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Kino: Hushpuppys Traum

Benh Zeitlins Spielfilmdebüt „Beasts of the Southern Wild“ erfindet ein mutiges, friedliches Amerika – als Kinderfantasie.

Die erste gute Nachricht: Es wird kein einziges Mal geschossen in diesem amerikanischen Film. Gewalt gegen Personen kommt nur in Form einer Ohrfeige vor, im dramatischen Affekt ausgeteilt, insofern verzeihlich. Gewalt gegen Sachen? Nun, es gibt einen kleinen Sprengstoffanschlag gegen einen Damm, das Dynamit wird im Maul eines präparierten Krokodils transportiert, niemand kommt zu Schaden. Er nutzt allerdings auch nicht ernstlich: Das Wasser, das der Pfahlbretterbudensiedlung namens Bathtub nach einem gewaltigen Sturm bis über die Türschwellen stand, fließt zwar ab. Aber es war, vermischt mit Meerwasser, salzhaltig – und zerstörte die Vegetation.

Auch sehr schön in „Beasts of the Southern Wild“: Offenbar gibt es überhaupt keine Schießeisen in Bathtub, obwohl jeder Amerikaner, statistisch gesehen, eine Waffe besitzt – das Massaker von Connecticut hat dieses schreckliche Wissen der Welt soeben wieder ins Bewusstsein gerückt. Das waffentechnisch Äußerste: Man laboriert mit Messern an Krebsen herum, sofern man deren Panzer nicht gleich von Hand aufbricht, wie richtige Männer und richtige kleine Kinder es tun. Was die Bewohner von Bathtub besitzen, ist Schrott, angeschwemmt in den Bayous im Mississippi-Delta, wo sie leben. Und wo Benh Zeitlin lebt, der gerade mal 30-jährige Regisseur dieses wilden Kinodebüts, „mit einem Rudel wilder Tiere“.

Das Tollste aber: Wenn die richtig wilden Urzeittiere wegen der Erwärmung des Globus aus ihren Eispanzern herausbrechen und aus ihrem Millionenjahrewinterschlaf erwachen, stellt sich ihnen Hushpuppy furchtlos entgegen, ein kleines Mädchen, sechs Jahre alt. Es hat eine Kraft und Entschiedenheit im Blick, als wollte es allen menschengemachten Gefahren dieser Welt trotzen. Quvenzhané Wallis, inzwischen in der 3. Klasse der Honduras-Grundschule in Houma, Louisiana, spielt diese Hushpuppy, die nicht mehr, nie mehr vor den schwarzen Auerochsen flieht. Sie dreht sich um, bleibt einfach stehen. Und schon kriecht das Riesengetier zu Kreuze.

Der stolze, Armut und Not und Tod und Einsamkeit und jedem Endzeitgefühl trotzende Kindertraum, als der dieser dramaturgisch so amorphe Film sich am besten begreifen lässt, passt genau in diesen Tagen zur verletzten amerikanischen Seele. Gedreht in einer vom Hurrikan Katrina verwüsteten Landschaft exakt in jenen Wochen, als die Ölkatastrophe „Deepwater Horizon“ die Schlagzeilen beherrschte, erzählt er von einer kaputten Welt, in der wenigstens ein verschworenes Dorf heil bleibt, mit der kleinen schwarzen Zora Hushpuppy an der Spitze. Mit ihrem Vater Wink (Dwight Henry) lebt sie am Rand jener Gesellschaft, die sich irgendwo hinter den fernen Ölraffinerien organisiert. Von dort aus gesehen lebt sie ganz unten, in sichtbar trostlosen Verhältnissen. Aber sie lebt, und wie! Und Bathtub, dieses Bidonville, ist ihr Paradies.

Hushpuppy hat eine eigene Hütte auf Pfählen, und ihr Daddy ruft sie per Glocke und mit heiserer Stimme in seine Hütte zum Essen herüber. Ihre Mama ist „weggeschwommen“, als sie klein war, und ihr sehr kranker Daddy schwimmt wohl auch bald davon. Begräbnisse gehen in Bathtub so: Die in eine Decke gewickelte Leiche wird auf Reisig in ein Boot gelegt und angezündet. Und das Boot, das man sich als Pick-up-Blechrest auf hohlen Ölfässern vorstellen muss, treibt mit seiner brennenden Fracht hinaus in die Flusslandschaft, während die Menschen still am Ufer stehen.

Irgendwie chronologisch geht dieser Film, unterbrochen durch Hushpuppys Träume von Auerochsen, unterbrochen durch Hushpuppys Horchen nach dem Puls von Hühnern, Katzen und Menschen, unterbrochen von ihrem Hineinstarren in tanzende Staubpartikel. Oder ist es die unvermeidliche Chronologie laufender Ereignisse, die das Eigentliche, das Träumen, unterbricht? Und sind nicht auch Rückblenden, ausgelöst durch Daddys Stimme, bloß Träume? Mama war so heiß, sagt er, dass sich die Gasflammen von selbst entzündeten, wenn sie am Herd vorbeiging. Und Hushpuppy sieht, wie die Gasflammen sich von selbst entzünden. Einmal verbrennt sie vor lauter Rumgeträume fast in ihrer Hütte, versteckt vor dem Feuer unter einem Pappkarton.

Ja, Daddy säuft, Daddy ist manchmal ziemlich hysterisch, Daddy haut sie auch dies eine Mal, als alles in Flammen steht, aber Daddy ist ein guter Kerl. Wenn er plötzlich mal weg ist, und er droht bald für länger weg zu sein, hält Hushpuppy sich ans Philosophieren (in der Synchronfassung leiert sie dabei leider ein bisschen brav): „Im Universum hängt alles mit allem zusammen. Geht was kaputt, selbst das allerkleinste Teil, geht auch das Universum kaputt.“ Schon möglich, dass ihr das die Dorflehrerin vorgesagt hat, die nebenbei auch die Medizinfrau gibt. Ein bisschen tönt das nach jenem „Alles ist verbunden“-Mantra, das man im Kino zuletzt in „Cloud Atlas“ hörte. Hier aber, im Setting von Not, Überlebenswillen und real existierender Umweltkatastrophe wirkt die Beschwörungsformel vergleichsweise geerdet.

Ja, wir haben – großes Indianerweisheitswort! – diese Erde von unseren Kindern nur geliehen, von Kindern wie Hushpuppy, die eines Tages alleine mit ihr zurechtkommen müssen. Gut, wenn sie gelernt haben, wie man einen Fisch mit bloßen Händen fängt. Gut auch, wenn sie sich erinnern, wie oft sie, als sie klein waren, hochgehoben wurden und gehalten auf jemandes Arm. Hushpuppy erinnert sich daran, in einer sehr schönen Szene, die ganz aus der mitunter etwas anstrengenden Improvisierwelt der Südstaaten-Laienspielschar herausführt. Allein wegen der beiläufigen Art, wie hier jemand aus dem Bild und aus dem Film verschwindet, lohnt sich die Besichtigung dieses Solitärs, der so traumverloren viel von unserer Gegenwart erzählt.

Ab Donnerstag im Cinemaxx, FaF, Kant,

Kulturbrauerei, Yorck; OmU im Babylon

Kreuzberg und in den Hackeschen Höfen

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