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Kino: Sternstunden mit Stalin

Tragödie als Farce: Michael "Bully" Herbig überzeugt in Leander Haußmanns Nummernrevue „Hotel Lux“. Der Film funktioniert trotzdem nicht.

Von David Ensikat

Walter Ulbricht und seine Frau Lotte sitzen beim Tee in einem düsteren Moskauer Hotelzimmer. Es ist das Jahr 1938. Die Häscher von Stalins Geheimpolizei laufen über den Flur. Ulbricht stapelt Würfelzucker zu einer Mauer. Sie: „Was machst’n da?“ Er: „Och nischt. ’s is’ nur so.“

Eine schöne Szene aus dem Film „Hotel Lux“, an der man vielleicht erklären kann, wie das Genre „historischer Humor“ funktioniert: Wir (er)kennen Ulbricht; wenn wir auch sonst kaum etwas von ihm wissen, so doch dies: Das ist der Mann, der die Mauer gebaut hat. Und wir wissen: Das wird er 1938 noch nicht geplant haben. Die Szene spielt mit unserem Wissen, Ulbricht sächselt lustig, und das ist schon alles. So simpel – so schwierig.

Aber wer weiß schon etwas über das Hotel Lux? Die meisten Kinogänger, die in diesen Film gehen, weil Michael „Bully“ Herbig die Hauptrolle spielt, werden kaum wissen, dass es das Hotel tatsächlich gab. Sie wissen nicht, warum „Trotzkist“ ein Schmähwort und wer die „Komintern“ war. Vom NKWD haben sie nie etwas gehört, Herbert Wehners Name mag ihnen bekannt vorkommen – aber dass der etwas mit den Kommunisten zu tun hatte? Nun gibt es einige Slapstick-Szenen, die derlei Wissen nicht voraussetzen. Der Rest aber spielt sich vor einem historischen Hintergrund ab, der erklärt werden müsste.

Hans Zeisig, gespielt von Bully Herbig, ist ein Kabarettschauspieler in Berlin. Die Nazis sind an der Macht, er muss fliehen und gelangt nach Moskau ins Hotel Lux. Dort wohnten in jenen Jahren die wichtigsten kommunistischen Emigranten aus ganz Europa, unter ihnen Walter Ulbricht, Herbert Wehner, Wilhelm Pieck, Georgi Dimitroff. Sie waren vor dem Grauen geflohen und in eine grausame Welt geraten: In ihrer Herberge herrschten Angst und Misstrauen, es war die Zeit der stalinistischen „Säuberungen“, denen Millionen Menschen zum Opfer fielen, darunter zahllose Kommunisten. Jede kritische Bemerkung, jeder nicht nachvollzogene Argumentationsschwenk, jede persönliche Rivalität konnte schlimme Konsequenzen haben.

Stoff für eine Komödie? Aber selbstverständlich! Schon bei „Sonnenallee“ haben wohlmeinende Menschen Leander Haußmann den Vorwurf gemacht, er würde die Gräuel der Diktatur verharmlosen, weil er sich darüber mokiert. Wie schlimm treibt er es dann erst bei „Hotel Lux“? Dagegen könnte man einerseits einwenden: Man muss nicht immer alles sagen (oder hätte zum Bully-Herbig-Film „Der Schuh des Manitu“ ein Exkurs über den Genozid an den Indianern gehört?). Zum anderen muss blind oder ahnungslos sein, wer in „Hotel Lux“ die Folie des Grauens nicht erkennt. Das fängt beim Szenenbild an: Die dunklen Hotelgänge und engen Zimmer passen eher zu einem Horrorfilm als zu einem leichtfüßigen Kommödchen. Und dann gibt es immer wieder Szenen, deren Humor eher ein düsterer als ein schenkelklopfender ist, etwa wenn sich die Genossen darüber streiten, ob es noch elf oder zwölf Tage bis zu Stalins Geburtstag sind.

Die Sache wäre gar nicht komisch, wenn sie nicht so grausam wäre. Und sie wäre nicht so grausam, wenn sie nicht so realistisch wäre. Wer sich mit den tatsächlichen Auseinandersetzungen befasst, die damals die Linientreuen von den Abweichlern trennten, der glaubt, er habe es mit Irren zu tun. Die können das unmöglich ernst gemeint haben. Haben sie aber. Was doch heute heißt, dass man sie auf gar keinen Fall ernst nehmen darf! Dass der Irrsinn oft genug in den Tod führte, verschweigt der Film ja nicht.

Warum aber funktioniert er nicht? Warum nur hat man hinterher ein flaues Gefühl? Michael Herbig spielt den Hans Zeisig als einen ahnungslos-komischen Eulenspiegel so nuanciert und feinfühlig, dass es an ihm nicht liegen kann. Er ist eine großartige Besetzung. Die anderen Figuren wirken neben ihm wie Holzpuppen. Womit wir beim Problem wären: „Hotel Lux“ ist eine Nummernrevue, eine Aneinanderreihung von Szenen, die kein Ganzes ergeben. Die Liebesgeschichte mit der schönen Holländerin bleibt so blass und konstruiert, dass man in jeder Einstellung denkt: Oh, selbstverständlich, eine Liebesgeschichte gehört in den Erfolgsfilm wie die Weltrevolution zum Trotzkismus. Nur leider ergibt sich daraus keine Spannung.

Die Geschichte mit Stalin dagegen – Zeisig wird sein Sterndeuter – enthält einige großartige, beklemmend-skurrile Szenen. Doch auch sie wirkt wie am Reißbrett konstruiert und zurechtgestutzt, damit der Film nicht aus den Fugen gerät.

Es sieht so aus, als habe Haußmann ein Zwischending aus Lubitsch-Film und Tarantino-Movie machen wollen. Das war vielleicht zu viel. Und dann die Sache mit dem „historischen Humor“: Er funktioniert da, wo der Zuschauer weiß, worauf er gründet. Ansonsten gilt, ein Witz, den man erklären muss, ist kein guter Witz. Oder doch? Haußmanns Hoffnung: Mit dem ahnungslosen Zeisig lernt der Zuschauer, was Stalinismus ist, und gelangt somit auf die Höhe des Humors.

In „Hotel Lux“ stecken so viele schöne Einfälle, so viele beeindruckende Szenen, die Idee der Geschichte ist so gut, dass man etwas Ungehöriges sagen möchte: Ein Erfolg könnte den Machern recht geben. Wenn viele Zuschauer ihn mögen, ist es zwar noch immer kein guter Spielfilm, aber doch ein prächtige Nummernrevue. Dass das aber klar ist: So basisdemokratisch darf Filmkritik nur bei einer Komödie über den Totalitarismus sein!

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