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Autor Ilija Trojanow auf der Leipziger Buchmesse.

© dpa

Ilja Trojanow: "Macht und Widerstand": Das Ende ist noch nicht in Sicht

Buchspreis-Nominierung: Ilija Trojanow erzählt in seinem neuen Roman "Macht und Widerstand" vom bitteren Erbe des bulgarischen Sozialismus.

Eine Frau läuft durch die Straßen einer bulgarischen Stadt, einen alten Kassettenrekorder im Arm, stundenlang. Sie hat ihren Bruder verloren. Irgendwann, vor Jahrzehnten, ist er verhaftet worden, seitdem hat sie ihn nicht wiedergesehen, doch sie glaubt, dass er zu ihr spricht. Der Rekorder soll seine Stimme einfangen. Zu Hause sind die Wände zugestellt mit Kassetten, die sie sich täglich anhört. Sie beschließt zu erblinden, um sich durch den Sehsinn nicht vom Hören ablenken zu lassen.

Die trauernde Schwester ist nur eine unter den vielen Opfern des sozialistischen Regimes in Bulgarien (1944–1990), denen der 1965 in Sofia geborene Ilija Trojanow in seinem Roman „Macht und Widerstand“ eine Stimme verleiht. Im Mittelpunkt stehen Konstantin Milev Scheitanow und Metodi Popow. Schon während ihrer Schulzeit in der Kleinstadt Panagjurischte waren sie Gegenspieler, Konstantin wurde zum anarchistischen Widerstandskämpfer, Metodi brachte es zum Generaloberst und Mitglied des Hohen Rates der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP). Im Wechsel erzählen sie, von 1999 aus betrachtet, ihre Geschichten aus der Ich-Perspektive.

Die Täter von einst sind weiterhin in Amt und Würden

Der ehemalige Parteibonze lebt noch immer privilegiert, wähnt sich im Recht und in Sicherheit: „Das Ende ist noch lang nicht in Sicht. Was wird in letzter Zeit nicht so alles über das Ende geredet, das Ende von dies und dem, und ich sitz immer noch im Garten meiner Villa und genieße die Früchte meiner Arbeit und hab Zeit, mir Gedanken machen.“ Konstantin, der den größten Teil seines Lebens eingesperrt war – „Gefängnis, Lager, Gefängnis, Irrenanstalt, Gefängnis, Lager, Universität, Schwerstarbeit auf dem Bau“ –, wohnt im 14. Stock eines heruntergekommenen Hochhauses. Hier ist man froh, wenn der Aufzug funktioniert, Wasser aus der Leitung kommt und das Geld für ein Abendessen reicht.

Konstantin berichtet von Verfolgung und Folter, von Täuschung und Verrat sowie dem verzweifelten Ringen um die Bewahrung des Menschlichen. Anhand seiner Stasi-Akten will er begreifen, wer damals wie und warum gehandelt hat. Die Ergebnisse seiner Archivbesuche aber „deuten auf systematische Verschleierung hin“. Konstantins Bericht wird zur Anklageschrift gegen die Nicht-Aufarbeitung der Vergangenheit, gegen Manipulation und Willkür in der gegenwärtigen Geschichtsschreibung, gegen die Reinwaschung derjenigen, die dazu noch heute die Macht haben: „Die Täter von einst sind weiterhin in Amt und Würden oder als Biznismänner erfolgreich oder bequem pensioniert oder ehrenvoll begraben, sie haben sich keiner der schwärenden Fragen stellen müssen. Kein Einziger von ihnen wurde konfrontiert mit den Taten, die im Schatten seiner Selbstrechtfertigung verborgen liegen.“

„Macht und Widerstand“: Plädoyer für Empörung, Haltung und Protest

Bulgarien sei auch heute „eigentlich kein Rechtsstaat“, hat Trojanow einmal über sein Geburtsland gesagt, dem er zuletzt, im Jahr 2006, eine kritische Reportage widmete („Die fingierte Revolution. Bulgarien, eine exemplarische Geschichte“), eine Neufassung seines Reiseberichts „Hundezeiten“ von 1999. Überhaupt: Nicht nur in Bulgarien, sondern in allen nachsozialistischen Gesellschaften in Mittel- und Osteuropa sei es, so Trojanow, auch nach 1989 „im Großen und Ganzen die ehemalige Nomenklatura“, die an den Macht- und Schaltstellen sitze und weiterhin für die Verbrechen der Vergangenheit geschützt werde.

„Macht und Widerstand“, ein Plädoyer für Empörung, Haltung und Protest in Anbetracht offensichtlichen Unrechts, das nun auch auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis steht, will darüber aufklären. Seit den neunziger Jahren hat Trojanow daran gearbeitet, hat Gespräche mit Zeitzeugen geführt und Dokumente gesammelt. Abhörprotokolle, Spitzelberichte, Arbeitsanordnungen, interner Schriftverkehr über verdächtige Personen sind als Collage-Elemente in den fast 500 Seiten umfassenden Text eingebaut.

Ja, Trojanow ist ein durch und durch engagierter Literat. Luzide und kraftvoll lesen sich seine politischen Essays, Streitschriften und Reportagen zu den verschiedensten Themen aus den unterschiedlichsten Ländern. Und mit dem „Weltensammler“ hat er einen großartigen Roman geschrieben. Doch nun tritt er einmal mehr in die Falle von zu viel politischer Absicht und zu wenig Erzählung. Das Ergebnis ist weniger ein Roman als ein dokumentarisches Erinnerungsbuch und politisches Manifest.

Buchcover von Ilja Trojanows "Macht und Widerstand".
Buchcover von Ilja Trojanows "Macht und Widerstand".

© promo

Trojanow setzt auf Stereotypen und Klischees

Kaum mehr als eine dünne, arg konstruierte Rahmenerzählung hält das Faktische zusammen. Die Figuren bleiben blutleer und eindimensional, fungieren lediglich als Sprachrohre für das politische Anliegen des Autors. Trojanow setzt auf Stereotype und Klischees. Distanzlos erscheint er, der sich selbst als Anarchist bezeichnet, in seiner Identifikation mit Konstantin als seinem ideellen Alter Ego und zeichnet den Gegenspieler obendrein als vulgäre Person. Er legt ihm eine umgangssprachlich nachlässige Rede mit Auslassungen und Verschleifungen, ordinären Ausdrücken und primitiven Assoziationen in den Mund. Nicht nur, dass der Autor dem Leser hier offensichtlich wenig Urteilskraft zutraut, er vergibt auch die Möglichkeit, die gerade der Literatur eigen ist: nämlich anhand einer differenzierteren Figurenzeichnung die unter dem Offensichtlichen liegenden Schichten freizulegen.

Ilija Trojanow: Macht und Widerstand. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2015. 480 Seiten, 24,99 €.

Sabrina Wagner

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