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Mehdi Djaadi (Hakim, l.) und Vimala Pons (Hanna).

© x-Verleih

Im Kino: "Mademoiselle Hanna": Stets zu Diensten

Ein Culture-Clash in Paris, so klug wie amüsant inszeniert: „Mademoiselle Hanna“ von Baya Kasmi ist die Komödie der Stunde.

Hanna (Vimala Pons) trägt die Röcke kürzer als kurz und stöckelt auf Plateausohlen durch Paris. Die Wohnung der jungen Frau in der Rue St. Denis bringt sie vor ihrer Haustür in Kontakt mit Prostituierten, den zivilisiertesten bunten Vögeln, die man sich wünschen kann.

Hannas Bruder Hakim (Mehdi Djaadi) ist anders. Er hat das Outfit junger Kerle aus den Banlieues gegen die traditionelle Kleidung eines strenggläubigen Muslims eingetauscht, sucht seine Wurzeln in der ihm fremden algerischen Heimat des Vaters und rebelliert gegen alles, was seiner Meinung nach gegen den Koran verstößt. Wann immer die beiden in Baya Kasmis Komödie „Mademoiselle Hanna und die Kunst, Nein zu sagen“ aufeinandertreffen, bricht Krieg aus – und das, obwohl reichlich Bedarf an Gesprächen besteht: Der Bruder braucht eine Niere seiner Schwester zum Überleben.

Baya Kasmi hat ein Händchen für das souveräne Jonglieren mit grellen Kontrasten: Die strapazierten Klischees über Pariser Sexyness und „Oh, là, là“-Käuflichkeit reizen die 1978 in Toulouse geborene Tochter algerischer Eltern mindestens ebenso wie die demonstrative Verhüllung und moralisierende Patronage unter jungen Muslimen, die als neue Klischees die Hilflosigkeit angesichts der gesellschaftlichen Kluft anzeigen. Baya Kasmis mehrfach ausgezeichneter Debütfilm „Der Name der Leute“ probierte bereits den Clash der Kulturen aus, doch nun gelingt ihr ein besonderes Kunststück. Aberwitziger noch als im ersten Film wirbelt sie die Bälle durcheinander, spottet über die selbstgemachten Spielregeln ihres Komödienpersonals und hält Kurs in dem Chaos, das auf allen Seiten entsteht. Wieder führt sie groteske Unverträglichkeiten am Tisch einer gutwilligen Familie zusammen. Wieder lenkt sie sprühende Dialogpassagen in ruhigeres Fahrwasser und montiert Szenen aus der Kindheit, vergessene Schmerzerfahrungen, wie eine drängende Parallelwelt in die Streitgespräche.

Der neue Laden verkauft sogar Burkas mit integrierter Handytasche

Im Räsonnement, in dem der Austausch der Gefühle gelingt, sieht Kasmi den möglichen glücklichen Ausgang aus dem Desaster. Kein Zweifel, sie bringt die Komödie der Stunde ins Kino.

Hanna ist die Tochter eines in Paris verwurzelten Algeriers (Ramzi Bedia) und seiner französischen Frau (Agnès Jaoui). Die freundliche Servilität des Vaters, der einen kleinen Lebensmittelladen besitzt, ist Hannas Vorbild und Hakims Anfechtung. Der neue, muslimisch geführte Supermarkt mit dem bezeichnenden Namen Cash Halal wird das Traditionsgeschäft ruinieren, dennoch muss Hakim bei dem windigen Supermarktchef arbeiten, weil der Vater ihn nicht mehr bezahlen kann. Schließlich läuft Hakim Sturm gegen die Profitmacherei, die merkwürdige Blüten treibt: Der Laden verkauft sogar Burkas mit integrierter Handytasche direkt am Ohr der Kundin.

Hanna ihrerseits übertreibt die erlernte Herzenswärme auf ihre Weise: Als Personalleiterin einer Pariser Firma rühren sie die Angestellten, denen sie im Kündigungsgespräch gegenübersitzt, zu Tränen. Zum Trost gibt sie sich selbst als Abschiedsgeschenk her, nimmt immer mal wieder einen abgehalfterten Kollegen zum Sex in ihre Wohnung mit – ein Anlass für wunderbare genretypische Peinlichkeiten, wenn beispielsweise die Eltern zu Besuch kommen. Oder gar Doktor Paul Martins (Laurent Capelluto), der Mann, der Hanna liebt, obwohl sie nicht glaubt, liebenswert zu sein.

Einmal als Paul überraschend vorbeischaut, kommt ein Ex-Kollege Hannas getröstet aus ihrem Schlafzimmer, setzt sich nackt zwischen Hanna und den um Fassung ringenden Mann ihres Lebens und diskutiert teilnahmsvoll mit über die Frage, ob Hannas sexuelle Service-Bereitschaft wirklich in ihrem Sinne ist.

Baya Kasmi nimmt ihre Figuren in all ihrer Verdrehtheit ernst. Komödie, scheint sie zu denken, ist besser als therapeutische Konfliktbewältigung, sie ist eine Seelenkur, die man mit vielen teilen kann.

Blauer Stern Pankow, Cinema Paris, Cinemaxx, FaF, Kulturbrauerei und Hackesche Höfe (OmU)

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