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Frank Castorf (r.) Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller bei der Verleihung des Großen Kunstpreises Berlin in der Akademie der Künste am Pariser Platz.

© imago/Mauersberger

Großer Kunstpreis des Landes Berlin: Frank Castorf - echt brutal und alterszart

Volksbühnen-Chef Frank Castorf wird mit dem Großen Kunstpreis des Landes Berlin ausgezeichnet. Auch sieben weitere Künstlerinnen und Künstler wurden in der Akademie der Künste geehrt.

Anna Prohaska kommt mit dem Taxi von ihrer Staatsopern-Premiere spät in die Akademie der Künste, um sich ihre Auszeichnung abzuholen, ihr Laudator, der Sängerkollege Christian Gerhaher, hat aus London eine Videobotschaft geschickt. Das ist Berlin, und es ist ein sehr Berlinischer Preis: Begründet 1948, erinnert er an die mutigen Menschen, die 1848 auf die Barrikaden gingen und ihren Einsatz für Freiheit und Demokratie mit dem Leben bezahlten.

Das hat in der Feierstunde Jeanine Meerapfel betont, die Präsidentin der Akademie der Künste, verbunden mit einem Appell, den Menschen zu helfen, die jetzt bei uns Schutz und Asyl suchen. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller nennt dann auch gleich Frank Castorf „einen der bedeutendsten Theaterkünstler unserer Zeit“ und einen „Spezialisten für Umbrüche und Revolutionen“. Castorf bekommt in diesem Jahr, an diesem Abend am Pariser Platz, den Großen Kunstpreis des Landes Berlin. Oder? Auf der Urkunde, sagt er, haben sie seinen Namen falsch geschrieben, Casdorf mit d. Stimmt gar nicht, nur ein kleiner Scherz des Preisträgers, Castorf wirkt überhaupt gut aufgelegt, hat die Haare kurz wie nie und seine Mutter mitgebracht. Und Sophie Rois bringt ihm zu Ehren einen Qualtinger-Sketch mit zwei alten Schauspielern in der Garderobe.

Tja, wie war ich? Die Preisträger werden in Talkshow-Manier vorgestellt und befragt, das dauert und verleitet zu kuratorischem Schlaumeiergerede. Der Fotograf Sven Johne, die Architekten Kersten Geers und David van Severen aus Belgien, der Komponist Stefan Prins, die Schriftstellerin Angelika Meier, der Tonmeister Peter Avar und Glucks bezaubernde Eurydike Anna Prohaska – das sind die Preisträger 2016 in den unterschiedlichen Abteilungen, alle deutlich jünger als der 64-jährige Hauptpreisträger, so soll es sein.

Die Laudatio auf Volksbühnen-Chef Frank Castorf hält Ulrich Matthes, der Direktor der Abteilung Darstellende Kunst. Sie kennen sich persönlich kaum, der Schauspieler und der Regisseur, aber, wie der sehr zum Plaudern aufgelegte Matthes sagt, das könne sich ändern, wenn Castorf in seine „alterweise, zarte Phase eintritt“. Matthes’ Rede zeugt von größtem Respekt, auch wenn er während der 25 Volksbühnen-Jahre, um die es hier geht, eine vollkommen andere Ästhetik verfolgt hat, als Schauspieler an der Schaubühne und am Deutschen Theater. Matthes bewundert die „Energie und Strahlkraft“ des Castorf-Theaters, das unbedingt zeitgenössisch sei – und ein Theater der Schauspieler. Anfangs sei er „fassungslos“ gewesen, auch „vor Entsetzen“, aber „Irrsinn, Witz, Intelligenz und Wut“ des Regisseurs und Volksbühnen-Intendanten wirken dialektisch. Man mag es nicht, ist aber davon beeinflusst.

Castorf sagt, er ist ein glücklicher Mensch, weil er immer sagt, was er denkt

Und er selbst? Fängt nölig an, um sich eine gute halbe Stunde lang über Schiller, Marx, Lenz und Büchner und Bakunin auszulassen in seinem typischen Castorf-Swing. Manches, was er sagt, klingt nach Verständnis für AfD-Wähler, von wegen Carl Schmitt und so, er sagt freundlich: „Unser weichgespülter Demokratiebegriff hat mich nie interessiert“, überhaupt überall zu viel Konsens. Und er sei insofern ein glücklicher Mensch, als er immer sage, was er denke. Praktisch nichts hört man zum bevorstehenden Abgang von der Volksbühne in einem guten Jahr – schließlich war es Michael Müller, der die Nachfolge geregelt hat mit Chris Dercon. Der Name fällt aber nicht, no hard feelings.

Einerseits ist das am Ende ein retrospektiver Abend, denn fast alles, was Matthes beschreibt an Castorfs Theater, die Provokatin, die energetische Aura, ist ja nicht mehr so wild. Und andererseits wird klar: Der geht uns in Berlin nicht verloren, der gehört hierher. Interessant, wie sehr sich Matthes zum Westen bekennt, als West-Berliner Bürgersohn Jahrgang 1959, das bleibt man immer, irgendwie. Und wie Castorf die Herkunft aus dem Osten eher als Konzept versteht, als Lizenz zum Maulen und einem anarchischen Freiheitsbegriff. Wie sagt Ulrich Matthes? Castorf besitzt „echte Brutalität, nicht einfach einen schlechten Charakter. Den haben viele“.

Rüdiger Schaper

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