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"Die Frau des Polizisten": Uwe (David Zimmerschied) und Christine (Alexandra Finder).

© 3L Filmverleih

Im Kino: "Kreuzweg" und "Die Frau des Polizisten": Gewalt und Liebe

Zwei Regisseure, die eigenwillige Wege gehen. Zwei Filme, die eindringlich neu von Gewalt in Familien erzählen. Dietrich Brüggemanns „Kreuzweg“ und Philip Grönings „Die Frau des Polizisten“ wurden auf großen Festivals preisgekrönt.

Theoretiker sind sie beide nicht, wohl aber leidenschaftliche Filmemacher, die über den Horizont ihrer eigenen Arbeiten hinausdenken und mitunter temperamentvoll am deutschen Kino leiden: der noch immer junge, enorm produktive Dietrich Brüggemann (38) und sein 16 Jahre älterer Kollege Philip Gröning, ein Bildertüftler, der schon mal acht Jahre zwischen zwei Filmen ins Land gehen lässt.

Zuletzt haben sich beide während der jüngsten Berlinale grundsätzlich zum deutschen Filmwesen eingelassen. Brüggemann, in Interviews immer wieder auf seine letztjährige Schelte der „Berliner Schule“ angesprochen, sah einmal mehr einen Graben zwischen dem „kunstbefreiten Spaßkino“, wie es die erfolgsverwöhnten Schweigers und Schweighöfers verkörpern, und dem „spaßbefreiten Kunstkino“, das man sich als stolz unterhaltungsfeindlich und bloß in die eigenen Formalismen verliebt vorstellen darf. Gröning beklagte in einer Grundsatzrede anlässlich des Ökumenischen Empfangs, viele Nachwuchsfilmer verschwänden nach tollen Debüts schnurstracks im Fernsehen und arbeiteten dort in vorauseilender Gefallsucht tatkräftig an der Unterforderung des Publikums mit. Dabei sei eigentlich das Kino der „Ort für öffentliche Träume“, wo wie nirgends sonst „das Wirkliche wahr und Wahrheit Wirklichkeit“ werden kann.

"Kreuzweg": Maria (Lea van Acken) will nicht mitturnen.
"Kreuzweg": Maria (Lea van Acken) will nicht mitturnen.

©  Camino Filmverleih

Nun will es ein zum schönen Vergleich herausfordernder, für den jeweiligen Erfolg aber wohl böser Zufall, dass die neuen Filme dieser beiden herausragenden Regisseure parallel starten; wer beim Deutschen Filmpreis Anfang Mai seine Chancen wahren will, muss sein aktuelles Werk, so lauten die Regeln, bis Ende März ins Kino bringen. Da kannibalisiert sich manches – erst recht zwei ehrgeizige, formal strenge Filme mit ähnlich anspruchsvollem und noch dazu ähnlichem Thema: In beiden geht es um körperlich wie seelisch gewalttätig enge Verhältnisse in der Kleinfamilie. Und da hilft es wenig, dass Gröning, der mit „Die Frau des Polizisten“ in Venedig 2013 den Spezialpreis der Jury gewann, und Brüggemann, der (zusammen mit seiner Schwester Anna) für „Kreuzweg“ den Berlinale-Drehbuchpreis holte, im Kern aufregend grundverschieden erzählen.

Was sie zunächst verblüffend zu einen scheint: das gewissermaßen Literarische durch die Komposition in Kapiteln, ja, sogar etwas fühlbar Exerzitienhaftes, das durch die Abtrennung der Szenen per Schwarzblende entsteht. Brüggemann gliedert die Passionsgeschichte der 14-jährigen Maria (Lea van Acken), die sich innerhalb ihrer katholisch fundamentalistischen Familie für ihren das Sprechen verweigernden kleinen Bruder opfert, in die 14 Stationen von Jesu’ Weg nach Golgatha – und betitelt sie wie Votivtafeln, die Maria mit dem übergroßen Opfermann zumindest sprachlich gleichsetzen. Gröning schildert die Zerstörung einer Ehe und Familie durch die rohe körperliche Gewalt, die der junge Polizist Uwe (David Zimmerschied) seiner Frau Christine (Alexandra Finder) antut, sogar in 59 Kapiteln, getrennt ebenfalls durch Zwischentitel, die – fast schon manieristisch übergenau retardierend – das Ende des jeweils nummerierten Kapitels und, noch im Schwarzfilm, den Anfang des nächsten benennen.

Beide Filme sind Kino, das zum Anderssehen und Andersverstehen auffordert

"Die Frau des Polizisten": Uwe (David Zimmerschied) und Christine (Alexandra Finder).
"Die Frau des Polizisten": Uwe (David Zimmerschied) und Christine (Alexandra Finder).

© 3L Filmverleih

Beide Regisseure setzen sich damit demonstrativ von üblichen Plotentwicklungen und Themenabwicklungen ab und zwingen ihr Publikum zu aufmerksamer Lektüre. Fast als wolle er den „Berliner Schule“-Kollegen provokant vormachen, wie man trotz extremen Formbewusstseins eine extrem spannende Geschichte entwirft, geht Brüggemann noch weiter: Fast alle Einstellungen sind von fest fixierter Kamera gefilmt, die Figuren bewegen sich wie auf einer Bühne. Oder erstarren nachgerade zum Gemälde: die brillante Eingangsszene, in der ein junger Priester (Florian Stetter) die halbwüchsigen Firmlinge auf ihre künftige Rolle als „Soldaten Gottes“ einschwört, hat etwas von der zentralperspektivischen malerischen Standardkomposition des Abendmahls. Nur dass hier nicht Jesus, sondern ein Teufelchen am Werk ist – und mit der gefügigen Maria jemand die Aufforderung zum Opfer bald wörtlich nimmt.

„Kreuzweg“ etabliert sein gewalttätiges Setting von Anfang an auch visuell – und lässt so den Druck im familiären Kessel schnell ins Unerträgliche steigen. Der Familie, die nach den Regeln einer an die Pius-Brüder angelehnten „Paulusbruderschaft“ lebt, bleibt nur die Implosion. Selbst die fanatische Mutter (mit wenig Spielraum: Franziska Weisz) erfüllt nur ihre gelenkte Rolle, bis sie dann doch mit einem unprogrammgemäßen Schmerz kämpfen muss. Alle Personen aus der Normalo-Welt bleiben Schemen: der Junge aus der Nebenklasse, der Maria zum Mitsingen in seinen Chor einlädt; die Mitschüler, die nichts dabei finden, zu „satanischem Gospel und Soul“ zu turnen; der Arzt, der Marias Einweisung ins Krankenhaus aufregend behutsam vorantreibt, gegen den hartnäckigen Widerstand der Mutter.

Geradezu komplementär inszeniert Philip Gröning sein klaustrophobes Kleinfamilientableau, für das er sich drei Kinostunden Zeit nimmt. Aus dem traurigen Trio mit fünfjähriger Tochter Clara ist die Restgesellschaft – typisch für das Binnenszenario von Misshandlungs- und Missbrauchsfamilien – weitgehend getilgt: keine Nachbargesichter in der Backsteinstraßenwelt, ein paar Polizistenkollegen, mit denen Uwe keinerlei privaten Umgang pflegt, Frau und Kind im Häuschen eingepfercht zwischen Stiege und Mansardenbad, Durchreiche und Dachluke. Am Anfang aber scheint Idylle, Atem, Frieden, sogar Heiterkeit. Die Kamera folgt den dreien zum Osterspaziergang in den Wald, spielt mal Gottes Auge, sucht erst zärtlich den Close Up, ist ganz Bewegung. Und dann zeigt sich doch: Alles bloß Auftakt zur Höllenfahrt.

Anders als bei Brüggemann aber wird der Schrecken hier immer wieder unterbrochen: Weil doch Liebe war, Liebe irgendwie immer noch ist zwischen Gewaltausbruch und Gewaltausbruch, Liebe unbedingt bleiben soll, und sei es für das Kind, das beide Eltern lieben. Immer wieder zwischen den Bildern einer Abrichtung singen die immer zerstörter aussehenden Eltern mit der Tochter, spielen heile heile Segen, der doch auch dem Kind längst abhanden gekommen ist. Die Auflösung der Familie geschieht in Explosionen, die nebenan niemand hören darf. Auch in „Die Frau des Polizisten“ kommt es zum Opfer; nur dass hier keiner einen Kreuzweg beschreitet, sondern die Verhältnisse ins Bodenlose stürzen.

Themenfilme, könnte man sagen. Häusliche Gewalt, religiöser Fundamentalismus; alles bekannt. „Kreuzweg“ und „Die Frau des Polizisten“ aber zeigen ihre Schreckenswelt wie neu. Was bei Brüggemann die vierte Wand sein mag, die sich hinter dem Zuschauer schließt, führt bei Gröning unmittelbar in den Strudel. Zum Anderssehen fordert dieses Kino auf, zum Andersverstehen. Von innen.

„Kreuzweg“läuft im Babylon Mitte, Bundesplatz, Cinemaxx, Eiszeit, Filmkunst 66, Kulturbrauerei und Moviemento; „Die Frau des Polizisten“ im Babylon Mitte, fsk und Kulturbrauerei

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