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Antreten zum Appell. Vorn Oberaufseher Brathen (Kristoffer Joner).

©  alamodefilm

Kino aus Norwegen: Die Menschenverschlimmerungsanstalt

Damals, im Winter 1915, auf einer Insel im Oslofjord: Marius Holsts „King of Devil’s Island“ erzählt eindrucksvoll von einem Aufstand norwegischer Heimzöglinge.

Norwegen und Jugendliche und Insel und Gewalt und Flucht: Das sind Motive, die unweigerlich an das Massaker von Utøya erinnern – das Schreckensereignis vom vergangenen Juli, als der Attentäter Anders Behring Breivik ein fröhliches Insel-Zeltlager bei Oslo binnen 90 Minuten in ein Massengrab verwandelte. Eines der Horrorbilder bis heute: Das rettende Festland liegt kaum 200 Meter von dem Inselchen entfernt, und der Mörder schoss noch auf die Fliehenden im Wasser.

Fast alles ist gänzlich anders in Marius Holsts „King of Devil’s Island“ (Kongen av Bastøy). Zuerst: ein Film, nicht Wirklichkeit. 1915, nicht 2011. Eine Gefängnisinsel im Oslofjord, kein Jugendlichen-Sommertraum, bevor der Horror alles zerreißt. Eine sogenannte Besserungsanstalt für Kinder, die der Staat armen, erziehungsschwachen Leuten wegnimmt, eine Anstalt mit der Lizenz zur brutalen Brechung menschlichen (Eigen-)Willens. Bastøy, die Hölle von damals – nicht Utøya, das gewesene Paradies.

Und: Winter, nicht Sommer. In kaltblaue, sonnenlose Farben ist die von Eis nahezu umschlossene Insel getaucht, in der Anstaltsdirektor Bestyeren (Stellan Skarsgard) und Oberaufseher Brathen (Kristoffer Joner) – der eine hält seine Mission offenbar selber für gottgewollt, der andere benutzt seine Zöglinge sexuell – mit eiserner Hand regieren. Auch die Neuankömmlinge Erling (Benjamin Helstad) und Ivar (Magnus Langlete) erfahren dieses Regieren zuerst über die Hände: Hände an die Hosennaht, wenn der Direktor spricht. Draufsitzen auf den Händen, wenn Widerstand droht. In schweren Fällen: Hände auf den Boden – und sofort tritt ein Aufseherfuß drauf.

Leise, also unerhört neu entwickelt Holst die literatur- und kinogeläufige Geschichte von Unterdrückung und Auflehnung, von Misshandlung, Missbrauch und Meuterei. Und indem er die dramaturgisch ergiebigen Wendungen klug unterspielt, entfalten sie gleich doppelte Kraft. Für ihre Aufseher sind der widerständige Erling und der zarte Ivar bald nur noch Nummern, zugeteilt dem Baracken-Oberinsassen Olav (Trond Nilssen). Wer aber wie das Anstaltspersonal sein Gewaltmonopol rücksichtslos ausspielt, wer immer nur demütigt, quält, schindet, isoliert und seine Zöglinge hungern und frieren lässt, schweißt sie zu erbitterten Gegnern zusammen. Flucht aus dieser Menschenverschlimmerungsanstalt ist ihr erstes Ziel. Wird sie vereitelt, bleibt nur die Rebellion.

Irgendwann kommen Leute mit Gewehren nach Bastøy, aber anders als auf Utøya stellt hier die Staatsmacht eine böse Ordnung wieder her. Es gibt auch die dramatische Flucht über den See, aber sie erzählt vom absolut anrührenden Abschied zwischen zweien. Übrigens: Auch heute ist Bastøy eine Gefängnisinsel, mit 150 Häftlingen – eine Modelleinrichtung Norwegens mit extrem geringen Rückfallquoten. Die Hoffnung stirbt zuletzt? Ja, wenn sie Raum zum Leben hat, von Anfang an.

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