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Die Zwillinge Lukas und Elias (Lukas und Elias Schwarz)

© Koch Media

Horrorthriller "Ich seh ich seh": Die Hölle, das ist daheim

Wenn das Monster zuhause lauert: Im österreichischen Horrorthriller "Ich seh ich seh" wird für zwei Brüder die Mutter zur quälenden Fremden. Nichts für zarte Gemüter.

Ein Horrorfilm aus Österreich – ohne Zombies, Fantasy und Friedhofsnebelgewaber? Klar, geht, das weiß der Kinobesucher seit „Funny Games“ von Michael Haneke. Aber was, wenn das Grauen von innen kommt, nicht von ungebetenen Besuchern, die Vatermutterkind quälen und morden, sondern aus dem Kreis der Familie selbst? Was, wenn der Horror mitten aus dem Alltag erwächst?

Ein abgelegenes Haus auf dem Land, zwei in der Hitze herumtollende Jungs, die Zwillingsbrüder Lukas und Elias (Lukas und Elias Schwarz), zehn Jahre vielleicht. Ein symbiotisches Gespann, sie spielen Verstecken im Maisfeld, tragen selbst bemalte Holzmasken, finden eine streunende Katze, rufen ins Dunkel eines verlassenen Bunkers hinein.

Ich seh, ich seh, was du nicht siehst: ein Kinderrätsel, ein Waldmärchen, ein Mysterienspiel. Als die Mutter, eine TV-Moderatorin (mit intensiver Blässe: Susanne Wuest), von einer Schönheits-OP nach Hause kommt, mit Gesichtsverband und merkwürdigem Verhalten, ist Schluss mit dem Ferienidyll. Kein Tiere dürfen ins Haus, Ruhe soll herrschen, die Jalousien bleiben unten, den ganzen Tag, haben wir uns verstanden!

Schönheit im Schrecken

Hundstage in der Provinz. Das Interieur dieser recht feinen Immobilie mit See vor der Tür und Tiefkühltruhe im Keller könnte glatt aus einem Ulrich-Seidl-Film stammen. Seidl hat „Ich seh Ich seh“ produziert, Veronika Franz, die mit Severin Fiala Regie geführt hat, ist seine Arbeits- und Lebenspartnerin. Es ist ihr Spielfilmdebüt, Fiala und Franz haben sich mit einem Film-(Selbst-)Porträt von Peter Kern einen Namen gemacht.

Alles so schrecklich normal hier, bloß dass irgendwas nicht stimmt. Die blassen Farben im Haus, die unscharfen Kunstfotos an den Wänden, der verbundene Zombie-Kopf der Mutter, die subtile Stilisierung der Bildkompositionen (Kamera: Martin Gschlacht), die Zwillingssymmetrie schon im Titel – eine seltsam entwirklichte Welt in Cinemascope. Sie erinnert an Edward Hopper, im Haus herrscht Entfremdung, draußen regiert die Natur. Ein Seelendschungel: Die Jungs springen im Hagelschauer auf dem Trampolin herum, dass es nur so spritzt, später grollen Gewitterwolkenmonster am Himmel. Es liegt viel Schönheit im Schrecken.

Diese strenge Frau, ist das wirklich unsere Mutter? Noch nie hat sie uns im Kinderzimmer eingesperrt. Dann ist die Katze weg, tot, im Keller hinter den Heizungsrohren. Unsere Mutter würde so etwas nicht tun, wo ist sie? Lukas und Elias spinnen Rachefantasien gegen die Fremde, werden zu Kriegern. Träumen vom Einsatz ihrer Kakerlakensammlung, legen die Katze in Benzin ein, mutieren zu stillen Monstern. Mit Werkzeugen, die Kindern halt so zur Verfügung stehen.

Simple Folterinstrumente

So genügt „Ich seh Ich seh“ dem Haunted-House-Genre, mit Heimsuchungen, Gruselgeräuschen und grotesken Zwischenspielen wie dem Besuch der Spendensammler vom Roten Kreuz. Andererseits kommen simpelste Mittel zur Anwendung. Mullbinden, Nagelschere, Sekundenkleber, Zahnseide, Lupe, mit etwas Fantasie werden Folterinstrumente daraus. Nichts für zarte Gemüter.

Unsere Mutter, die Feindin. Was verbirgt sich hinter den Masken und Bandagen, wer lauert hinter der Tür? Ständig kratzt der Film an Oberflächen, an Wänden, Glasfronten, verletzlicher Haut. Nicht leicht, seinen Plot zu erzählen, ohne den Verdacht zu benennen, der einen bald beschleicht, eine Wahrheit, die in die Katastrophe führen wird.

Die Regisseure sagen, sie mögen körperliches Kino. Filme, bei denen man „Menschen beim Schwitzen, Zittern, Schreien, Weinen, Bluten zuschaut“ und bei denen sich exakt dies „auch auf den Körper des Zuschauers überträgt“. Franz und Severin setzen ihr Mutter-Kind Drama als Versuchsanordnung in Szene, als Vivisektion eines aus Schuld und Einsamkeit herrührenden Traumas, mit der verzweifelt-unerbittlichen Konsequenz des Kinderblicks.

Der Liebesbeweis

Dabei sezieren sie auch, was wohl jeder von sich und seinen Liebsten kennt: die von Misstrauen und Missachtung befallenen Stellen in der Keimzelle Familie. Sind das wirklich meine Eltern? Kennst du mich überhaupt? Lässt Liebe sich beweisen? Es ist eine Frage der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit. Elias will, dass die Mutter das Lieblingslied von Lukas nennt. Die richtige Antwort wäre der ultimative Liebesbeweis. Sie gibt den Ausschlag, ob die Familie ein Hort der Geborgenheit ist oder die Hölle.

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