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Dimitris (Makis Papadimitriou, M.) und Yannis (Yorgos Pirpassopoulos)

© Rapid Eyes Movies/dpa

Im Kino: "Chevalier": Ich bewerte, also bin ich

Kurios: In „Chevalier“ von Athina Rachel Tsangari finden sich sechs Männer auf einem Luxusschiff zu einem merkwürdigen Wettkampf zusammen.

Stellen Sie sich vor: Alles, was Sie tun, wird bewertet. Wie Sie diese Zeitung halten zum Beispiel oder auf welchem Gerät Sie die Homepage betrachten. Wie genau Sie diesen Text lesen, was Sie dabei zum Frühstück zu sich nehmen, in welcher Position Sie zuvor geschlafen haben. Was Sie dabei am Körper trugen. Und nicht nur Sie werden so beobachtet, auch Sie selbst haben Ihre Konkurrenz stets im Blick. Wozu das Ganze? Falsche Frage. Wenn Sie gewinnen, bekommen Sie einen Siegelring, genannt „Chevalier“.

So geht das los in „Chevalier“ – und wenn Sie das jetzt merkwürdig finden, haben Sie recht. Schließlich gehört Athina Rachel Tsangari zu jenen jungen griechischen Filmemachern, die man die „Greek Weird Wave“ nennt, „merkwürdige Welle“. Sie setzen nicht auf psychologische Plausibilität, sondern auf skurrile Versuchsanordnungen. Der Mensch darin: ein Kuriosum.

Ort dieses Versuchslabors ist hier ein luxuriöses Schiff mit geräumigen Einzelkabinen und zwei Bediensteten für die sechs Passagiere. Was Yorgos, Josef, Christos, Yannis, Dimitris und einen, den alle nur den „Arzt“ nennen, zusammenbringt, ist unklar. Zwei sind Brüder, zwei verschwägert, zwei waren mal mit derselben Frau zusammen. Konkurrenten sind sie von Anfang an, ob im Tauchen, Essen oder Aussehen. Ihre kühlen Gespräche wirken komisch überdetailliert. Wenn sie etwa, sonderbar präzis, Kochrezepte gegeneinander abwägen, dann ist das pure Pedanterie: Symptom eines Lebens, in dem Exaktheit mehr als alles andere zählt. Und dann beginnt das ständige Bewertungsspiel, aus dem Ernst wird: „Der Beste in allem“ nennen sie es. Ein Mikrokosmos, in dem immer Wettkampf und jeder Punkterichter ist.

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Ein Luxusschiff, noch dazu in der griechischen Ägäis, hat stets auch eine politische Dimension. Von Flüchtlingsnöten allerdings sind diese Passagiere, die immer wieder an leer stehenden Immobilien vorüberfahren, extrem weit entfernt. Ihr Problem ist nicht das Überleben, sondern die Perfektion des Besserlebens.

Und, wie gut ist „Chevalier“? Als Film über die vollkommene Bewertung sperrt er sich gegen die Antwort. Visuell könnte er kaum besser sein. Aber es gelingt ihm nicht, wirkliches Interesse zu mobilisieren. Im Kino zählt Empathie eben mehr als Perfektion.

b-ware!, Babylon Mitte, fsk, Lichtblick, Sputnik, Tilsiter Lichtspiele (alle OmU)

Julia Dettke

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