zum Hauptinhalt

CITY Lights: Tagebücher aus Tibet

Silvia Hallensleben weiß, wie Projektoren Propaganda projizieren

Im englischsprachigen chinesischen Sender CCTV 9 war im Mai eine kanadische Serie zu sehen, die zwei Rucksacktouristen aus San Francisco auf einer Tibetreise begleitet. Formal ist „Tibet Diary“ als Videotagebuch angelegt, in dem beide täglich ihre Reisenotizen festhalten. Inhaltlich wird die mit naivem Dalai-Lama-Enthusiasmus angetretene Tour zunehmend zu einer Bildungsreise in Sachen erfolgreicher chinesischer Tibetpolitik: ein leicht durchschaubarer und filmästhetisch bizarrer Versuch, westlicher Tibetbegeisterung die offizial-chinesische Sicht aus scheinbar westlichem Mund entgegenzuhalten. Interessant ist der auch auf Youtube abrufbare Film aber vor allem als anschauliches Beispiel für die propagandistische Nutzung authentischer Erzählformen.

Wie schwierig es generell ist, mit Filmen Aufklärung zu betreiben, zeigt auch eine Reihe im Sputnik-Kino am Südstern, die parallel zur Eröffnung der Pekinger Spiele unter dem Titel Tibet rediscovered eine „audiovisuelle Entdeckungsreise durch ein von Mythen besetztes Land“ verspricht. Ein „vielschichtiges und zeitgemäßes Bild vom heutigen Tibet jenseits unserer eigenen Projektionen“ wolle man zur Diskussion stellen. Allerdings zeigen viele der Filme dann doch, dass die Projektion immer schon da ist, wo eine (westliche) Kamera hinkommt. Zu solcher Einsicht muss man gar nicht Werner Herzogs Dalai-Lama-Huldigung Rad der Zeit (am Mittwoch) bemühen. Luc Schaedlers The Angry Monk, einer der beiden Eröffnungsfilme am Freitag, begibt sich auf die Spuren des rebellischen Mönchs Gendun Choephel, der in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts aus klösterlicher Einsamkeit ins weltliche Leben aufbrach und bis nach Indien reiste – ein Philosoph und Autor, der auch profane Genüsse wie Alkohol und Sex nicht verschmähte und bei den Obrigkeiten aneckte.

Der Schweizer Regisseur verknüpft großartige Landschaftspanoramen und Großstadtszenen, Archivbilder und Interviews zu einem klassischen Reisefeature. Dabei ist der Rebell und Querdenker vielleicht ein zeitgemäßeres Vorbild als duldsames Mönchtum; Projektion bleibt auch das allemal, ebenso wie das „Tibet mit all seinen Widersprüchen“, das der auktoriale Kommentar beschwört.

Durch Erklärungen des Dalai Lama zur Lage in Tibet rahmen Lottie Marsau und Katharina Rosa ihre 35-minütige Reportage: ein deutliches Statement. Auch sonst vertraut Chinas Tibet? (am Montag) ganz auf den didaktisch erläuternden Kommentar, dem die schönen poetisch-körnigen 16-mm-Bilder zur Illustration dienen. Das ist harte Hörarbeit. Doch im Vergleich zu „Tibet Diary“ in seiner Verweigerung jeglicher Anbiederungsstrategie durchaus erholsam.

Zur Startseite