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Kultur: „Ich bin grundsätzlich eine Pessimistin“

Joan Baez war einst die Galionsfigur der US-Gegenkultur. Jetzt protestiert sie wieder: gegen Bush und den Irak-Krieg

Frau Baez, seit Ende der fünfziger Jahre sind Sie die prominenteste amerikanische Folksängerin. Wie würden Sie den Begriff „Folk Musik“ heute definieren?

Folk Musik ist etwas Ungeschminktes. Wenn die Musik von jemandem kommt, der mit der Welt in Verbindung steht – und der Songs schreibt über die Wahrheit.

Auf Ihrem letzten Studio-Album „Dark Chords on a Big Guitar“ singen Sie Songs von Singer/Songwritern wie Steve Earle, Josh Ritter und Ryan Adams. Was gefällt Ihnen an diesen jungen Musikern?

Manchmal ist es der politische Inhalt ihrer Songs, manchmal das Zusammentreffen einer Melodie mit einer politischen Aussage. Zum Beispiel bei „Christmas In Washington“ von Steve Earle. Das Publikum reagiert darauf jedes Mal mit ehrfürchtigem Schweigen, wenn ich den Song singe. Und das liegt einfach an der Schönheit dieser Musik. Wie war noch mal die Frage?

Was Ihnen an diesen Songs gefällt, und wie es zu der Auswahl kam?

Mein Manager hat es nicht gern, wenn ich darüber spreche, aber ich hatte ihn gebeten, nach Songs für mich zu suchen. Er fand hunderte von Songs, traf sich mit den Songwritern und schickte mir eine Best-of-Zusammenstellung. Und daraus habe ich dann ausgewählt.

Die Texte auf „Dark Chords on a Big Guitar“ wirken nicht mehr so politisch wie Ihre Klassiker aus den sechziger Jahren. Trotzdem haben Sie erklärt, diese Songs gehörten zum „Counterculture Folk“. Wie meinen Sie das?

Ich glaube, dass alle Singer/Songwriter im heutigen Amerika per definitionem, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, Teil der Gegenkultur sind. Aber eigentlich ist das ja sowieso eine falsche Bezeichnung: „Gegenkultur“. Als könnte man das als „Kultur“ bezeichnen, was sich hier momentan in den USA abspielt. Alles, was wir haben, ist Mainstream. Und von den Songs, die mich interessieren, würde ich ganz bestimmt keinen im Mainstream finden.

Es gab eine Zeit, da haben Sie gesagt, Sie fühlten sich mehr als politische Aktivistin denn als Sängerin. In den frühen neunziger Jahren, als Sie begannen, sich wieder stärker mit der Musik zu befassen, haben Sie gesagt, Sie fühlten sich mehr als Musikerin denn als Aktivistin. Wie sehen Sie sich heute?

Nach den Wirbelstürmen der Veränderungen, die über unser Land weggefegt sind, und bei all den Unannehmlichkeiten, die wir so einem großen Teil der übrigen Welt aufgezwungen haben, ist die Aktivistin in mir wieder erwacht. Und nichts wird mich davon abbringen können rauszugehen, um etwas zu tun. Ich habe lange gewartet. Und plötzlich tauchte Michael Moore auf. Und dann kam Cindy Sheehan, die die Gold Star Families for Peace gründete, nachdem ihr Sohn im Irak gefallen war. Und ich bin losgezogen, um beide zu unterstützen. Ich weiß noch nicht, wie es weitergehen wird, aber ich weiß auch, dass es mir in letzter Zeit besonders wichtig geworden ist, einen Teil meines Lebens mit meiner Familie zu verbringen, mit meinen Eltern, die beide inzwischen 93 Jahre alt sind.

Ihre Eltern leben noch?

Ja, meine Mutter lebt hier bei mir in Kalifornien. Und mein Vater lebt ganz in der Nähe. Ich denke, es ist wirklich ein Segen, mit ihnen zusammen sein zu können während sie immer älter und älter werden. Und dann hoffentlich auch da sein zu können, wenn sie sterben.

Empfinden Sie es manchmal als deprimierend, feststellen zu müssen, dass sich nach all den Jahren Ihres politischen Engagements, die Welt nicht gerade zum Besseren gewandelt hat?

Momentan sieht es eher so aus, als würde sich alles zum Schlechteren wandeln. In den sechziger Jahren hatte ich nie so große Angst wie heute. Heute kann ich Ihnen eine Antwort geben auf die Frage, die sich so viele Leute stellen: Warum hat niemand Hitler aufgehalten? Es ist dieselbe Frage heute: Warum kann niemand Bush aufhalten? Weil es einfach nicht geht!

Sie wollen ernsthaft Bush mit Hitler vergleichen?

Damit hab ich nicht das geringste Problem. Bush ist ein Demagoge. Und er ist ein Psychopath. Und irgendjemand hat mal gesagt, ich weiß nicht mehr, wer es war: „Je größer die Lüge ist, umso mehr Menschen schenken ihr Glauben.“

Sie sprachen von Angst. Was fürchten Sie am meisten?

Ich habe Angst vor dem Weg, den Bush verfolgt, vor den Stufen, auf denen er immer einen Schritt weitergeht. Wenn seine Administration mitmacht, und die Armee nicht genug Mut hat, ihn aufzuhalten, dann sehe ich schwarz. Außerhalb der USA bedienen sie sich ja schon der Folter. Und das werden wir dann auch bald hier bei uns haben. Die nächste Stufe wäre dann die Einführung des Kriegsrechtes. Und in einer weiteren Stufe würden dann die Leute ins Gefängnis geworfen. Das wäre natürlich die düsterste Vorstellung. Aber es wäre durchaus möglich, dass sie zur Realität würde.

Aber die USA sind eine starke Demokratie. Es gab enorme Demonstrationen gegen Bush und den Irak-Krieg.

Bush hat sich einen Dreck drum geschert. Seine Antwort auf die Frage, was er halten würde von 13 Millionen Menschen, die an einem einzigen Tag gegen ihn auf die Straße gegangen sind? Er sagte: Ich habe den Stecker aus dem Fernseher gezogen.

Nützt es trotzdem etwas, zu protestieren?

Doch natürlich, man kann etwas erreichen. Es gibt eine Menge hervorragender Songwriter, und es gibt eine Menge intelligenter Songwriter, die ganz genau wissen, was hier vor sich geht, und die darüber schreiben. Aber wer spielt diese Leute im Radio? Lediglich die College-Stations, und die sind sehr klein.

Immerhin, es gibt sie.

Ja, das ist eine der erfreulicheren Tatsachen. Und Rap Musik, ein interessantes Phänomen. Einiges davon ist hässlich und ekelhaft, bei manchem davon geht es nur ums Geld. Aber dann gibt es da auch Sachen, die sind genau auf den Punkt.

Unfassbar, Frau Baez: Sie lieben Hiphop!

Mein Sohn hat mir gerade erst etwas auf meinem Computer vorgespielt. Ich glaube, es war von einer Band namens Black Ulysses. In ihrem Rap spielen sie eine Gerichtsverhandlung durch. Brillant! Ich könnte mir vorstellen, dass diese Jugendlichen mehr in ihren Köpfen haben, als sie selber wissen.

Das heißt, Sie haben noch Hoffnung?

Ja, doch. Obwohl ich grundsätzlich eigentlich eine Pessimistin bin.

Tatsächlich?

Die Leute sagen immer zu mir: wo hast du bloß deinen ganzen Optimismus her? Und ich sage: optimistisch? Bin ich nie gewesen.

Das Gespräch führte H.P. Daniels.

Joan Baez , 65, ist eine der bekanntesten Aktivisten der US-Bürgerrechtsbewegung. Die Tochter eines mexikanischen Physikers und einer Schottin sang seit den späten Fünfzigern in Folkclubs, ihr Debütalbum stammt von 1960. Ihre Version von We Shall Overcome wurde zur Hymne der von Martin Luther King angeführten Proteste gegen Rassendiskriminierung.

Das Weihnachtsfest 1972 verbrachte Baez, die eine Zeit lang mit Bob Dylan liiert war, aus Protest gegen den Vietnamkrieg in den Luftschutzkellern von Hanoi. Am Samstag tritt sie im Berliner Tempodrom auf (20 Uhr).

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