bessere Verkünderin als jene Pianistin wünschen, der zuletzt eine selten sensible Einspielung von Chopins Berceuse gelungen ist. Das Gleiche gilt für den fiebrig-aufgeregten Gestus von „Am Strande“: Die Konzertinterpretin Grimaud entdeckt sich als Liedbegleiterin.

Brahms’ getragen-schwermütiger Cellosonate in e-Moll verleiht Grimaud einen intimen Akzent, so durch die schwärmerischen Legatofiguren des zweiten Themas im Kopfsatz; dabei meistert sie souverän den Spagat zwischen pianistischer Allüre und kleinmütiger Zurücknahme. Gegenüber dem Kopfsatz fällt der Vortrag des zweiten und dritten Satzes allerdings ab: Das verbiesterte Menuetto müsste doch kraftvoller und gekränkter klingen; dem Allegro mit seinem fugenartigen Einstieg wiederum fehlt die hitzig-explosive Note, die hier ein wenig zu farbloser Akademik verwässert wird.

Ein Glanzstück hingegen sind die beiden Brahms-Rhapsodien op. 79. Grimaud verzichtet hier auf alle ausladenden Dehnungen des melodischen Gefüges und bringt die fatalistische Leidenschaft dieser beiden Miniaturen schwungvoll und wuchtig zum Ausdruck. Das wilde Ungestüm, mit dem sie sich in die g-Moll-Rhapsodie stürzt, entspricht mühelos dem Maßstab, den Glenn Gould mit seiner Aufnahme gesetzt hat.

Hélène Grimaud präsentiert ihre neue CD heute um 18 Uhr im Kulturkaufhaus Dussmann in der Friedrichstraße. Sie spielt Brahms und wird im Anschluss an die von Christine Lemke-Matwey moderierte Veranstaltung auch signieren.

Konstantin J. Sakkas

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