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Die Muse und der Musiker. Helen Schneider spielt Großmutter, Mutter und Geliebte, Konstantin Moreth verkörpert Coco Schumann.

© Tino Crisó

Jazz-Musical "Der Ghetto Swinger": Der Überlebenskünstler

„Der Ghetto Swinger“: Das Theater am Ku’damm huldigt dem Gitarristen Coco Schumann mit einem Jazz-Musical.

Die Parole lautet: „Allet wird jut – so lange die Musik spielt.“ Als der junge Jazz-Enthusiast Coco Schumann sich 1936 in den Delphi-Palast schleicht, um Teddy Stauffer und seine Original Teddies zu hören: Allet wird jut. Als er zwei, drei Jahre später in der Hasenheide als Gitarrist bei Bully Buhlan einspringt, von einem Trommelwirbel angekündigt wie der Löwe vor dem großen Sprung im Zirkus: Allet wird jut. Selbst als er dann ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wird und in seiner Baracke alte Musikkollegen trifft, mit denen er wieder Jazz spielen kann: Allet wird jut. Sie nennen sich „Ghetto Swingers“ und brauchen noch einen Schlagzeuger. Aber ein Mitmusiker warnt den Neuankömmling: „Ab und zu fahren Züge nach Osten. Die muss man meiden.“

Eine Zeit ohne Trost

„Der Ghetto Swinger“ heißt das Jazz-Musical von Kai Ivo Baulitz im Theater am Kurfürstendamm über Coco Schumann. Es ist ein Stück über das Überleben und über die Musik, die dabei geholfen hat. „Allet wird jut“, die Losung, mit der die Berliner Swing-Kids einander begrüßten, klingt nach purer Ironie. Denn natürlich war nichts gut in einer Zeit, in der die Nationalsozialisten den Jazz als „Negermusik“ diffamierten und Coco Schumann zum „Halbjuden“ erklärten, weil er der Sohn einer jüdischen Mutter und eines christlichen Vaters war.

Er habe „den Judenstern nicht getragen, eine arische Frau verführt und verbotene Musik gemacht“, heißt es in der Revue, als der von Konstantin Moreth gespielte Held 1943 verhaftet und in die Sammelstelle in der Großen Hamburger Straße gebracht wird, zum Abtransport „nach Osten“. Das ist ein Todesurteil. Aber Schumann, der Überlebenskünstler, stirbt nicht in Theresienstadt, nicht in Auschwitz und nicht auf den Todesmärschen danach. Er kehrt nach Berlin zurück, begleitet Marlene Dietrich, nimmt unzählige Platten auf und tritt bis ins hohe Alter mit seiner Gitarre auf. Im Mai feiert er seinen 92. Geburtstag.

Für immer Jazz

„Der Ghetto Swinger“, eine Übernahme von den Hamburger Kammerspielen, beginnt mit einer Augustnacht irgendwann am Ende des letzten Jahrhunderts, in der Schumann durch die Berliner Straßen läuft und sich an die Stationen seines Lebens erinnert, an die Zeit, als er den Mördern entkam. Vierzig Jahre lang hat er nicht darüber sprechen können. Jetzt will er. Also öffnet sich der Vorhang, wir schreiben das Jahr 1932, auf der Bühne zeigt sich eine zweite, kleinere Bühne, auf der fünf Musiker in Hemdsärmeln Ragtime-Jazz mit Durchhaltezeilen spielen: „Wir werden das Kind schon schaukeln / Denn uns nimmt keiner auf den Arm.“

Helen Schneider ist der Star des Abends, sie fungiert als Mutter, Großmutter, Geliebte, Prostituierte, Erzählerin. Es sind große Momente, wenn sie – gute alte Torch-Song-Tradition – den Cole-Porter- Klassiker „Night And Day“ hauchend und flüsternd zur Trost-Ballade macht oder mit amerikanischem Akzent Duke Ellingtons Wüstenexpedition „Caravan“ eindeutscht: „Weit ist der Weg und schwer ist die Last.“ Die Szene spielt in Theresienstadt, wo Schumann gerade erfahren hat, dass seine Großeltern nach Auschwitz deportiert wurden. Trauermusik.

Jazz war im nationalsozialistischen Deutschland eine Schmuggelware, „Der Ghetto Swinger“ führt in eine illegale, stets bedrohte Jugendkultur und zeigt, wie anarchisch diese Musik einmal war. Wenn Schumann sich durch Tingeltangelläden und Tanzschuppen treiben lässt, vom „Groschenkeller“ über die „Rosita-Bar“ bis ins „Dorett“, dann ist der Geist des alten, von Christopher Isherwood beschriebenen Sünden-Berlins zu spüren. Die Reichshauptstadt als „Cabaret“. Aber nun herrschen tumbe Teutonen in schwarzen Uniformen, die sich von heimlichen Jazzern „Minnie The Moocher“ als „Rosamunde“ unterjubeln lassen und ihnen anschließend auf die Schulter schlagen: „Jeht doch auch ohne Judenjazz“.

Lasst Diskokugeln rollen

Die Inszenierung von Gil Mehmert setzt auf Minimalismus. Wenn Coco eine Lehre als Installateur beginnt, dann trägt er ächzend eine Heizung über die Bühne. Um den Saal in ein Ballhaus zu verwandeln, reicht es, eine Diskokugel ins Bild rollen zu lassen. Den Rest erledigt die Musik: „I got rhythm, I got music, / I got my man, who could ask for anything more?“ Spiel im Spiel: Die Einzelelemente der Bühne auf der Bühne lassen sich mit wenigen Handgriffen in Zugwaggons, Baracken oder Ghettobauten verwandeln. Doch so großartig die Musikeinlagen auch sind, so hölzern bleiben die Spielszenen. Zu viel Information muss in Zwischentexten und Dialogen untergebracht werden, zu bemüht wirkt manche Performance. Helen Schneider ist eine tolle Sängerin und eine nicht ganz so tolle Schauspielerin, manches Solo versackt im Deklamatorischen. Noch ein großer Moment von ihr: Sie singt zum Finale „Wir machen Musik“, sehr übermütig.

Theater am Kurfürstendamm, bis 29. Mai, Mi–Sa 20, So 18 Uhr

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