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Autorin Nora Gomringer machte aus ihrer Lesung eine Performance.

© ORF/Puch Johannes

Ingeborg-Bachmann-Preis 2015: Hallo, hallo, erster Tag!

Zum Start des Bachmann-Wettbewerbs lasen in Klagenfurt Nora Gomringer, Katharina Poladjan, Sven Recker, Saskia Henning von Lange und Valerie Fritsch.

So muss man vielleicht gerade hier beim Bachmann-Preis einen Text beginnen: „Ist das Mikro an? Test, Test. Ok, also ich hoffe, so geht’s“, hob Nora Gomringer an und sorgte für Irritation: War es wirklich an, das Mikro im ORF-Studio, hört das Publikum sie? Ja, tat es, also weiter: „Hallo, hallo. Erster Tag. Mein Name ist Nora Bossong, ich schreibe einen Text beziehungsweise Shit.“ Und nein, Gomringer las keinen Text, sie performte ihn in vielen Tonlagen. Sie präsentierte eine Art Hörspiel über eine Autorin, die es wirklich gibt, Nora Bossong, und die hier als literarische Figur in einem Hochhaus recherchiert, in dem sich ein 13-jähriger Junge nach der Entdeckung seiner Homosexualität aus dem Fenster gestürzt hat.

Die Jury zeigte sich erst begeistert, doch bald fühlte sie sich auch ertappt. Sie erkannte, dass diese Autorin den Wettbewerb und seine Umstände perfekt in ihren Text integriert hat, das Publikum im Saal, die Jury, das live übertragende Fernsehen. Klagenfurt, ein interdisziplinäres Medienspiel. Und so tauchte die Frage auf: Funktioniert der Text beim stillen Lesen? Haben wir eigentlich Literatur gehört? Und der Verdacht kam auf: Weil Bachmann-Preis-Tage sind, muss Tragik (toter Junge, böse Nachbarn) rein. Führt sie uns gar vor?

Valerie Fritsch überzeugte mit einer Erzählung über einen beinamputierten Mann

Es fiel an diesem ersten Tag überhaupt auf, dass sich alle Teilnehmer sehr genau überlegt hatten, wie sie Stoff und Performance synchronisieren. Katharina Poladjan las elegisch, was zur Atmosphäre ihrer solide gearbeiteten, aber unaufregenden Erzählung über einen One-Night-Stand passte; Saskia Henning von Lange arbeitete unentwegt mit der rechten Hand, um zu dokumentieren, wie in ihrem hermetischen, blutarm-inhaltlosen Text ein Mann (oder eine Frau?) im Führerhaus eines Lastwagens seinen Gedanken nachhängt. Und Sven Recker versuchte, die Empfindungen und Therapiestanzen von zwei Psychiatriepatienten und einer Ärztin auf Station lautmalerisch nachzuahmen, was leider nur in Teilen glückte. Leider auch deshalb, weil Reckers Text der gegenwärtigste an diesem Donnerstag war, mit viel Gesellschaftstamtam, Welt, Kaputtness.

Ironischerweise überzeugte am Ende Valerie Fritsch mit einer morbiden Erzählung über einen beinamputierten Mann am meisten. Sie las fast ausdruckslos. Dafür hatte sie den literarischsten Text bislang vorgelegt: perfekt in der Wahl der Bilder und Motivik, die Zeit ästhetisch dehnend, den Tod dramaturgisch integrierend, von der Jury fast durchweg gelobt. Ein guter Text, aber auch ein überschaubarer, enger Text, wie der Juryvorsitzende Winkels zurecht monierte. Literatur, die sich selbst in ihr Recht setzt, aber nicht gerade rockt. Klagenfurt-Literatur, als willkommenes Gegenstück zu Gomringers gekonnter „Hallo, hallo, ist das Mikro an“- Performance.

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