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Kultur: Ihr Dichterlein kommet

Über die unerträgliche Leichtigkeit, Verse zu schmieden. Ein Selbstversuch

Lange Zeit zeichnete ich mich dadurch aus, nicht alle Unarten meiner feinnervigen Mitmenschen zu teilen. Trotz meiner Neigung, mich bisweilen publizistisch zu äußern, schreibe ich keine Sonette, meide Novellen und versage mir das Schreiben voluminöser Romane. Gewiss, ich beging Jugendsünden, als ich Anfang der achtziger Jahre versuchte, charmante Kommilitoninnen mit selbstverfassten, melancholischen Versen zu becircen. Genützt haben wir meine Verse – ein Mix aus Reiner Kunze, Sarah Kirsch und Erich Fried – trotzdem nichts, und vermutlich war es verletzter Stolz, der meine Laufbahn als Lyriker jäh beendete – oder, wie ich heute sagen darf, unterbrach. Denn seit wenigen Wochen bin ich zurück im Literatur-Business. Aber der Reihe nach.

Deutschland ist ein Land der hyperaktiven Dichter und Denker. Unser Innovationsgeist mag auf wirtschaftlichem oder technischem Gebiet erlahmt sein, aber literarisch laufen wir auf Hochtouren. Der von Gefühlen heimgesuchte deutsche Mensch schreibt in seiner Freizeit und möchte das Ergebnis seiner ästhetischen Mühen nicht für sich behalten. Wer schon einmal in einem Buchverlag die Stapel der unverlangt eingesandten Manuskripten umschichtete, weiß, was Textekel ist.

Von diesem Ausfluss profitieren Bauernfängerverlage, die ihren von Eitelkeit getriebenen Autoren das Geld aus der Tasche ziehen. Beachtung finden die Werke in der Regel nicht, der größte Teil der Druckauflage wird von den Verfassern selbst aufgekauft, die damit ihre Verwandtschaft beglücken. Bei so viel rüdem Geschäftssinn mussten sich feinere Formen der Täuschung entwickeln. So ist es der „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“ ein Anliegen, zu zeigen, „wie lebendig und vielschichtig die Lyrik unserer Zeit“ ist, und „ein möglichst breites Publikum zum poetischen Schreiben zu animieren“. Die in Gräfelfing bei München ansässigen Lyrikeinheizer fordern dazu auf, Gedichte einzusenden, die eventuell in der Jahresanthologie des Realis-Verlags (kennen Sie nicht? Ich auch nicht) abgedruckt würden. Zudem bietet man Gutachten über das Eingereichte an, das kurze für 10, das lange für 95 Euro.

Ich fackelte nicht lange, dichtete in Windeseile und sandte – unter Pseudonym – meine Verse ein. Freudig erinnerte ich mich an die auflagenstarke Kristiane Allert-Wybranietz, deren „Trotz alledem“-Sammlungen den hiesigen lyrischen Geschmack bis heute prägen. Das moderne Gedicht hat es manchmal schwer, in seiner Güte erkannt zu werden. Seitdem die Dichter meinen, sich nicht mehr wie Heine, Storm oder Rilke an Metrik, Kreuzreim und Strophenformen halten zu müssen, entstand ein rechter Wirrwarr von sprunghaften, reimlosen Kurzzeilen, der die Grenzen zwischen Scharlatanerie und Künstlertum verschwimmen lässt.

Mein schnell in den PC gehacktes Gedicht heißt „fernwärme“ (Kleinschreibung hat etwas Apartes): „immer wieder hoffte ich / und immer wieder glaubte ich/ und dennoch blieb es kühl / in meinem kleinen zimmer / nichts wärmte mich / zu weit zu fern wo / nähe herrschen sollte / der kühlschrank, bosch, er brummt / doch was mir fehlt /vermag er nicht zu geben / kalt ist mein herz / leer ist der schrank /und dennoch hoffe ich.“ Ich entschied mich für das Langgutachten.

Eine schwere Zeit des Wartens setzte ein, die ich damit verbrachte, mir die Homepage der Lyrikliebhaber (www.gedichte-bibliothek.de) anzusehen. Da gibt es einen Reim-Automaten, der mir „passende Reim-Wörter für eine von Ihnen vorgegebene WortEndung“ zu suchen versprach. Für „abseits“ bot er mir „abseits“ und „Abseits“ an – wie bildet man daraus bitte einen vernünftigen Paarreim? Auch die Eingabe „seits“ brachte mich trotz 21 Vorschlägen nicht weiter, nicht einmal die Offerte „gewerkschaftlicherseits“. Ein letzter Versuch mit „hose“ brachte Resultate, die alle auf „hose“ endeten (Skihose, Badehose, Niethose...). Sollte das Unternehmen nicht seriös sein?

Monate später war es so weit. Das „erweiterte Gutachten“ sprach mich bzw. meinen „nom de plume“ gleich als „lieber Autor“ an. Auf zweieinhalb großzügig gesetzten Seiten wurde „fernwärme“ nach den Gesichtspunkten „Originalität“, „Sprache“, „Inhalt“ und „Bildhaftigkeit“ interpretiert und bewertet: „Da es in ihren 13 freien Versen um die Befindlichkeit des lyrischen Ichs geht, ist Ihr Werk unter die Rubrik Innerlichkeit einzureihen.“ Offenkundig zähle ich zu jenen Kreativkünstlern, die in wenigen Sekunden einen echten Gedichtknüller heraushauen können: Mein Gutachter erkannte, dass die „große Stärke“ des Gedichts in der „Veräußerlichung der inneren Empfindungen“ liege, dass der Kühlschrank „keine Wärme abzugeben“ vermöge und die inhaltliche Aussage „bestechend“ sei. Im Ausblick betonte Dr. Klaus Pemsel, der übrigens über Karl Valentin promovierte und als Übersetzer von Louis de Bernières, Patricia Cornwell oder Nuruddin Farah hervortrat, dass ich das „lyrische Handwerk bereits“ verstünde und die Exzellenz meiner Gedichte durch „stärkeres Aufrauen der Grammatik“ steigern könne.

Derart gestärkt, wartete ich erneut: Ob sich der Realis-Verlag entschließt, „fernwärme“ in seine Jahressammlung aufzunehmen? Freundlicherweise war dem Gutachten ein Klappprospekt beigelegt, der mir ein zwölfmonatiges „Fernstudium für Dichter von morgen“ (Schnäppchenpreis: 1200 Euro) nahe legte. Ich übe mich lieber darin, mein Gedicht aufzurauen. Vielleicht mache ich aus „der kühlschrank, bosch, er brummt“ einfach „der kühlschrank, basch, er brummst“ oder, noch kühner: „schrankkühl, schob, sie brammst“. Ob das rau genug ist? Gleichzeitig fiel mir auf, dass etliche meiner lyrischen Mitstreiter auf ihren Websites stolz Dr. Pemsels Ausführungen zitieren. Fast alle freuen sich daran, dass er ihnen die Beherrschung des „poetischen Handwerks“ bescheinigt. Das kam mir bekannt vor. Hoffentlich führt das zu keiner Schreibblockade.

Und dann, neuerliche Monate später, ist es vollbracht! Cheflektor Roman Belzner teilt mit, dass „fernwärme“ für die Anthologie „Ausgewählte Werke VIII“ unter „Tausenden eingereichter Wettbewerbsbeiträge“ auserkoren sei. Ein Freiexemplar des rund 70 Euro teuren Werkes bekomme ich nicht. Vielleicht beschenke ich mich zu Weihnachten damit. Sollen tolle Gedichte drin sein.

Der Autor leitet das Hamburger Literaturhaus.

Rainer Moritz

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