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Kultur: Ich Staatsfeind wünsche Gute Macht Neue Gedichte von Volker Braun

Lern harmlos lesen“: Auf diesen Imperativ, mit dem uns Volker Braun im Eröffnungsgedicht seines neuen Buches anlockt, wird niemand hereinfallen. Der sich da als Possenreißer annonciert, ist im Grunde jener „aufrichtige marxistische Student auf Lebenszeit“ geblieben, als den ihn einst Uwe Kolbe liebevoll ironisiert hat.

Lern harmlos lesen“: Auf diesen Imperativ, mit dem uns Volker Braun im Eröffnungsgedicht seines neuen Buches anlockt, wird niemand hereinfallen. Der sich da als Possenreißer annonciert, ist im Grunde jener „aufrichtige marxistische Student auf Lebenszeit“ geblieben, als den ihn einst Uwe Kolbe liebevoll ironisiert hat. Auffällig ist jedenfalls der Beharrungstrotz, mit dem Volker Braun in seinen neuen Gedichten die alten Werkzeuge der dialektischen Weltenträtselung ausbreitet. Er jongliert nicht ohne Koketterie mit den merklich verblassten Zauberwörtern, die einst den „Lustgarten“ seiner politischen und erotischen Utopien zum Blühen gebracht hatten. So lässt er die Gespenster des ideologischen Zeitalters noch einmal am utopie-entwöhnten Leser vorbeiparadieren. In allegorischer Verkleidung versammeln sich der Kommunismus, das Volkseigentum, der Klassenkampf, die Utopie und selbst die Solidarität, die „bleiche Schöne“, zu einem finalen Auftritt. Und selbst die Mauer, das Denkmal realsozialistischer Selbstbehauptung, gelangt noch einmal zu poetischen Ehren.

Zwar hatte Volker Braun 1996, im Nachtrag zu seiner berühmten „Unvollendeten Geschichte“, von der „absurden Existenz“ seines alten Landes gesprochen. Das war in einem Moment des Schocks formuliert, als er der fast 4000 Seiten Akten ansichtig geworden war, die der Stasi-Staat über ihn angelegt hatte. Braun hat indes nie einen Zweifel daran gelassen, dass er trotzdem die Impulse des frühen Sozialismus als Herausforderung für den real existierenden Kapitalismus begreift. In seinen Texten kultiviert er seit der Wende ein Pathos der Niederlage, einen Gestus der Desillusionierung, der die alte und die neue Despotie mit grimmigem Spott bedenkt. „Man kennt die Bestialität“, hatte Braun in seiner Büchnerpreis-Rede von 2000 formuliert „aber kaum noch die Menschheit. Wenn die Ideen begraben sind, kommen die Knochen heraus.“

An diesen Knochenfunden arbeiten sich die Gedichte ab. Beim Blickwechsel von der alten auf die neue Welt kehrt eine traumatische Urszene zurück: Gleich zweimal beschwört Braun das Inferno der Zerstörung Dresdens, das er einst in einem Rochwitzer Luftschutzkeller verfolgte, als Vorschein späterer Verheerungen. Von den Schrecken der Ruinen-Welt führt der Weg zu den Selbstmordattentätern der Gegenwart, die auf ihre Weise den Eintritt ins Paradies erzwingen wollen. Für das lyrische Subjekt, das den „Wechsel der Zeiten“ ohne Hoffnung registriert, bleibt nur die Erwartung weiterer Zerstörungen: „Ich /Schmieg die Schultern in die dunkle Erde/Das holde Licht, getröstet trostlos / Und dem Tod ins Weiß des Auges –“.

Man verdankt Brauns neuen Gedichten aber nicht nur finstere Blicke auf die Gewaltförmigkeit des Geschichtsprozesses, sondern auch die ernüchternde Einsicht in die Vergänglichkeit von Stilhaltungen. Denn der Brechtsche Aufklärer-Habitus, die visionäre Geschichtsprophetie – das sind lyrische Sageweisen, die sich mitunter wie Dokumente aus einer unendlich fernen Literaturepoche ausnehmen. Volker Braun ist ein Virtuose in der Handhabung des Blankverses, der schroffen geschichtsphilosophischen Fügung. Aber manche Sottisen gegen die kapitalistische Gegenwart wirken ziemlich wohlfeil, etwa wenn der Dichter im „Shakespeare-Shuttle“ zur Entlarvung seiner Gesellschaft ansetzt: „Der Staat ist BANKRUPT und das Land geleast / Und ich Staatsfeind muss mich anfreunden/Mit dem und wünsch Gute Macht“. Das sind verstaubte agitatorische Gesten ohne jede Suggestivität. Erst wenn der Autor von seinen (n)ostalgischen Beschwörungen des geschleiften „Volkseigentums“ absieht und sich in Epigrammen den „leichtbewegten Gedanken ans Einfachste“ zuwendet, entstehen zarte Meisterstücke: „Wann verlier ich die Lust? Ich fürcht es, und es ist kein Leben/Mehr, und ihr Wiesen und Seen, ab ist gegrast die Natur./Wenn ich nicht liebe und kein Schauer hilft dem Gedächtnis / Heiß war der Sommer, das Laub rostet herab im August.“

Dieses Buch bestellen Volker Braun: Auf die schönen Possen. Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 100 Seiten, 16,90 €.

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