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Mona Hatoum: "Heimat ist für mich kein Ort"

Am Freitag erhält Mona Hatoum den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste. Ein Gespräch über Reisen und Rasten.

Frau Hatoum, in Ihrer Ausstellung ist eine neue Arbeit zu sehen, „3-D Cities“, die Stadtpläne von Bagdad, Beirut und Kabul mit kraterähnlichen Einschlagflächen zeigt. Wo haben Sie diese Pläne gefunden?

Ich habe sie in einem Laden gekauft, der Stadtpläne für Touristen anbietet. Ich war noch nie in Bagdad oder Kabul. Beirut kenne ich natürlich gut, ich bin dort geboren. Aber die Stadt durchläuft einen ständigen Prozess. Die Idee zu der Arbeit hatte ich 2006, als Beirut, das nach langen Jahren des Kriegs gerade wiederaufgebaut worden war, erneut bombardiert wurde, mit riesigen Zerstörungen. Das verbindet Beirut mit den beiden anderen Städten, Bagdad und Kabul. Alle drei sind in jüngster Zeit buchstäblich zu Tode gebombt worden.

Stadtpläne und Landkarten tauchen in Ihren Arbeiten regelmäßig auf. Was fasziniert Sie so daran?

Ich mag es, meine Position auf einem Plan zu bestimmen. Wann immer ich in eine Stadt komme, muss ich als Erstes einen Stadtplan besorgen, um mich zu orientieren. Ich finde es faszinierend, wie aus einem realen Ort eine Abstraktion wird. Ein Kritiker hat einmal geschrieben, eine Landkarte entspringt der Verunsicherung über das Thema Heimat. Ich finde, das ist eine gute Beobachtung. Vergessen Sie nicht: Karten legen auch Grenzen fest, sie entscheiden über Inklusion und Exklusion, darüber, ob jemand dazugehört oder nicht.

Sie sind beständig auf Reisen, von einem Stipendium, einer Ausstellung zur nächsten. Sind Sie immer so rastlos gewesen?

Bevor ich aus Beirut wegging, war ich nie woanders gewesen, schon aus finanziellen Gründen. Heute reise ich für meine Arbeit. Aber lange Zeit kannte ich das Konzept von Ferien in meinem Leben nicht. Okay, ich habe Nachbarländer wie Syrien oder Jordanien besucht, aber diese Orte sind von Beirut aus nur einige Stunden mit dem Auto entfernt. Auch als Studentin in London hatte ich kein Geld, um nur zum Spaß irgendwohin zu reisen. Ich reise immer nur dahin, wo meine Arbeit mich hinträgt.

Wie arbeiten Sie denn auf der Reise? Bleibt ein Stab von Assistenten zu Hause, der Ihre Pläne dann umsetzt?

Ganz im Gegenteil. Das Gefühl der Freiheit, die Möglichkeit aufzustehen und wegzugehen, wann immer ich will, ist für mich fast eine Obsession. Deshalb kann ich auch keinen Assistentenstab haben – der Gedanke, mich ständig um sie kümmern zu müssen, bereitet mir Stress. Ich ziehe es vor, professionelle Handwerker zu beschäftigen, die meine Werke herstellen, statt die ganze Maschinerie und die Leute im Studio vorzuhalten. Manchmal, wenn ich höre, dass Künstler ein Studio wie eine Factory führen, denke ich, die müssen nur noch arbeiten, um diese Factory zu unterhalten.

Was nehmen Sie auf die Reise mit – nur ein Blatt Papier, um Notizen zu machen?

Ich mag es, Sachen selbst herzustellen, eigenhändig. Daher habe ich eine Art Notpaket mit Werkzeugen, das ich immer mitnehme. Aber die meisten Sachen sammle ich auf, wo ich gerade bin. Ich finde es sehr inspirierend, mit regionalen Materialien oder Techniken zu arbeiten. Vor kurzem hatte ich ein Stipendium in Beirut, und ich habe fünf oder sechs Arbeiten in einem Monat gemacht, für eine SoloShow im Beirut Art Center.

Fühlen Sie sich in Beirut eigentlich noch zu Hause? Es ist 35 Jahre her, dass Sie die Stadt verlassen haben.

Meine Eltern leben nicht mehr, und wir haben kein familiäres Zuhause mehr in der Stadt. Aber ich habe noch viele Freunde. Und es ist die Kultur, in der ich aufgewachsen bin. Aber eigentlich fühle ich mich an vielen Orten in der Welt zu Hause, in Berlin, in London, in New York. Heimat ist kein spezifischer Ort für mich, ich schaffe mir temporäre Heimaten, wo immer ich hingehe. Ich habe nicht dieses romantische Gefühl einer Ursprungs- oder Idealheimat. Und der Libanon hat sich in den 15 Jahren Bürgerkrieg so verändert, dass er ohnehin nicht mehr der Ort meiner Kindheit ist.

Seit 2003 haben Sie eine zweite Heimat hier in Berlin. Warum sind Sie geblieben?

Berlin ist eine große Stadt, aber sie kann so ruhig sein. Sie kommt mir so viel menschlicher vor als etwa London oder New York. Dort ist immer Hetze, Eile, Druck, so viele Menschen, man kann sich dem gar nicht entziehen. Hier in Berlin gibt es mehr Zeit, mehr Ruhe – mein Leben hier ist viel mehr ausbalanciert. Ich habe das Gefühl, mehr Raum in meinem Kopf zum Arbeiten und Denken zu haben, wenn ich hier bin.

Um Heimat geht es auch in Ihren Arbeiten – und um die Gefahr, die damit verbunden ist. Normale Alltagsgegenstände wie Küchengeräte entpuppen sich als gefährlich ...

Ich wollte etwas schaffen, das Gemütlichkeit, Fürsorge, Häuslichkeit verspricht, und dann etwas hinzufügen, das diese Erwartung zerstört und die Vorstellung des Heims problematisiert. Nehmen Sie meine Installation „Homebound“, die auf der Documenta 9 zu sehen war: ein ganzes Zimmer mit Möbeln aus Metall, wie man sie in einem Apartment finden würde, und sie sind mit Kabeln verbunden. Das ganze Arrangement ist tödlich, weil es unter Strom steht.

Es sind altmodische Möbel, wie man sie aus den Fünfzigern kennt. War es ein nostalgischer Impuls, solche Möbel zu wählen?

Ich bin nie nostalgisch. Nostalgie heißt, man sehnt sich nach Dingen, die vorbei sind. Bei „Homebound“ gibt es dieses Moment der Ambiguität. Man weiß nicht, ob die Menschen aus diesem Heim herausgeworfen wurden oder zu ihrem eigenen Schutz entfernt wurden, oder ob es eine verlorene Heimat ist, die man nicht mehr betreten darf. Selbst der Titel ist zweideutig: „Homebound“ heißt eigentlich: auf dem Weg nach Hause. Es kann aber auch gelesen werden als: ans Haus gebunden. Wie ein Gefängnis. Es kann das Gefühl bedeuten, zu Hause gefangen zu sein, wie Frauen es oft empfinden.

Gitterstäbe, Käfige, Stacheldraht tauchen immer wieder auf. Fühlen Sie sich selbst gefangen?

Ich war noch nie physisch gefangen gehalten, und ich hoffe, ich werde es nie. Es geht mir eher um eine Art von Restriktion, die Menschen auferlegt wird, was ihre Freiheit der Bewegung angeht – Menschen können nicht überall hin, wo sie hinwollen, sie werden durch Grenzen oder Bürokratie gehindert. Es ist ein generelles Gefühl, als Bürger zu sehr kontrolliert zu werden. In diesem Sinne betrifft mich das natürlich auch. Aber ich habe immer Wert darauf gelegt, dass ich meine Bedenken durch die formalen und ästhetischen Qualitäten meiner Arbeit äußere. Ich möchte in meinen Kunstwerken keinen direkten politischen Kommentar abgeben. Ich mache Kunst.

Was ist Ihre Vorstellung von Freiheit?

Freiheit heißt, dass ich gehen kann, wo ich hinwill, leben kann, wo ich will, dass ich Wasser, Essen, saubere Luft habe. Freiheit ist der Zugang zu den Basis-Konditionen des Lebens. Leider existiert das nicht überall.

Die Fragen stellte Christina Tilmann.

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