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Fleißigste Leiche im Pop-Business. Der Rapper Tupac Shakur (1971-1996).

© picture-alliance/ dpa

Hip-Hop-Roman "IQ" von Joe Ide: Der Pitbull von Compton

Inspiriert von Sherlock Holmes’ Ermittlungsmethoden und der Geschichte des Rap-Stars Tupac Shakur: Der Hip-Hop-Krimi „IQ“, Debütroman vom Drehbuchschreiber Joe Ide.

Dass Rap-Stars durch sogenannte Drive-by-Shootings ums Leben kommen können oder selbst aktiv in solche verwickelt sind, weiß man spätestens seit den mittleren neunziger Jahren. Damals wurden in den USA die Rapper Tupac Shakur und Notorious B.I.G. erschossen und musste sich jemand wie der Westcoast Hip-Hop-Star Snoop Dogg wegen einer solchen Schießerei vor Gericht verantworten. Dass sie aber von einem Kampfhund gezielt getötet werden (sollen), ist bislang noch nicht vorgekommen – und glücklicherweise nur eine Option in der Welt der Kriminalliteratur.

In Joe Ides Debütroman „IQ“ überlebt der Rap-Star Calvin Wright alias Black The Knife nur knapp den Angriff eines 60 Kilo schweren Kampfhundes direkt bei sich zu Hause, in seiner eigentlich unzugänglichen, schwerbewachten lachsfarbenen Villa im mediterranen Stil in Vista del Valle, einem der Reichenviertel von L.A., oben in den Woodland Hills. „Er war groß. Richtig groß. Man hätte ihn fast für eine deutsche Dogge halten können. Cal hatte schon viele Pitbulls gesehen, aber keinen so großen.“

Der Thriller ist auf zwei Zeit-Ebenen angesiedelt

Joe Ides Thriller „IQ“ spielt einerseits im Milieu eines Rap-Stars mit seiner Entourage, andererseits in den Straßen der L.A.-Problembezirke South Central, Compton oder East Long Beach, auf denen Ides wichtigsten Protagonisten und Ermittler Isaiah Quintabe, der titelgebende Mr. IQ, und sein Kompagnon Juanell Dodson aufgewachsen sind. Beide haben sich auf diesen Straßen zunächst selbst als Kleinkriminelle bewährt, als Dealer oder Einbrecher in Haushaltswarenläden, Zoohandlungen oder Baumärkten. Isaiah Quintabe ist nun Detektiv „ohne Lizenz im Untergrund“ und braucht, wie es sich für einen guten, stets selbst leicht angeschlagenen Hard-boiled-Detektiv gehört, dringend Geld. Da kommt ihm der von Dodson herbeigeschaffte Auftrag, den Killerhund-Anschlag aufzuklären, gerade recht – selbst wenn er sich in Folge nicht nur mit Anfeindungen von Calvin Wrights Bodyguards und Managern auseinandersetzen, sondern sich in die Welt der Hundezucht und von reichlich irren Pitbull-Haltern begeben muss.

Ide, der als Drehbuchautor in Los Angeles lebt und als Kind mit japanisch-amerikanischen Wurzeln in South Central aufgewachsen ist, hat seinen Thriller auf zwei Zeit-Ebenen angesiedelt. Er erzählt, wie Isaiah Quintabe nach dem Unfalltod seines größeren Bruders Marcus in den Jahren 2005 und 2006 Dodson kennenlernt und mit diesem die ersten Brüche begeht. Und wie sie beide Jahre später, 2013, von Calvin Wrights Manager Bobby Grimes und dessen Assistenten Anthony engagiert werden, um weitere, mutmaßlich von der rachsüchtigen Ex-Ehefrau Noelle eingefädelte Mordanschläge auf den Rapper zu verhindern. Charmant sind die Verweise auf Conan Doyle und seine Sherlock-Holmes-Krimis, speziell „Der Hund von Baskerville“, in dem ein sagenumwobener monströser Hund eine gewichtige Rolle spielt. Isaiah ist wie Holmes kein Haudrauf, sondern ein Ermittler, der ruhig seine Schlüsse zieht, analytisch denkt, im Gegensatz zu Dodson (man höre die lautmalerische Nähe zu Watson, Holmes’ Assistenten), der wiederum eine typische Milieufigur ist.

Zudem versteht Ide es einerseits, filmreife Szenen zu bauen: in der Villa des Rappers, beim Auftragskiller Skip und seinen Pitbulls, in den Läden, in denen Quintabe und Dodson einbrechen. Und Ide schreibt andererseits dem Sound der Straße abgelauschte, wahrhaftige Dialoge, von Conny Lösch gut und, was in solchen Fällen noch wichtiger ist: unpeinlich ins Deutsche übersetzt.

Ein psychologisch komplexer Held und Ermittler

„IQ“ enthält viel Musik, auch so einige Reime, Hip-Hop eben, von Tupac und Notorious B.I.G. bis zu Rap-Stars der Gegenwart wie Ludacris oder Kendrick Lamar. Die Plotkonstruktion erscheint im Verlauf etwas wackelig – doch auch sie entpuppt sich schließlich durch und durch als eine Hip-Hop-Geschichte, da Joe Ide sich von der posthumen Erfolgsstory von Tupac Shakur hat inspirieren lassen.

Von dem 1996 ermordeten Großrapper wurden, nachdem seine Mutter Afeni sich die Rechte an seinen Songs zurückerstritten hatte, mehr Platten als zu Lebzeiten verkauft, bis heute über 75 Millionen. Tupac gilt „als die fleißigste Leiche im Popgeschäft“. Und genau das stellt sich als das Motiv der Menschen aus dem Umfeld des fiktiven, immer durchgeknallter agierenden, unter einem schweren Burn-out leidenden Rappers Calvin Wright heraus: Ein toter Popstar ist noch einmal mehr wert als ein lebender, zumal kreativ ausgepumpter. Vor allem jedoch ist Joe Ides Held und Ermittler ein guter, psychologisch komplex geratener. Am Ende erkennt er, dass er das Leben „eines Rappers von zweifelhaftem allgemeingesellschaftlichen Wert“ gerettet hat, aber kleinere Übel wie diese gegenüber dem großen sozialen Ganzen gar nicht so schwer wiegen. Isaiah Quintabe würde man gern noch öfter begegnen.

Joe Ide: IQ. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 388 S., 14, 95 €

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