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Die Protagonisten von "Auf einmal".

© Emre Erkmen / MFA+

Im Kino: Asli Özges „Auf einmal“: Die Fremde in deiner Wohnung

Der Tod einer fremden Frau sorgt für den langsamen Zerfall sozialer Beziehungen. Asli Özges kluger Film „Auf einmal“ ist ein Thriller der leisen Art.

Misstrauen ist ein Gefühl von zäher Kraft. Es kommt plötzlich auf, breitet sich rasend schnell aus, im eigenen Kopf und im sozialen Umfeld, und bleibt in Restbeständen, auch wenn sich alle Verdächtigungen längst in Luft aufgelöst haben. In einem nur kurzen Moment trifft Karsten (Sebastian Hülk) eine folgenschwere Fehlentscheidung: Statt den Notarzt zu rufen, läuft er zum nahen Krankenhaus, um Hilfe zu holen, und steht dort vor verschlossenen Türen. Als er in seine Wohnung zurückkommt, ist Anna tot. Eigentlich kannte Karsten Anna nicht. Sie tauchte auf seiner Party auf und blieb, als alle anderen nach Hause gingen.

„Sogar ein Kind würde 110 wählen“, sagt der Kriminalbeamte aus dem Off im Verhör, ohne eine direkte Anschuldigung zu formulieren. Aber ein Verdacht steht im Raum und das Misstrauen beginnt zu keimen. In der Bank klopfen ihm die Kollegen halbherzig auf die Schulter, während der Chef ihn erst einmal aus der Schusslinie nimmt und in ein Hinterhofbüro versetzt. Beim Grillen mit Freunden stellt sich heraus, dass keiner der Partygäste Anna kannte. Auch Karstens Freundin Laura (Julia Jentsch), die eine fremde Strumpfhose im Schrank findet, geht bald auf Distanz. Und der Vater (Hanns Zischler) besorgt einen Anwalt, der vor allem den Ruf der angesehenen Unternehmerfamilie retten soll.

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Mittelstand der Provinz wird umsichtig seziert

Mikroskopisch genau beobachtet die Regisseurin Asli Özge in „Auf einmal“ den Zerfall sozialer Beziehungen um einen rätselhaften Todesfall. Das Milieu erinnert dabei zunächst an deutsche Krimi-Hausmannskost. Aber der Mittelstand in der sauerländischen Provinz wird hier nicht klischeehaft vorgeführt, sondern in all seiner Selbstzufriedenheit mitsamt den Verlustängsten umsichtig seziert. Karsten und seine Freunde gehören einer Generation an, der alles in den Schoß gefallen ist. Aber der Tod der fremden Frau treibt Risse der Verunsicherung in die Festungsmauern der jungbürgerlichen Existenz. Davon erzählt Özge fernab aller Lehrstückhaftigkeit in einer klar komponierten Bildsprache und mit einem Protagonisten, der entschieden nicht zur Identifikationsfigur taugt. Nur im letzten Viertel, wenn Karsten für die erlittenen Rufschädigungen Rache nimmt, verliert der Film seine Seelentiefenschärfe; entscheidend beschädigt das die nachhaltige Wirkung dieses klugen Filmes allerdings nicht.

fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Tilsiter-Lichtspiele

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