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Fragmente einer Ehe. Gene (Gabriel Byrne) und seine Frau, die Kriegsreporterin Isabelle Reed (Isabelle Huppert). Sie kam bei einem Autounfall ums Leben.

© dpa

Im Kino: Joachim Triers "Louder Than Bombs": Verlust und Gedächtnis

Nach dem Unfall: "Louder Than Bombs" von Joachim Trier ist ein Film über die Trauer und das Weiterleben – mit Isabelle Huppert und Gabriel Byrne.

Diese Stille um die Menschen herum. Conrad (Devin Druid) mit seinem Kopfhörer, wie er allein auf der Spielplatz-Schaukel sitzt und seinem Vater am Handy das Gegenteil sagt: dass er mit den Kumpels unterwegs ist. Oder Jonah (Jesse Eisenberg) mit seinem neugeborenen Kind auf dem Arm, fremd sieht er aus im eigenen Leben. Oder Gene, ihr Vater (Gabriel Byrne), der im Auto sitzt und Conrad beobachtet. Er will reden mit seinen Söhnen, er weiß nur nicht wie.

Trauer zersplittert die Wirklichkeit. Sie wirbelt die Chronik der Ereignisse durcheinander, betäubt die Sinne, macht sie gleichzeitig überempfindlich. „Louder Than Bombs“ ist ein Film über die Trauer. Über die Düsternis, die sie verbreitet, die Räume der Einsamkeit, die Nachtgedanken und Tagalbträume, die sie hervorbringt, über die abgekapselten Existenzen, die irgendwann hinauswollen aus ihrem Panzer, aber draußen wartet vor allem der Schmerz.

Es passt gut, dass dieser erste englischsprachige, in Amerika gedrehte Film des Norwegers Joachim Trier ausgerechnet am 7. Januar in die Kinos kommt, dem Jahrestag des Anschlags auf „Charlie Hebdo“, eines traumatischen Ereignisses. „Louder Than Bombs“ heißt er nicht nur deshalb, weil die Trauer derart dröhnend sein kann. Sondern auch, weil die Tote Kriegsreporterin gewesen ist, Isabelle Reed (Isabelle Huppert), die Mutter von Conrad und Jonah. Ein Autounfall, drei Jahre ist es her, aber bald stellt sich heraus: Es war wohl doch Selbstmord. Conrad, damals erst zwölf, kennt nur die Unfallversion. Ein Computer-Nerd, der tagelang vor seinen Games hängt und das Gespräch mit dem Vater verweigert, mit anderen Worten: Er weiß es irgendwie doch.

Es soll jetzt eine große Ausstellung mit Isabelles Bildern geben. Ihr Kollege Richard (David Strathairn) schreibt einen Artikel über sie in der „New York Times“, die Wahrheit kommt bald an die Öffentlichkeit. Schon deshalb müssen Vater und Söhne reden miteinander, endlich.

Trauer verwirbelt die Zeit, lässt immer neue Varianten der Erinnerung passieren

Trauer, das erlebt man schnell in diesem Film, animiert die Erinnerung. Sie verwirbelt die Zeit, lässt immer neue Varianten des Unfalls Revue passieren und der Jahre davor. Die Tote ist da, vom ersten Moment an kommt sie ins Bild, auf ihren Reisen in die Kriegs- und Krisenregionen der Welt, mit Richard, dem Kollegen, der wohl auch ihr Lover war, und ebenso in den Facetten einer verlorenen Ehe und eines Familienlebens, das nie so recht glücken wollte, weil die Mutter zerrissen war zwischen der Passion für ihren Beruf und für ihre Liebsten. Und weil Gene, der seinerseits der Familie wegen auf die Schauspielerei verzichtete und Lehrer wurde, alles gut und richtig machen wollte, sich selbst dabei jedoch aus den Augen verlor.

Die nüchternen, manchmal kühlen, manchmal hypnotisch schwebenden Bilder dieses Films (Kamera: Jakob Ihre) bezeugen eine existenzielle Irritation. In den brüchigen Dialogen der Hinterbliebenen, in der grausamen Schönheit eines Autounfall-Fantasmas in Zeitlupe, bei der ersten täppisch-zarten Schülerliebe mitten in der vom Trauma erschütterten Pubertät. Oder bei der Reminiszenz an einen Partybesuch mit der Mutter, wieder so ein flackerndes, flüchtiges Glück. Oft ist es Nacht, da ist die Haut dünner, liegen die Nerven bloß. Die Stunde der Melancholie.

Joachim Trier hat sich schon in seinen bisherigen Filmen als sensibler Porträtist verstörter Menschen erwiesen. In „Auf Anfang: Reprise“ sind es zwei Freunde zwischen Schriftstellertraum und Psychose; „Oslo, 31. August“ (2011) zeichnet den letzten Tag im Leben eines Drogensüchtigen auf. Krankheit und Karriere, Depression und Lebenslust, Trauer, Lüge, Wahrheitssuche: Wieder verwischt Trier die Grenzen zwischen innerer und äußerer Wirklichkeit, fragmentiert Perspektiven, verschiebt Wahrnehmungen. Das imaginierte, erinnerte, erträumte, verpasste, fingierte, sogenannte wirkliche Leben – sie sind untrennbar miteinander verwoben.

Was andere sehen und wie: Joachim Trier ist ein Meister in der Kunst, den Blickwinkel des Anderen einzunehmen und zu beobachten, wie die Blicke sich kreuzen. Und er ist ein großartiger Schauspieler-Regisseur, der seine Figuren mit Aura und Intensität ausstattet. Gabriel Byrne als überforderten, verunsicherten, einfühlsamen Vater. Jesse Eisenberg als vermeintlich stabilen Karriere-Sohn, der angesichts der eigenen Familiengründung zurückschreckt und sich zu einer Jugendflamme flüchtet. Den blassen Devin Druid (eine Entdeckung!), seine stoische Miene, die seine Verwirrung verrät wie ein offenes Buch. Und, immer wieder, das Gesicht von Isabelle Huppert, ihr trotziger, fordernder, herausfordernder Blick, der sein Geheimnis bis zuletzt nicht preisgibt.

Ab Donnerstag im Cinemaxx Potsdamer Platz, City Kino Wedding, Filmkunst 66, OmU: fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe, Kino in der Kulturbrauerei

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