zum Hauptinhalt
Der im März verstorbene Festival-Gründer Heinz Badewitz mit Wim Wenders vor zwei Jahren im „Deckenkino“ von Hof.

© Evelyn Kutschera

Hofer Filmtage: Spätvorstellung

Die 50. Hofer Filmtage verteidigen das utopische Potenzial der Provinz - und feiern den verstorbenen Festivalgründer Heinz Badewitz.

Gegen Mitternacht ist es wie früher, nur ohne Zigarettenqualm: In der Gaststube des Hotels Strauss schwatzen alle wild durcheinander, bestellen noch eine Runde und erzählen Geschichten von Heinz und von damals in Hof. Es wird immer voller, die Spätvorstellungen gehen zu Ende, gerade öffnet Aylin Tezel die Tür. Die engagierte Nachwuchsschauspielerin und Dortmunder „Tatort“-Kommissarin hat vor ein paar Stunden den Filmpreis der Stadt Hof erhalten.

Die Jungen und die Alten, das Kino und das Fernsehen, sie trafen sich schon immer in Hof. Tezel stößt denn auch gleich auf die Fassbinder-Königinnen Hanna Schygulla, Margit Carstensen und Eva Mattes, die sich mit Regisseurin Aelrun Goette und deren Tatort-Team von „Wofür es sich zu leben lohnt“ an einer langen Tafel niedergelassen haben. Eben haben sie im Scala-Kino mit dem legendären roten Samtvorhang Premiere gefeiert.

Hanna Schygulla erzählte, dass sie als Kind unbedingt den Weihnachtsengel spielen wollte, da sei es schön, jetzt ein Würgeengel zu sein. In der Tat macht es Spaß, Schygulla, Carstensen und auch noch Irm Herrmann zuzusehen, wie sie als Rachegeister-Kommunardinnen in einer verwunschenen Villa hausen und den Kapitalismus in Gestalt von Matthias Habich ein wenig foltern, mit Hummersuppe, spitzen Worten und scharfen Messerchen.

Erstmals wir ein Badewitz-Preis vergeben

Hof mit all den Geschichten von Heinz und von früher: Die Filmtage feiern 50. Geburtstag, noch bis Sonntagabend. Aber ohne den Gründer Heinz Badewitz, den dienstältesten Festivalleiter der Welt, der im März überraschend gestorben ist. Weshalb der von einem Kuratorentrio kommissarisch betreute Jubiläumsjahrgang auch ein Abschiedsfest geworden ist, eine Hommage an Heinz, samt erstmals vergebenem Badewitz-Preis (an Regisseurin Tini Tüllmann für ihren Erstling „Freddy Eddy“). Der gebürtige Hofer mit der ewigen Pilzkopf-Frisur, sie nannten und nennen ihn alle nur Heinz. Ein halbes Jahrhundert lang breitete er buchstäblich seine Arme aus und nahm sie unter seine Fittiche, unterschiedslos, die Diven, den Nachwuchs, die Wilden, die Braven, die Autorenfilmer und die TV-Movie-Macher, die Branche und ihre Außenseiter.

Hof ist der paradoxe Fall eines kuratierten, aber Wertungen vermeidenden Filmfestivals, Talentcampus und Hauptquartier des Neuen Deutschen Films, dem Badewitz auch die Treue hielt, als er ins Mittelmaß abrutschte. Provinziell wurde es nie, denn er lud auch das internationale Independentkino ein. So weht Weltkinoflair an diesem randständigen, vernebelten fränkischen Ort unweit der Zonengrenze, jedes Jahr im Spätherbst.

Aufbrüche, Abgesänge und Melancholie

Begonnen hatte es 1967 als kleinstes Filmfest der Welt, mit einem zweistündigen Kurzfilm-Programm. Badewitz war mit 22 nach München gegangen und hatte den rebellischen Geist des Oberhausener Manifests im Gepäck, als er mit dem Filmtage-Plan zurückkehrte. Vlado Kristl zeigte sein Slapstick-Anarcho-Experiment „Autorennen“, und wer den Kurzfilm mit Go-Cart fahrenden Leinwandstrolchen in der Jubiläums-Retro sieht, begreift auf der Stelle, wie obrigkeitshörig Deutschland einmal war.

Aufbrüche, Abgesänge. Werner Herzogs Kurzfilm „Letzte Worte“ (1968) porträtiert den letzten Bewohner einer griechischen Lepra-Insel, der zwangsumgesiedelt wird. Ein Migrant wider Willen, seltsam aktueller Historienstoff. Auch der taumelnde Mann in Wim Wenders’ 13-Minuten-Loop „Same Player Shoots Again“ (ebenfalls 1968 in Hof) oder Reinhard Hauffs RAF-Parabel „Messer im Kopf“ (1978) mit dem blutjungen Bruno Ganz machen beim Wiedersehen bestürzend klar: Die Rebellen waren Melancholiker. Sie kamen nicht zurande mit Dunkel-Deutschland, wie Hof-Veteran Hans Noever es nennt, schöpften ihre künstlerische Energie aus der Verweigerung. Filmkunst war Dissidenz, das Gegenteil von Tatkraft.

Die Melancholie ist immer noch da. Reinhard Hauff erzählt, wie er 1972 mit einem kleinen Dokfilm nach Hof kam und die Vorstellung von der APO Kulmbach mit roten Fahnen gestürmt wurde. Sie wollten diese „angepasste Sch...“ nicht sehen. Hauff betrübte das sehr, er, ein Angepasster? Leise fügt er hinzu: Wenn heute die Kulmbacher kämen, wären sie wohl von der AfD.

Wenders, Herzog, Noever, Hauff: Viele sind zum Geburtstag angereist, vertreten sich am Bratwurststand vor dem Kino Central in der Fußgängerzone die Beine und haben nicht vergessen, was sie Hof verdanken. Für Doris Dörrie begann hier das „Wunder“ des Überraschungserfolgs von „Männer“. Feo Aladag hat ihr kleines, hartes, schnell realisiertes Migranten-TV-Drama „Der Andere“ mitgebracht (ZDF, 21.11., 20.15 Uhr) und erinnert sich lebhaft daran, wie sie Ende der Neunziger als junge Schauspielerin in die Saalestadt kam, es war ihr erstes Filmfestival. „Heinz Badewitz stellte mir jeden vor, und ich wusste zu Anfang nicht mal, wer Heinz ist.“

Hof ist immer auch ein Festival der verkannten Talente gewesen

Der im März verstorbene Festival-Gründer Heinz Badewitz mit Wim Wenders vor zwei Jahren im „Deckenkino“ von Hof.
Der im März verstorbene Festival-Gründer Heinz Badewitz mit Wim Wenders vor zwei Jahren im „Deckenkino“ von Hof.

© Evelyn Kutschera

Kein Standesdünkel, kein Glamour, kein Wettbewerb: Das unterscheidet Hof von anderen Festivals. Und es ist eben keine „attraktive Leistungsschau“, wie Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner Hof per Video-Grußbotschaft gründlich verkennt. Eher schon ein „unmöglicher Ort“ (Werner Herzog). Die Utopie einer Weltkinofamilie.

Hof ist immer auch ein Festival der verkannten Talente gewesen. Die Filmstudenten teilten sich ein Einzelzimmer zu zehnt – weshalb auch das Pensions-Schild „Ich bin kein Doppelzimmer“ zur Filmtage- Chronik gehört. Caroline Link war Gästebetreuerin und sie debütierte hier, wie Tom Tykwer und Sönke Wortmann. Gerne entschied sich das Ein-Mann-Auswahlkomitee Heinz Badewitz für Filme, die andernorts abgelehnt wurden, für „Nach fünf im Urwald“ von Hans-Christian Schmid zum Beispiel oder „Vier Minuten“ von Chris Kraus, vor genau zehn Jahren. Der verlorene Posten als Senkrechtstartrampe. „Vier Minuten“ gewann dann den Deutschen Filmpreis.

Kraus ist wieder da, seine Holocaustforscher-Komödie „Die Blumen von gestern“ eröffnete den Jubiläums-Jahrgang. Und auch Hannah Herzsprung steht wieder vor dem Samtvorhang im Scala. Kein Mensch kannte sie damals, 2006, nach der „Vier Minuten“-Premiere war sie berühmt. Hof als Déjà-vu: Der Dachbodengeruch im Warteraum neben der Bühne, das Ausharren im Dunkeln hinter dem Vorhang, alles ist genau wie vor zehn Jahren, verrät Herzsprung. Nur einst mit Monica Bleibtreu und heute mit Lars Eidinger. Und ohne Heinz. „Die Flasche Wein, die er mir schenkte, habe ich heute noch.“ Weil Badewitz ihr weit mehr geschenkt hat: ihren größten Karrieresprung.

Mike Leigh, Atom Egoyan und Aki Kaurismäki waren einst zu Gast

Die Verteidigung der Provinz. Herzsprung fällt dazu ein, dass ja auch Dreharbeiten meist in der Provinz stattfinden – oder im Kiez. Dominik Graf, der seinen an den Fall Gurlitt angelehnten Kunst-und- Liebe-Krimi „Am Abend aller Tage“ präsentiert, nennt Hof ohnehin einen genialen Provinzort; er kam1982 mit „Das zweite Gesicht“ erstmals hierher. „Eine Katastrophe, die meisten fanden den Film furchtbar. Aber Jim Jarmusch war auch da und plötzlich war ich Teil von etwas Größerem, gehörte zum Melting Pot Hof.“ Die beste Hof-Anekdote spielt folglich in Cannes, Werner Herzog gibt sie bei einer Podiumsrunde zum Besten. Badewitz sah Luis Buñuel auf der Croisette, klopfte ihm auf die Schulter, sagte: Hallo Luis, ich bin der Heinz, dein Film hier hat mir nicht gefallen, aber der vorletzte ist toll, kommst du nach Hof?

Wen hat man in dieser kleinen, grauen, dramatisch schrumpfenden Stadt mit den leerstehenden Läden nicht alles selber getroffen, noch jung und bang und mit Kassetten-Aufnahmegerät in der Gaststube des Strauss? Mike Leigh, Atom Egoyan und Aki Kaurismäki zum Beispiel. Oder diesen unbekannten Regisseur aus Neuseeland, Peter Jackson. Mit Christoph Schlingensief hat man sich im Hinterzimmer über katholische Kindheiten ausgetauscht, mit Hans-Christoph Blumenberg über die Deutsche Filmakademie gestritten, John Carpenter war hier, John Cassavetes, Larry Clark. So viel Augenhöhe gibt es sonst nicht im durchorganisierten Festivalbetrieb.

Hof als "Vorposten des Cineastentums im Funktionärskino“

Hat Hof eine Zukunft in Zeiten, in denen selbst Werner Herzog Filme auf Youtube und Netflix herausbringt und die Internet-Kids „nicht mit fremden Leuten in einem dunklen Raum sitzen wollen“, wie Doris Dörrie ihre Tochter zitiert? Das Geld ist da, Land und Kommune wollen weiter fördern. Aber wofür steht H.O.F. (Home of Films, Heinz organisiert Filme) ohne Badewitz? Als der mit 22 nach München ging, hatte er 100 Mark, „Die Blechtrommel“ und ein Kondom in der Tasche – noch so eine Anekdote von Herzog. Jetzt träumt Hof von einem neuen Prinz Eisenherz oder einer Prinzessin, die das Potenzial der Provinz ausschöpft.

Alles Nostalgie, sagen die einen. „Hof als Position muss gehalten werden, als Vorposten des Cineastentums im Funktionärskino“, hält Dominik Graf dagegen. Der deutsche Film braucht Dissidenz, immer wieder. Ihn vom Rand aus aufmischen, abseits der Industrie und der öffentlich-rechtlichen Selbstgewissheiten, diese Utopie ist nicht erledigt. Rote Teppiche gibt es genug.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false