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Ego im Netz. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, 2008 in San Francisco.

© REUTERS

Identitäten im Netz: Wie Facebook und Google die zentrale Ich-Identität befördern

Wer bin ich und wenn ja, wie wenige? Das digitale multiple Ich ist passé. Facebook und Google zentralisieren die Ich-Identität.

Die Wege durchs Internet waren lange mit permanenten Einlogg-Auslogg-Mühen verbunden. Rein ins Youtube-Konto, rüber zum Xing-Account, bei Web.de, Amazon oder eBay einchecken, für Kommentare auf Blogs anmelden. Schleichend ändert sich das gerade. Ein separates Youtube-Konto gibt es mittlerweile nicht mehr, die Nutzer mussten es kürzlich mit ihren Google-Konten synchronisieren. Auch der Fotoalbendienst Picasa wurde mit dem Google-Profil zwangsvermählt.

Der Trend zum Universal-Account: Die Smartphones beschleunigen ihn, Facebook und Google befeuern ihn. Während Google-Nutzer alle hauseigenen Dienste von E-Mail bis Dokumentenverwaltung über einen Account managen können und sollen, will sich Facebook am liebsten gleich zur einzig offiziellen Repräsentations- und Kommunikationsplattform seiner Mitglieder aufschwingen. Deutschlandweit sind das mittlerweile rund 16 Millionen Menschen, Karteileichen und eventuelle Fake-Identitäten inklusive.

Und Facebooks Zentralisierungsmodell boomt. Eins der wichtigsten Instrumente ist das „Facebook Connect“, mit dem die eigene Facebook-Identität samt der dazugehörigen Freundschaften quasi überall im Netz präsent sind. Das Programm ist Bestandteil der Social Plug-Ins, der Funktionen, die Facebook kostenlos für externe Websites zur Verfügung stellt. Wer zum Beispiel auf seiner Website keine eigene Kommentarspalte hat, kann hierzulande seit Anfang März das Comment-Plug-In von Facebook nutzen. Stern.de, MyVideo und mtv.de tun das bereits. Kommt ein Facebook-Mitglied auf diese Seiten, muss er sich nicht anmelden, sondern wird gleich erkannt. Kommentiert er oder klickt er den „Gefällt mir“- Daumen, kann das wiederum auf sein Facebook-Profil zurückgespiegelt werden. Und die Freunde erfahren es auch. Aus Marketingsicht eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Die Vorteile dieser Angebote liegen auf der Hand: Nie wieder muss man nach Passwörtern kramen, nie wieder mühsam Doppel- und Dreifachanmeldungen ausfüllen. Stattdessen: Einmal hin, für immer drin in der zentralen Ich-Identität. Dass die Global Player ein massives Interesse an solchen Profilzentrierungen haben, ist ebenso offensichtlich: Je mehr Daten, Traffic und Kommunikation in einem Account gebündelt werden, desto wertvoller und vermarktbarer ist es.

Was dabei allerdings auf der Strecke bleiben könnte, sind nicht nur ein paar alte Nicknames. Von den Vorteilen der Dezentralisierung hatte die amerikanische Soziologin Sherry Turkle 1995 in ihrem Buch „Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet“ geschwärmt. Das Netz erschien der Wissenschaftlerin wie eine große Spielwiese der Freiheit. Und wie die logische Fortsetzung postmoderner Theorien, „die ein multiples und dezentriertes Selbst postulieren“. Der Identitätsbegriff der Spätmoderne sei geprägt gewesen von „Vielfalt, Heterogenität, Flexibilität und Fragmentisierung“; nun gebe es endlich das Medium zur Theorie.

Die Autorin verband damit große emanzipatorische Hoffnungen; womöglich würde ein „neuer, vielfältigerer Persönlichkeitsbegriff“ entstehen. Weil sich das von analogen Konventionen eingeschränkte Subjekt im Netz in mehrere „virtuelle Personae“ aufspalten könne – und auch noch haufenweise wilden Cybersex hätte. Nebenbei sollten auch die Grenzen der Geschlechter überwunden werden.

Alle schwärmen vom digitalen multiplen Ich. Das ist passé

Es ist anders gekommen. Der Drang nach Maskerade, nach Second oder Third Lifes hielt sich in Grenzen. Stattdessen scheint aus dem spätmodernen Plural wieder ein digitaler Singular zu werden. Widersprüchliche Teilidentitäten, brüchige Erwerbsbiografien, inkompatible Interessen? Bei der Google-Suche oder auf Facebook fließt alles problemlos in eins. Da geht der Dozent nahtlos in den Familienvater über und der wiederum in den Hobbysegler und Gelegenheitsgärtner.

Für Benjamin Jörissen, Medienwissenschaftler an der Uni Magdeburg, ist die Entwicklung kein Zufall. „Das Netz ist so tief in unseren Alltag eingedrungen, dass wir logischerweise das Bedürfnis haben, dort mit unserer ‚alten' Person unterwegs zu sein.“ Dass viele Nutzer nicht mit sieben unterschiedlichen Avataren jonglieren, sondern eine Identität mit Klarnamen vorziehen, hat nach seiner Ansicht trotzdem nichts mit der Sehnsucht nach Authentizität zu tun. „Eher damit, dass die Trennung von Offline und Online nicht mehr existiert.“

Natürlich kann das in Einzelfällen zu sozialen Kollateralschäden führen. Wenn durch die Identitätszentrierung Lebensbereiche zusammengeführt werden, die der Nutzer lieber getrennt verhandelt hätte. „Der Großteil der User geht mit den Risiken der ‚Super-Identität' trotzdem eher affirmativ um", meint Jörissen. An eine breite Gegenbewegung – weg von den Meganetzwerken, zurück in die anonymen Nickname-Nischen – glaubt der Wissenschaftler nicht. Zu verlockend sind die Vorteile der Klarnamen-Vernetzung – und die implizite gesellschaftliche Forderung, als Bürger oder Arbeitnehmer eine digitale Repräsentanz vorweisen zu können. „Das Spiel mitspielen“, nennt es Jörissen.

Und bevor man den Rausschmiss aus dem Spiel riskiert, arrangiert man sich notfalls sogar mit den rigiden Moralvorstellungen der amerikanischen Plattformbetreiber. So wie ein dänischer Künstler, dessen Facebook-Profil kürzlich wegen der Veröffentlichung von Gustave Courbets berühmtem Akt „Der Ursprung der Welt“ gesperrt wurde. Statt zu protestieren, entschuldigte sich der Nutzer. Und bekam prompt seinen Account zurück.

Für diese Mischung aus Selbst- und Fremddisziplinierung hat Michel Foucault vor zwanzig Jahren den Begriff der „Gouvernementalität“ geprägt, gemeint ist die Verknüpfung von Herrschaftstechniken mit „Technologien des Selbst“. Auf Facebook, meint Jörissen, passt Foucaults Modell wie die Faust aufs Auge: "Einerseits erlaubt das dortige Identitäts- und Netzwerkmanagement die Anhäufung von sozialem und symbolischem Kapital. Andererseits erfordert es eine gewisse vorauseilende Selbstregulierung." Der Nutzer muss stets abwägen, welche seiner weitverzweigten Netz-Aktivitäten sich problemlos in seine Mainstream-Identität integrieren lassen und welche Aspekte des Ichs besser abgespalten werden.

Trotzdem hält Jörissen Googles und Facebooks Zentralisierungspolitik letztlich für Epiphänomene – mit möglicherweise sogar aufklärerischem Potenzial: „Diese Dienste machen uns unfreiwillig bewusst, dass wir in einer vernetzten Öffentlichkeit stehen.“ Und dass sich Datenspuren jederzeit zu Meta-Identitäten zusammenführen lassen – auch von Behörden oder Regimen, die hinter den Kulissen weitaus geräuschloser vorgehen können.

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