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Geschunden. Ashanth K Sha als Waisenjunge Kuttappayi in „Ottaal – Die Falle“.

© Berlinale

Kinderfilme bei der Berlinale: Wer fängt sie auf, wenn ein Film sie verstört?

Die Reihe Generation KPlus sucht Titel und Themen über Kinder. Aber für Kinder? Unsere Autorin findet die meisten Filme ungeeignet. Ein Kommentar.

Von Susanna Nieder

Jeden Herbst bewerben sich neun- bis zwölfjährige Kinder als Berlinale-Reporter beim Tagesspiegel, die supergerne ins Kino gehen. Im Januar suche ich bei den Pressevorführungen der Berlinale nach Beiträgen, in die ich sie schicken kann, Filme, in denen sie Spaß haben und etwas über die Welt erfahren.

In „Rauf“ erlebt ein Elfjähriger, wie seine erste Liebe zu den Guerillakämpfern geht. Sie überlebt das nicht, ihr Leichnam wird zurückgebracht. Als ihr Vater von ihrem Tod erfährt, geht er in die Knie. Mir kommen immer die Tränen, wenn ich über diesen Film rede.

"Mein Neunjähriger vertraut mir nie wieder"

Der Waisenjunge Kuttappayi lebt in „Ottaal – Die Falle“ bei seinem Großvater, doch der wird krank und weiß sich keinen anderen Rat, als seinen geliebten Enkel in die Kinderarbeit zu schicken, wo er geprügelt und verhungert zugrunde geht. Nach der Vorführung sagt ein Mann von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen zu mir: „Mein Neunjähriger vertraut mir nie wieder, wenn ich mit ihm da reingehe.“

Ich trage den jungen Reportern und ihren Eltern gegenüber die Verantwortung dafür, in welche Filme ich sie schicke. „In unserer Welt“ ist eine akribische Beobachtung von Mobbing, ein großartig gemachter Film. Aber was, wenn die zehnjährige Reporterin selber Mobbing überstanden hat und daran nicht erinnert werden will?

Die Berlinale will Kindern auf Augenhöhe begegnen

Seit zehn Jahren heißt das ehemalige Kinderfilmfest der Berlinale Generation Kplus und zeigt auch Filme, die aus dem Blickwinkel von Kindern erzählen, aber nicht für Kinder gemacht sind. Offenbar sind die Reaktionen auf das Programm gut, 60 000 Besucher pro Jahr und positives Feedback meldet Sektionsleiterin Maryanne Redpath, das bestätigt auch Festivalchef Kosslick. Die Berlinale betont immer wieder, dass sie Kindern auf Augenhöhe begegnen will.

Ich will das auch. Auf der Tagesspiegel-Kinderseite, für die ich zuständig bin, berichten wir über Flüchtlinge, Pegida, die Terroranschläge in Paris, wir machen Zeitung. Die Kinder können wählen, ob sie das lesen oder lieber kicken gehen wollen. Im Kino sitzen sie fest, womöglich mit der Schulklasse. Wer fängt sie auf, wenn ein Film sie verstört? Die Lehrer? Bei schwierigen Filmen weist die Sektionsleitung auf die Publikumsgespräche hin, wo man Fragen stellen kann. Aber Kuttappayi entkommt seinen Peinigern nun einmal nicht, niemand wird wieder lebendig. Hier werden ja keine Märchen gezeigt, sondern die bittere Realität.

2016 laufen bei Generation Kplus nur vier Filme, die für Kinder gemacht sind, vier sind erst ab zwölf empfohlen. „Life on the Border“ besteht aus acht Kurzbeiträgen, die junge Flüchtlinge in den syrischen Lagern Kobane und Shingal gedreht haben. Vor Verzweiflung über ihre vom IS verschleppten Verwandten schreiende jesidische Frauen, ein 13-Jähriger, dem die Ärztin nicht sagen mag, welche Operation seine jüngere Schwester braucht. Er weiß nur, dass sie ins Leere starrt, seit der IS sie eine Woche in seiner Gewalt hatte. Die Eltern sind tot.

Dieses Jahr gehen unsere Kinderreporter in den Eröffnungsfilm „Mia schläft woanders“, in „Ente gut!“, und die Zwölfjährige schaut sich „Jamais contente“ an. Mehr ist nicht drin. Susanna Nieder

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