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Chamäleon und Legende. Herbie Hancock im Herbst 2017

© Michal Dolezal imago/CTK Photo

Herbie Hancock im Admiralspalast: Was ihr Volt

Elektrisch und funkig: Der Jazzpianist Herbie Hancock und sein Quartett spielen im Admiralspalast.

Von Gregor Dotzauer

Herbie, kreischt es schon von allen Seiten, während noch das Licht im Admiralspalast erlischt. Herbie, Herbie, als wollten sie sich am eigenen Übermut besaufen, einen Jazzpianisten zu begrüßen, der mit 77 Jahren die Muskeln noch immer in der Entschlossenheit zu ewiger Jugend spielen lässt. Tatsächlich dauert es, nachdem sich Herbie Hancock huldvoll in den frenetischen Applaus geneigt hat, keine drei Minuten, bis er und sein Quartett auf Betriebstemperatur sind, mit einer Hitzigkeit, die die synthetische Kälte dieser Musik fast vergessen lässt. Und auf dieser Temperatur bleiben sie gut anderthalb Stunden lang, mit einer Lautstärke, die der Saal nicht annähernd verträgt – und einem höhenlastigen Sound, der einem ausgerechnet mit dem Flügel metallene Spitzen in die Ohren bohrt.

Aber wen kümmert’s? Noch jagt Hancock durch ein Zitatenkarussell seiner Stücke. Drummer Trevor Lawrence jr., unter Hip-Hoppern auch als TrevBeats bekannt, schaltet im Handumdrehen die Gänge um, und als einmal ein paar Takte von „Butterfly“ aufblitzen, bricht ein neuerlicher Jubel los, der vom nächsten Zitat gleich wieder verschluckt wird. Dies ist ein Fest, das der elektrische Herbie Hancock feiert. Anfang der 70er Jahre setzte er sich mit funkigen Alben wie „Head Hunters“ und „Thrust“ vom akustischen Herbie Hancock ab, als der er im Miles-Davis-Quintett mit Wayne Shorter und Tony Williams berühmt geworden war. Längst leben der Mann für die Synthesizer-Ekstasen und der subtile Klaviervirtuose wieder in Frieden miteinander.

Doch weil er genau weiß, wem von beiden das Publikum den Vorzug gibt, gibt er dem Fusion-Affen hemmungslos Zucker – sowohl Vergangenheit einer Zukunft, die sich heute selbstverständlich ausnimmt, wie Pionier einer sehr viel weiter reichenden Entgrenzung.

Auf in den Weltraum

„Spacey und weird“ soll der Abend werden, verspricht Hancock, und neben TrevBeats und E-Bassist James Genus begleitet ihn Terrace Martin in die Weiten des Weltraums. Ein Altsaxofonist, Sänger und Keyboarder, der unter anderem Kendrick Lamars Hip-Hop-Album „To Pimp A Butterfly“ produziert hat und im Studio nun auch Hancock unter die Arme greift.

Zusammen mit Martins Freund Flying Lotus hat er sogar schon erste Stücke aufgenommen. Hancock denkt nicht daran, Pianisten wie Robert Glasper ein Feld zu überlassen, das er überhaupt erst bereitet hat. Und so wirft er leichthändig wie eh und je Clavinet-Stakkati über „Actual Proof“, ein unverwüstliches Jam-Vehikel aus dem Jahr 1974, bevor er sich einem seiner vielen Klaviersoli widmet, die eher aus ornamentalem Laufwerk und perkussiven Blockackordattacken als melodisch klar strukturierter Improvisation bestehen. Dazu ist diese von heftigen Schlagzeugbeats aufgepumpte Musik aber auch nicht da. Später bratzt der Korg Oasys nach Synthie-Leibeskräften, und Hancock und Martin duellieren sich mit mehrstimmigen Vocoder-Einlagen.

Bei aller Kraft herrscht durch das Dauervollgas allerdings auch ermüdende Gleichförmigkeit. Sie verschont auch nicht den „Watermelon Man“, Hancocks bis heute größten, bis zu seinem Blue-Note-Debüt „Takin’ Off“ 1962 zurückreichenden Hardbop-Hit. Gerade bei Standards gibt es kein grundsätzliches Richtig und Falsch der Interpretation: Hancock selbst hat auf „Head Hunters“ eine faszinierend entkernte Version eingespielt. Aber das lässig schaukelnde Thema so zu zerknüppeln, dass es auf einmal tonnenschwer wirkt, muss man erst einmal hinkriegen. Und dann ist als Zugabe auch schon „Chameleon“ an der Reihe, zu dem sich Hancock seinen weißen AX Synth umhängt – jenen Keytar-Hybrid für alle Tastenarbeiter, die immer schon mal wie ein Gitarrist die Töne dehnen und zerren wollten.

Hancock war da. Er macht nach wie vor eine gute Figur. Und doch kommt man seiner Größe vielleicht näher, wenn man seine vor drei Jahren erschienene Autobiografie „Possibilities“ liest, die den ganzen Hancock mitsamt seiner buddhistischen Lebensphilosophie enthält. Oder man lässt sich von ihm gleich unterrichten. Auf www.masterclass.vom bietet er seit Oktober einen Onlinekurs an. Der ist auch nicht teurer ist als der Eintritt zu seinen Konzerten.

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