Kino aus Norwegen: „1001 Gramm“ von Bent Hamer: Masse, Mensch und Material
Zart und skurril: In seinem Film „1001 Gramm“ blickt der norwegische Regisseur Bent Hamer mit sanfter Ironie in die Welt der Eichamtler.
Langsam öffnet sich die Sicherheitsschleuse und schließt sich gleich wieder hinter den Hereintretenden. Der Vorgesetzte schreitet vor den Tresor, öffnet ihn vorsichtig, zieht weiße Handschuhe über und holt behutsam ein rundes Tablett mit einer doppelten Glasglocke heraus. Darunter erstrahlt ein kleiner Metallzylinder aus 90 Prozent Platin und 10 Prozent Iridium. Aber das Wertvolle an ihm ist nicht das Material, aus dem er geschaffen wurde, sondern seine Masse. Exakt ein Kilo wiegt das Stück – der Prototyp, an dem die Waagen in ganz Norwegen ausgerichtet sind.
Nun soll das Kilo, zwecks Kontrollkalibrierung beim Internationalen Büro für Maß und Gewicht in Paris, auf Reisen gehen. Und die gewissenhafte Eichamtsangestellte Marie Ernst (Ane Dahl Torp) soll das kostbare physikalische Referenzobjekt zum Kiloseminar begleiten. Allerdings hat Maries Leben gerade seine wichtigsten Referenzpunkte verloren. Die Ehe ist in die Brüche gegangen, und der Ex schafft täglich Stück für Stück seinen Anteil am Mobiliar aus dem gemeinsamen Haus. Zudem ist Maries Vater gestorben – ein angesehener Mess-Wissenschaftler beim Eichamt, in dessen Fußstapfen Marie einmal treten soll.
Bent Hamer blickt mit sanfter Ironie in die Welt der Eichamtler
Nicht ganz überraschend, dass Marie nun ausgerechnet im romantischen Paris ihr eigenes Leben neu kalibriert. Mit sanfter Ironie blickt der norwegische Regisseur Bent Hamer („Kitchen Stories“, „O’Horten“) in "1001 Gramm" in die Welt der Eichamtler, die die Normen für Maße und Gewicht gewissenhaft überwachen. In Seitenblicken zeigt er die Arbeitsfelder dieses Berufsstandes, der von Zapfsäulen über Lottokugeln bis zu Sprungschanzen alles vermisst und mit amtlichem Siegel versieht. Anhand der skurrilen Welt um das letzte verbliebene physikalische Referenzmaß (Meter und Sekunde werden mittlerweile im Labor bestimmt) philosophiert der Film frei fließend über das Verhältnis von Mensch und Maß – bis hin zu der Frage, wie viel ein menschliches Leben am Ende genau wiegt.
Mit Ane Dahl Torp hat Hamer eine Hauptdarstellerin gefunden, die seinem minimalistischen und lakonischen Erzählstil entgegenkommt und die feinen Abweichungen von der Selbstkontrolle ihrer Figur fühlbar macht. Optisch ist auch dieser Hamer-Film ein Genuss. Die klaren, statischen Einstellungen sind farblich genau durchkomponiert, und der leise Humor der Erzählung spiegelt sich auf der Bildebene.
FaF, Kant, Passage; OmU im fsk