zum Hauptinhalt
Mädchenfreundschaft trumpft kulturelle Konflikte in Eva Lezzis Jugendbuch.

© picture alliance / dpa

Jugendroman: Freundschaft schlägt Vorurteil

Eva Lezzi erzählt einen spannenden Krimi um zwei Mädchen aus unterschiedlichen Kulturen.

Das letzte Wochenende vor den Sommerferien – Rebekka kann sie kaum erwarten und ist in bester Stimmung. Ganz im Gegensatz zu ihrem Vater, der in die Glasvitrine starrt und entgeistert sagt: „Der Kidduschbecher. Er ist weg.“ Die 13-Jährige versteht die ganze Aufregung nicht; schließlich benutzt man zum Segnen des Weines am Sabbat ein ganz normales Weinglas, aber nicht den „ollen Silberbecher“. Doch der Vater lässt nicht locker. Es sei das einzige Erbstück, das ihm von seinen Großeltern geblieben ist.

Er ruft den kleinen Moritz und die Mutter herbei, doch der Becher taucht nicht auf. Am Vorabend sei er noch in der Vitrine gewesen, beharrt der Vater. Nur Rebekka und ihre Freundin Samira waren an diesem Abend alleine im Zimmer und haben „Twilight“ auf DVD geschaut. Rebekka fragt bei Samira per SMS nach – doch die beste Freundin reagiert nicht.

Das ist die Ausgangslage für Eva Lezzis schmalen Roman „Die Jagd nach dem Kidduschbecher“, der sich zunächst in scheinbar vorhersehbaren Bahnen bewegt. Denn kommt nicht der Vater Samiras aus Palästina, aus Gaza-Stadt? Und beschießt nicht gerade die Hamas mit Raketen die israelische Stadt Cholon? Rebekka weiß, was das heißt, sie kennt jemanden aus Cholon – die Folgen des Terrors reichen bis nach Deutschland. „Samira ist meine beste Freundin! Dass ihr Vater zufällig in Gaza geboren ist, hat noch nie eine Rolle gespielt. Warum auch? Hier ist Berlin, und Israel ist weit weg“, denkt Rebekka und verteidigt ihre Freundin. Doch der Vater hat die Saat des Zweifels gesät, noch verstärkt durch Samiras Schweigen auf Rebekkas SMS.

Wenn der Nahe Osten nach Berlin ausstrahlt

Eindringlich erzählt Lezzi, wie sich aus einem scheinbar harmlosen Anlass Vorurteile bilden, wie Zweifel und Misstrauen aufkommen. Dabei haben die Mädels nichts mit Politik am Hut. Lezzi schildert die Geschichte der Freundinnen abwechselnd aus deren Perspektiven. Samira ist ein selbstbewusstes Mädchen, dem viel erlaubt wird, dessen Mutter aber dennoch nicht aus ihrer Haut kann; sie überwacht und kontrolliert die Tochter. Das Leben mit zwei Kulturen ist nicht immer einfach – für beide Seiten. Samira ist Muslima, zwar nicht besonders gläubig, doch die gefragte Basketballerin will trotzdem im Ramadan fasten und fragt sich, wie sie das Training überstehen soll.

Eva Lezzi erzählt kompetent aus dem Alltagsleben eines jüdischen und eines muslimischen Mädchens in Berlin. Die Autorin arbeitet am Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk für jüdische Begabtenförderung und leitet das Kunstlabor DAGESH. Lezzi kennt sich aus mit dem interkulturellen Leben in der Stadt; davon erzählt ihr Roman. Es gelingt ihr wunderbar, eine spannende Kriminalgeschichte mit den Milieus jüdischer und muslimischer Familien zu verknüpfen, den Kampf gegen Vorurteile und Klischees darzustellen. „Die Jagd nach dem Kidduschbecher“ ist auch wegen seiner überraschenden Wendung – die hier nicht verraten werden soll – ein anrührendes Buch, das die Augen öffnet für wahre Freundschaft und Solidarität. Samira und Rebekka springen am Ende über ihren Schatten. Mehr Menschen dürften es ihnen ruhig gleichtun.

Eva Lezzi: Die Jagd nach dem Kidduschbecher. Roman. Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2016. 124 Seiten. 11,90 €. Ab 12 Jahren.

Weitere Rezensionen finden Sie auf unserer Themenseite.

Zur Startseite